Guten Tag, Leben – wenn plötzlich alles anders ist.

Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer ist so ein großartiger, fast schon poetischer Titel, hinter dem so viel mehr steckt, als das Bild, das nach dem erstmaligen Hören im Kopf entsteht. Tabea Hertzog erzählt nämlich nicht von Beobachtungen und erheiternden Landschaftsaufnahmen, sondern viel mehr von ihrer eigenen Geschichte, der Diagnose chronische Niereninsuffizienz, der Therapie und ihrer damit verbundenen Transplantation.

 

“Das, was am meisten zerrt in diesem Augenblick? Dass alle Pläne anders gefasst werden müssen. Dass Dinge, die ich jetzt machen wollte, nicht gemacht werden können. […] Es fühlt sich an wie Stillstand.”

 

Und dieser Stillstand erreicht die Autorin selbst, kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Mit der Diagnose verändert sich von jetzt auf gleich ihr ganzes Leben. Die Konfrontation mit der  Endlichkeit und dem großen Wunsch einfach nur zu leben. Und obwohl zunächst noch alles halb so wild erscheint, verschlechtern sich ihre Nierenwerte rapide. Sie spuckt Blut und kommt erneut ins Krankenhaus. Dieses Mal auf die Intensivstation.

 

“In sechs Wochen kontrollieren wir Ihre Blut- und Urinwerte. Kontrolle erzeugt Sicherheit. Auch wenn ich keinen Einfluss habe auf das, was passiert. Es geht mir doch gut.”

 

Und so wird schnell klar, Tabea braucht eine neue Niere. Ihre eigenen machen es nicht mehr mit. Sie muss sich neuen, ungeplanten Herausforderungen stellen, auf ihre Essgewohnheiten achten, drei mal wöchentlich zur Dialyse um ihr Blut reinigen zu lassen und auf ein Spenderorgan hoffen. Glücklicherweise kommt ihr Vater, zu dem sie erst seit gut einem Jahr wieder Kontakt hat, infrage und er ist auch bereit ihr zu helfen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, denn diese verkriecht sich, scheint plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Tabea nimmt uns eindrucksvoll mit in ihre Gedankenwelt und ihren ‘neuen Alltag’. Ihre Ängste. Hoffnungen. Ihr Kampf um Selbständigkeit. Freundschaftliche und familiäre Beziehungen. Es ist, wie ich finde, ein sehr intimes Buch. Ihr Erzählung wirkt zunächst leicht kühl und abgeklärt. Doch mit jeder Seite scheint sie Nähe zuzulassen und das obwohl sich an ihrer Erzählart kaum etwas ändert. Man lernt sie kennen, liest zwischen den Zeilen. Sie wirkt zerbrechlich und doch so stark. Der Drang zu leben überwiegt. Alles endet gut und doch ist es nun anders. Sie ist erst einmal wieder frei, mit kleineren Einschränkungen.

 

“Der Mensch möchte sehen und selbst nicht immer gesehen werden. Diese Sicherheit umgibt auch mich. Noch spüre ich nicht, dass mein Immunsystem schwächer wird. Die Niere fühlt sich gut geschützt an.”

 

Auch wenn mich das Thema Nierentransplantation nicht betrifft, war Tabea Hertzog mir mit ihrer Geschichte so unheimlich nah. Sie schildert zahlreiche Beobachtungen, Erlebnisse und Begegnungen, die ich in den letzten Jahren ähnlich erlebte und so habe ich mich sehr häufig in ihr und ihrem Verhalten wiedererkannt. Man könnte meinen eine chronische, langfristige Erkrankung ist von der Diagnose bis zum ‘alles ist wieder gut’ eine persönliche Reise und das große Überdenken des Lebens. Und gerade hier nimmt Tabea den Leser mit. Dieses Buch stellt ihre Entwicklung, vom ersten Schock über das langsame Annehmen und den Versuch so weit wie möglich selbständig zu bleiben,von der Abhängigkeit anderer bis hin zum Rückgewinn des Lebens dar. Diese Entwicklung durchlebt sie nicht nur für sich, sondern auch ihre Angehörigen bzw. in diesem Fall ihre Eltern, ihre Schwester und auch ihr Freund J. Auf ihrem Weg begleiten sie Ärzte und auch andere Patienten stehen ihr stets aufmunternd, ähnlich betrübt oder helfend zur Seite – manchmal sogar fast auf die Palme bringend. Für mich ist es so ein wirklich sehr persönliches Buch, das beinahe das Innerste der Autorin selbst zeigt. Sie bewahrt Distanz, schildert nur ausgewählte Situationen und Phasen und doch hat man das Gefühl, sie durch die komplette, schwere Phase zu begleiten und ihr nahe zu sein. Danke! Ich hoffe wirklich, dass dieses Buch zahlreiche LeserInnen finden wird und Berührungsängste mit dem Thema abgebaut werden. Gerade in der heutigen Zeit habe ich immer das Gefühl, dass um Krankheiten, Benachteiligte und eingeschränkte Menschen ein großer Bogen gemacht wird und doch kann es jeden treffen. Und das sogar recht plötzlich. Gerade daher ist es so wichtig, auf Verschiedenes aufmerksam und Betroffenen Mut zu machen. Auch wenn es insgesamt ein eher schweres Thema ist, so schafft sie es mit ihrer Offenheit irgendwie auch Kraft zu spenden. Hoffnung, dass nach dieser Phase wieder alles anders sein kann und alles auch irgendwie ‘freier’ beginnt. Ich könnte jetzt noch so viel sagen, aber eigentlich reicht auch ein Wort… Lesen.

 

Und ja, Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer und aus der einstigen ruhigen, stillstehenden Herberge für Schäfchenwolken wird wieder ein Ozean voller Bewegungen und Leben.

 

Tabea Hertzog – Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer
Berlin Verlag.
224 Seiten. 20 Euro. Hardcover.

14. April 2019

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