“Ástas Geschichte” – die Geschichte einer Frau im Taumel zwischen Glück und Unglück

Manche Bücher nehmen einen mit in andere Welten, beschreiben das Leben von Menschen, enthalten komische Gedanken, liefern Wissenswertes oder sind einfach etwas fürs Gefühl. Das folgende Buch hat mich nun in mehrfacher Hinsicht gefordert und neugierig gemacht. Isländische Literatur finde ich irgendwie sehr spannend, und doch ist da immer was, das sich nicht wirklich greifen lässt. So wie auch in diesem Fall…
Ást ist Isländisch und bedeutet so viel wie Liebe. Ásta ist eine Romanfigur, an die Sigvaldi dachte, als es um die Namensfindung seiner Tochter ging. Helga stimmte dem zu und Jón Kalman Stefánsson fand diesen Gedanken anscheinend so inspirierend, dass er Ásta einen ganzen Roman widmete. Ástas Geschichte heißt sein neustes Werk und handelt von der Liebe, dem Verlust und dem Leben mit all’ seinen Höhen und Tiefen.

“Man fängt mit dem Anfang an: Wir befinden uns zu Beginn der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der Reykjaviker Weststadt, und ich berichte, wie es zu Ásta kam, verliere dann aber den Zugriff.”

Dieses Buch ist die Geschichte eines Kindes, einer jungen Erwachsenen, einer sehnsüchtigen Frau, die Briefe an ihre große Liebe schreibt, und ein Blick auf einzelne Menschen in ihrem Leben. Ásta wird in den 50ern, sehr, sehr leidenschaftlich, am Küchentisch gezeugt. Ihr Name soll Großes bedeuten und doch scheint er ihr nicht sonderlich viel Glück zu bringen. Sie wandert stets auf dem schmalen Grad zwischen Glück und Unglück. Und so begleiten wir sie dann auch durch ihr Leben und ihre Höhen sowie Tiefen. Schon früh hat sie die ersten großen Verluste erlebt, ihre Mutter verlässt sie und Ásta wächst bei einer Ziehmutter auf. Später wird sie auf einen Hof geschickt, eine Art Erziehungsheim, da sie einem Mitschüler einen Fausthieb verpasst und ihm die Nase bricht. Dort lernt sie die Abhängigkeit, die Einsamkeit und die Fürsorge, aber auch die Nähe zwischen den Menschen und Jósef kennen. Und dann? Dann verliert sie erneut – So als sei es ein Ausgleich zu dem, was sie glücklich stimmt.
Es ist ein herber Verlust und ein noch größerer Rückschlag, der ihr ganzes Leben in neue Bahnen lenkt, ihr Menschen nimmt und sie trauern lässt. So geht es weiter, bis sie sich selbst das Leben nehmen möchte, fallen möchte, sich verlieren. Doch auch das scheitert und ihr Leben bleibt ein einziges Auf und Ab aus kurzen Gewinnen, riesigen Verlusten, großer Sehnsucht und tiefer Trauer. Es ist ein poetischer Roman zwischen Leben, Liebe… Tod und mittendrin ist eine junge Frau namens Ásta auf der Suche nach sich selbst.

“Es lässt sich nicht erzählen, ohne sich zu verirren, ohne fragwürdige Wege zu beschreiten oder weiterzugehen, ohne umzukehren, nicht einmal, sondern mindestens zweimal ­- denn wir leben in allen Zeiten”


Gerade dieses Zitat beschreibt sehr gut, wie es mir beim Lesen erging. Ástas Geschichte fand ich toll und sie hat mich immer wieder an Kent Harufs Victoria aus “Lied der Weite” erinnert. Auch sie bricht aus ihrem alten Leben heraus, kommt an einen Hof und das Leben scheint irgendwie eine Wendung zu nehmen. Ásta ergeht es ähnlich, sie wächst bei einer Ziehmutter auf, hat bereits ihre Wurzeln verloren und wird nun, nachdem sie einem Mitschüler die Nase bricht, auf einen Hof in der Westfjorde geschickt. Hier hat sie dann nicht nur ein neues Umfeld und neue Gegebenheiten, an die sie sich gewöhnen muss, sondern findet, auch wenn es ihr bis dato noch nicht so klar ist, ihre erste größere Liebe. Diese Zeit auf dem Hof, ihre Bekanntschaften mit Sex, dem anderen Geschlecht, der Abhängigkeit, Einsamkeit aber auch Sehnsucht empfand ich insgesamt als ein recht interessantes, ruhiges Wechselspiel. Sie lernt die Welt aus einer ganz anderen Sicht kennen, abgeschieden in der Pampa. Doch mit ihrer Rückkehr nahm dann das Unglück wieder seinen Lauf, vieles gerät aus den Fugen, sie ist sich unsicher, verliert ihren Lebensmut, verschiedenste Gedanken, Partner, Ortswechsel finden statt bzw. tauchen auf. Und dann ist da noch die Geschichte ihrer Familie, ihres Vaters und seiner neuen Frau, von Helga, der Ziehmutter und weiteren Verwandten, die immer wieder zwischendrin das Bild stören, komplettieren und doch häufig verwirren und den Fokus von der Hauptprotagonistn entfernen.

Aber nicht nur das, es tauchen auch immer wieder, beinahe schon nervige Geschlechtsverkehrszenen oder veraltete Rollenmodelle, Gedanken und Fragen auf. So spricht dann z.B. der Schriftsteller in diesem Roman auch folgende Gedanken aus:
“Ich glaube, achtzig Prozent der Frauen, die ich kenne, lesen am laufenden Meter. […] Schrecklich, dieses weibliche Interesse an Büchern! Ich habe mir darüber Gedanken gemacht […] Meinst du, das hängt mit der Menstruation zusammen? […] Dieses dunkle Blut, Schmerzen und so weiter. Da kommt man auf den Gedanken, die Frauen benutzen die Literatur als Ausgleich, um sich zu stabilisieren.” Und? Ist das so? Ich finde das ja sehr fraglich, aber nun gut. Jedenfalls gibt es hin und wieder diese Gedankengänge, deren Sinn ich an jenen Stellen nicht wirklich verstanden habe, aber vielleicht habe ich mir darüber bisher einfach auch zu wenige Gedanken gemacht oder mich wie in diesem Fall recht wenig mit dem Menstruationszyklus der Frau auseinandergesetzt, man weiß es nicht.
Jedenfalls hab ich am Ende eher so eine gemischte Meinung. Jón Kalman Stefánsson hat mich streckenweise sehr fasziniert. Auch der Satz seines Romans hat mich großteils neugierig gemacht, denn es wechseln sich beinahe luftig leere Seiten und anspruchsvolle Kapitel ab, bringen zum Nachdenken und lenken den Fokus auf einzelne Sätze, Wörter und Gedanken. Und dann ist da eben der Roman als Ganzes, das zwar lesenswert ist, aber für mich gerne etwas klarer, teilweise aber auch ausschweifender und tiefgründiger werden könnte. Vielleicht ist es aber auch einfach ein typischer, isländischer Roman mit einer für mich eher unerwarteten, gar ungreifbaren Mentalität und Aussagekraft… aber das, muss ich dann doch noch etwas weiter ergründen oder, sofern sich einmal die Möglichkeit ergeben sollte, in Form einer Lesung genauer kennen lernen, denn ich habe das Gefühl, dass in diesen Zeilen noch viel mehr enthalten ist, als ich dann tatsächlich beim Lesen wahrgenommen habe.

Jón Kalman Stefánsson – Ástas Geschichte
Piper.
460 Seiten. 24 Euro. Hardcover.

20. Januar 2020

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