In der Historie stecken die schrecklichsten Verbrechen – “1793” von Niklas Natt och Dag

Normalerweise bin ich kein Krimi-Fan. Bei den meisten fehlt es mir einfach an Spannung oder es ist eher eine vorhersehbare Handlung, die generell mehr auf ‘Zufall’ beruht als auf allem anderen. Und doch gebe ich mich nicht geschlagen, auch für mich etwas passendes zu finden. Historische Kriminalromane bieten generell etwas mehr, sei es durch den zeitlichen Rahmen, das etwas andere Setting oder einfach durch die untersucherischen Möglichkeiten. So habe ich z.B. vor geraumer Zeit auch die LeFloch-Reihe aus dem Blessing Verlag für mich entdeckt. Diese führt zurück ins Paris von 1761 und hat insgesamt ein ganz anderes Stadtbild, andere Probleme, andere Hierarchien und natürlich auch insgesamt ganz andere Voraussetzungen. Nun erschien am 1. März 2019 ein weiteres, für mich sehr großes Krimi-Highlight. “1793” von Niklas Natt och Dag.

 

“Ich habe nie verstanden, wie der Staat einen Mord sühnen kann, indem er seinerseits einem Bürger das Leben nimmt – und das auf um so bestialischere Art.”

 

Dieser historische Krimi nimmt uns mit ins Stockholm des späten 18. Jahrhunderts. Hier finden Straßenkinder im Fatburen auf Södermaln ein treibendes Bündel und holen den Häscher und Kriegsveteran Michael Cardell zur Hilfe. Aus dem zunächst vermuteten Tierkadaver, den jemand in den Tümpel geworfen hatte, werden an Land schnell die Überreste eines jungen Mannes, der anscheinend über Monate hinweg brutalst gefoltert wurde. Gemeinsam mit dem Juristen Cecil Winge, der bei der Stockholmer Polizei für ganz besonderen Fälle zuständig ist, will Cardell den Fall aufklären.
Karl Johan, wie sie die Leiche nennen, fehlen Arme und Beine. Ihm wurden die Sinne geraubt, Zunge und Augen entfernt und er bis zu seinem Ableben aufs Übelste zugerichtet. Einzig sein hellblondes Haar und sein unterernährter Rumpf sind ihm geblieben. Doch wer hat ihm das angetan und vor allem warum? Das Stückchen Stoff und ein in der Leiche befindlicher Siegelring, könnten in diesem perfiden Mordfall Hinweise liefern. Doch durch ihre Ermittlungen geraten Cardell und Winge sehr schnell ins Visier unangenehmer Gauner und kommen noch schneller an ihre eigenen Grenzen…

 

“Meine Kunden sind die Männer, die unsere Welt steuern. Wenn es um ihr Wohlbefinden geht, welches Opfer ist da schon ein derartiger Halbmensch?”

 

So an sich klingt es bisher nach einem relativ normalen Kriminalfall, den man schon zig-fach gelesen hat, doch Natt och Dag schafft es hier nicht nur einen bis ins Detail ausgeklügelten brutalen Mordfall zu schildern, sondern mit den einzelnen Szenen- und Perspektivenwechseln entwickelt sich eine ungemeine Sogwirkung, sodass man förmlich gezwungen wird stets weiterzulesen. Ein Roman voller menschlicher Abgründe. Das Besondere war für mich neben dem eigentlichen Mordfall, das sehr charakterstarke Ermittlerduo. Cardell und Winge sind eben nicht, die Helden in der Form – eine Holzhand und Traumata sind Cardells Überbleibsel vom Krieg und Cecil Winges Tuberkulose im Endstadium schreit oftmals eher nach Aufgabe, statt nach energischen Handeln. Neben ihnen lernen wir auch die Geschichten von Kristofer Blix und Anna Stina, die aufgrund beschuldigter Hurerei in ein Spinnhaus gesteckt wird, kennen. Sie alle verweben sich am Ende zu einen großartigen, spannenden Roman. Argh, ich würde gerne so viel erzählen, aber ich möchte an dieser Stelle weder spoilern noch sonstige Hinweise liefern. Ich habe diesen Roman binnen zweier Tage durchgelesen oder besser: durchgesuchtet und mit jeden der einzelnen Hauptcharaktere mitgefiebert, gebangt und gehofft. Natt och Dag inszeniert hier ein sehr breites, geschichtliches und kluges Bild, das ich in dieser Art noch nirgends gefunden habe. Mir gefällt dieser Spannungsaufbau und die plötzlichen Plotwechsel sehr und sie reißen einen dem Lesen immer tiefer in diese Zeit hinein. Es ist eben kein typisch weichgespültes Serienblabla und genau so wünsche ich mir dann auch einen Krimi. Von daher kann ich hier auch einfach nur eine große Leseempfehlung aussprechen und hoffen, dass es nicht der einzige Kriminalroman bleibt, den ich wirklich großartig finde.

 

Niklas Natt och Dag – 1973
Aus dem Schwedischen von Leena Flegler.
Piper.
496 Seiten. 16,99 Euro. Klappenbroschur.

1. März 2019

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