Zeit für Helden. Zeit für Erinnerungen und Menschlichkeit.

Spannende Geschichten und Fälle über die dunkle Zeit des Naziterrors gibt es viele, dennoch ist es nach wie vor wichtig, dass gerade diese sehr persönlichen Schicksalsfälle in Erinnerung gerufen werden und auf die großen Bedrohungen des Nationalismus aufmerksam machen.
Das bekannteste Beispiel sind natürlich die Tagebücher der Anne Frank. Ein Mädchen, das in Form eines Tagebuchs über ihr Leben als Jüdin, ihre Eindrücke und Erlebnisse, Gedanken und Ängste schreibt, bis es eines Tages endet und man weiß, welch grauenhaftes Schicksal sie getroffen hat.
Ein ähnlich aufrüttelnd, starkes Buch erschien in diesem Jahr von Dr. Edith Eva Eger “Ich bin hier und alles ist jetzt – Warum wir uns jederzeit für die Freiheit entscheiden können”. Sie hat es überlebt. Das Grauen überstanden und sich zurück ins Leben gekämpft. Dieser Prozess, die Geschichte und wie sie heute noch anderen hilft, stellt sie in ihrem Buch vor. (Rezension – hier klicken).

Nun hat der Diogenes Verlag noch einmal eine ganz andere Sicht veröffentlicht. Es geht nämlich in “Am Seil” von Erich Hackl um den österreichischen Kunstschmied Reinhold Duschka, der während des Terrors die jüdische Chemikerin Regina Hilde Kraus sowie ihre Tochter Lucia von 1939 bis April 1945 versteckt hielt. Sie wird als Heldengeschichte deklariert, doch eigentlich geht es ihm ganz und gar nicht darum ein Held zu sein. Es ist eine noch größere Geste – die, der Menschlichkeit. Als die Tumulte im Land langsam größer werden, der Machtkampf um sich greift, Juden zum Tragen des Judensterns verpflichtet, etwas später zusammengedrängt und ausradiert werden, begibt sich Reinhold Duschka selbst in Gefahr. Er bietet Mutter und Tochter Unterschlupf in seiner kleinen Werkstatt. Natürlich dürfen die beiden nie auffallen, weder vor Fremden noch vor Freunden und weiteren Mietern innerhalb des Werkstättenhofs.

 

“Auch das war Glück im Unglück: daß Regina und Lucia arbeiten mußten, um am Leben zu bleiben. Die Arbeit gab ihnen Halt, lenkte sie ab, bot ihnen Gelegenheit, sich für Reinholds Wagemut erkenntlich zu zeigen.”

 

Und obwohl in dieser Zeit alles strengstens zugewiesen wird, beschafft er ihnen Kleidung und Nahrung sowie Bücher für die kleine Lucia. Er bringt ihnen sein Handwerk bei und so bearbeiten sie täglich gemeinsam Metalle zu kleinen Kunstwerken und Nutzgegenständen, deren Erlös wiederum auf dem Schwarzmarkt in Lebensmittel investiert wird.
Als die Auswirkungen des Krieges über Wien hereinbrechen und erste Bomben fallen, können sie nicht wie alle anderen einfach so in einen Bunker Schutz suchen. Es ist zu gefährlich, denn jedes noch so kleine Misstrauen anderer, jede Ausweiskontrolle, jeder Verdacht, dass sie Juden sind, kann sie der Gestapo, dem Tod oder der Gaskammer selbst ausliefern. Als der Hof bei einem Bombenangriff schwer beschädigt wird, überleben Regina und Lucia nur knapp und stehen erneut vor dem Nichts …

 

“Unentwegt dröhnte, krachte, heulte es, wühlten Menschen im Dreck, stieg schwarzer Rauch auf. Wien wurde zum Kampfgebiet erklärt, Frauen mit Kindern auf Plakaten nahegelegt, die Stadt zu verlassen.”

 

Doch was geschieht, wenn man das nicht so einfach kann und selbst unter Beschuss steht? Was passiert, wenn alles überstanden ist und die Welt einem Trümmerhaufen gleicht? Und vor allem wie geht man mit allem um?

Erich Hackl beschreibt auf gerade einmal 117 Seiten eine sehr bewegende Geschichte und Erinnerung. Der Klappentext fast es so schön zusammen: Es ist die Geschichte “Wie sie zu dritt, an ein unsichtbares Seil gebunden, mit Glück und dank gegenseitigem Vertrauen überlebten.” Sie zeigt, die stets lauernde Bedrohung, ihre Ängste, Hoffnungen und Trauer. Es ist dieser Kampf ums Überleben, der eigentlich stets still und heimlich geschehen muss. Das Ziel nicht aufzufallen, egal was passiert und doch entscheidet am Ende die Menschlichkeit und Güte. In dieser Geschichte endet es positiv. Sie haben ihren Kampf überlebt. Nicht jeder hatte dieses Glück, wenn man hier überhaupt im Ansatz von Glück sprechen darf. Es ist das überlebte Grauen. Das, was heutzutage in vielen Nationen und rechten Gruppen neu entfacht. Dieser Hass und diese Aggressionen und gesuchte Andersartigkeit, die zu Ausgrenzung von vermeintlichen Minderheiten führt. Doch wir sind alle eins. Wir sind Menschen. Und auch, wenn alle einem Verrückten blind hinterherlaufen, gibt es stets auch Menschen, die sich für andere opfern. Menschen, so wie Reinhold Duschka.

Was soll man sagen? Denn so ein Buch als toll oder großartig zu betiteln, wirkt mir irgendwie befremdlich. Es ist ein wahrer Tatsachenbericht in Form einer Geschichte, die eben auch das Gute im Menschen verdeutlicht. Nicht alle denken gleich, nicht jeder wollte das Grauen. Ich wünschte mir, der Buchmarkt würde überflutet mit unzähligen solcher und anderen Erinnerungen. Dinge, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Zeiten, die bereits durchlebt, überwunden und niemals wiederkehren sollen. Ich wünschte mir, dass dieses Leid, diese Erfahrungen einen Jeden erreichen, bewegen und zu mehr Offenheit führen.

Erich Hackl – Am Seil
Diogenes.
128 Seiten. 20 Euro. Hardcover.

//Leseexemplar. Vielen Dank an Diogenes!

18. November 2018

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