Von Traurigkeit und Zuversicht zwischen Begegnungen. – “Der traurige Gast” von Matthias Nawrat

“Willkommen in Berlin!” bzw. eigentlich leben die Protagonisten in Matthias Nawrats Roman “Der traurige Gast” alle schon eine Weile dort und sind trotzdem nie so wirklich angekommen. Aufgrund einer gefundenen Visitenkarte meldet sich der Ich-Erzähler bei einer Architektin und möchte mit ihr seine Wohnung renovieren. Er selbst hat gerade erst geheiratet, hat noch keine Kinder und doch hat er in dem Moment den Wunsch nach Veränderung. Aber dazu kommt es scheinbar nie, denn ihre Treffen schweifen oftmals in die persönlichen Erzählungen der ehemals aus Polen stammenden Architektin ab. Und so hört er sich stets ihre Erlebnisse, Verluste, Geschichten an, bis dann keine Zeit mehr bleibt und sie ein erneutes Treffen vereinbaren müssen. Aber er spricht nicht nur von ihr, sondern auch von seiner Begegnung mit einem alten Mann in einem polnischen Lokal, von der Verkäuferin in dem polnischen Laden oder von den Gesprächen mit einem ehemaligen Kommilitonen von der Universität und von Dariusz, der Tankstelle und dessen Leben. Einem jedem schenkt er Raum und Aufmerksamkeit und stellt damit ein faszinierendes Bild verschiedenster Stadien einer immigrierten Gesellschaft her. Menschen, die alles aufgeben und verlassen, um anzukommen und es doch nie so wirklich schaffen.

 

“Die Leute sind so dämlich, sie sehen nicht, dass es nichts Schöneres gibt als dieses Leben, als dieses Dasein, das uns […] geschenkt wurde. Aber ich kann es ihnen nicht verübeln, ich war genauso, damals war ich genauso. Ich war zynisch.”

 

Ich stelle mir ja häufig die Frage “Wenn dieses Buch ein Mensch wäre, wie wäre er dann?”. Und “Der traurige Gast” von Matthias Nawrat macht es mir da wirklich leicht, denn es wäre hier die buchige Gestalt, des Herrn Rosowski, einem älteren Herren im grauen Anzug mit weißem Hemd, goldgelber Krawatte und goldenem Siegelring. Er sitzt alleine im Restaurant und wartet. Er ist nun 81, lebt seit 50 Jahren in Berlin, ist Klavierstimmer und hat damals in diesem Lokal seine Frau, die ursprünglich aus Lubin kam, kennengelernt und vor sieben Jahren wieder verloren. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei allen anderen Menschen, die der Protagonist in diesem Roman trifft, schwingt ständig eine gewisse Gedecktheit, Trauer, Ver- und Gelassenheit mit.

 

“Die Wolken hängen tief, und alle Hausfassaden sind suizidgrau, und alle Bäume sind kahl. Das Fenster ist beschlagen, sodass die Leute, die draußen vorbeigehen, nur als Schemen erkennbar sind. Aber das machte uns nichts.”

 

Zugegeben, dieser Roman war für mich keine einfache Hürde. Nawrat schafft insgesamt eine eher bedrückte Atmosphäre, die dann Seite für Seite zunimmt und scheinbar auf ihn überspringt. Willkommen und Abschied. Aufbruch, Veränderung und Stagnation. Der traurige Gast ist in diesem Fall wahrscheinlich Nawrat selbst. Er, der wie der Mann ohne Namen ursprünglich auch aus dem polnischen Opole stammt und als Kind nach Deutschland/Berlin migrierte. So schildert er sehr eindrucksvoll einzelne Treffen mit alten ‘Vertrauten’ bzw. eigentlich lernt er seine Gesprächspartner erst kennen und dennoch herrscht zwischen ihnen bereits eine Verbindung. Ihre Vergangenheit schweißt sie zusammen und doch sind sie eher einsam. Sie teilen mit ihm ihre Geschichten und Eigenarten, ihren Verlust und Schmerz… Am Ende entsteht ein recht eigenartig düsteres, harmonisches, graues Bild, das den Leser mit nimmt, überrascht, aber auch deprimiert zurücklässt. Ich kann es wirklich nur ganz schwer in Worte fassen… es herrscht dieses beklemmende, bedrückende Gefühl in Verbindung mit Hoffnungslosigkeit und doch geht es irgendwie immer weiter oder endet teilweise so ganz plötzlich und abrupt. Und gerade das in Kombination mit dieser Nähe und Menschlichkeit… Puh, ich bin beeindruckt; also nicht mal wirklich so wahnsinnig von der Geschichte begeistert, denn das schafft anspruchsvolle Literatur eher selten, aber dafür so aufs Tiefste berührt und melancholisch mitgerissen. Und daher möchte ich in diesem Fall auch mit eine, wie ich finde, sehr passenden Zitat enden:

 

“… Menschen können ohne Zuversicht nicht leben. Ohne Zuversicht beginnen sie zu hassen. Und schließlich, über kurz oder lang, fangen sie an, sich für diesen Mangel an Zuversicht zu rächen. Ihre Wut lenkt um […] Dabei ist die Zuversicht, so scheint es mir, eine Entscheidung. Jeder kann in jedem Moment von heute auf morgen entscheiden, zuversichtlich zu sein. Und damit wenigstens hier, in diesem konkreten Weltjetzt, das Schlimmste verhindern.”

 

 

Matthias Nawrat – Der traurige Gast
Rowohlt.
304 Seiten. 22 Euro. Hardcover

 

//Leseexemplar

16. März 2019

No Comments

Leave a Reply

You Might Also Like