Roman | Aufregung in “Dunkelblum” – der düstere (Rück)Blick auf die Geschichte einer österreichischen Kleinstadt

Romane über die Ereignisse zur Weltkriegszeit in den verschiedensten Regionen der Welt, mit dem Fokus auf unterschiedlichste Schicksale und Blickwinkel auf das Geschehen gibt es gefühlt wie Sand am Meer. Wahrscheinlich liegt das nicht nur an der wichtigen Erinnerungs- und Aufklärungskultur, sondern auch daran, dass viele Autor*innen hier sehr viel Material für Dramatik, Aufbruch, menschliche Untiefen, tragische Lebens- und Liebesgeschichten finden oder in ihren Werken eigene Familiengeschichten und Erinnerungen verarbeiten. Doch oft bleibt für die dunkle, schwierige Zeit danach, für das langsame ‘Zurückkehren’ und die Aufarbeitung literarisch gesehen wenig Platz. Mit (Zeit-)Zeugen ist es dann immer so eine Sache und mit der Erinnerung nach so vielen Jahren, nun ja….

“Und das ist eben das Problem mit der Wahrheit. Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann hier gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.”

In Dunkelblum von Eva Menasse begeben sich nun die Protagonist*innen auf Spurensuche nach eben jener Wahrheit. Was ist damals hier an der ungarischen Grenze passiert? Der fiktive, österreichische Ort Dunkelblum wirkt heute fast unscheinbar. Es ist mehr eine kleine Gemeinde, ruhig und verschlafen, jede*r kennt hier jede*n, manche Bewohner haben so einiges auf dem Kerbholz, andere gehen förmlich in Beobachtungen und Tratschereien auf, aber im Großen und Ganzen wird Jede*r mit seinen Eigenarten so genommen, wie er*sie ist.
Unruhe, sowie Nachforschungen werden hier allerdings nicht allzu gern gesehen und so würden auch einige Dunkelblumer gerne auf die düstere Weltkriegszeit mit all ihren Taten und Ereignissen verzichten. Und das wäre wahrscheinlich auch so geschehen, wäre da nicht Flocke, die Tochter des Weinbauers Malnitz, die widerkehrt und neugierige Fragen zur Geschichte des Ortes stellt und sich ein Grenzmuseum in den Kopf gesetzt hat oder so einige fragwürdige Geschichten, Beschuldigungen und Behauptungen, die durch die Gemeinde geistern, oder das Skelett, dass gerade bei den Grabungen auf der Rotensteinwiese gefunden wurde. Wem gehört es denn? Und was ist damals eigentlich mit den Zwangsarbeitern passiert? Wer war denn damals an diesen ganzen Morden beteiligt? War der Brand des Stadels wirklich nur Zufall? Wer könnte was wissen? Der Ferbenz? Der Lowetz? Der alte Graun und der Horka? Die Resi? Ist an ihren Beschuldigungen was dran? Und was ist es, “worauf sich diese Andeutungen von Verbrechen und Kriegsende, von Gräbern und Arbeitern und fremden Riten überhaupt beziehen sollten?” Fragen über Fragen, die es zu klären gilt und dann gibt es da immer noch den rätselhaften Besucher und hunderte von DDR-Bürger, die hinter der ungarische Grenze darauf warten, ins Land zu kommen… es ist August 1989, eine geschichtsträchtige und scheinbar auch erneut aufwühlende Zeit für Dunkelblum und seine Bewohner*innen.

“Der Erste, der redet, steigt zum Zeugen der Anklage auf. Und alle anderen werden eingetunkt. Wenn es aber, wie in diesem Fall, gelingt, den Ersten, der reden will, aus dem Weg zu schaffen, hinzurichten, wie die Zeitung dankenswerterweise allgemein bekanntmachte, hat das nachhaltige Wirkung. Und auf den Zweiten, der reden will, wird man lange warten müssen. Vielleicht kommt dieser Zweite nie…”

Dunkelblum ist für mich ein ganz besonderes Buch, das aufgrund seines sehr eigenen Charakters lebt und mich irgendwie auch begeistert hat. Dieses Österreichische, Dörflerische, Familiäre, Düstere und Geheimnisvolle, bei dem irgendwie jede*r seine*ihre eigene Wahrheit und Erinnerung hat, ergibt ein sehr spannendes und unterhaltsames Konglomerat, das seine Leser*innen bis zum Ende hin immer wieder aufs Neue überrascht, neue Vermutungen und Zweifel zu Tage fördert oder jene Verdächtigungen bestätigt. Und wenn man es nicht besser wüsste, würde man sagen, der Ort Dunkelblum, mit all seinen Bewohnern und genau dieser Geschichte, existiert und die Aufklärung kann sich nur so abgespielt haben. Eva Menasse beschreibt ein sehr realitätsnahes, wenn auch komplett fiktives, Bild einer durch die Vernarrtheit und Überzeugung im Weltkrieg gesteuerten, aber auch traumatisierten und vergessenwollenden Gemeinde, die durch nachfolgende Generationen zur Erinnerung gezwungen wird. Teilweise geschieht das mit großer Begeisterung und Redebereitschaft einzelner Bewohner*innen, teilweise eben auch mit Schweigen, Vergessen, Vertuschungen. Und so ist es dann auch ein sehr vielstimmiges Buch, das die Leser*innen einiges an Konzentration und auch Zeit abverlangt. Anfangs hatte ich das sehr unterschätzt, denn gerade zu Beginn sind es doch sehr viele Informationen, die bereits Hinweise auf das Folgende liefern, viele Handlungen und Gespräche führen an die verschiedensten Orte der Gemeinde und geben unterschiedlichste Vermutungen und Gedanken preis. Also es ist wirklich viel Input binnen kürzester Zeit und als ich dann das Buch einmal kurz zur Seite legte, um mich anderem zu widmen, fand ich nicht mehr hinein und so wartete es nun lange auf seine zweite Chance. Aber die hat es dann tatsächlich vor einigen Tagen auch verdient bekommen, denn gefühlstechnisch hat es mich sofort wieder abgeholt, nach Österreich gebeamt, begeistert, hin und wieder zu schmunzeln gebracht und sehr neugierig gemacht.

Es ist ein vorn bis hinten klug konstruierter, vielschichtiger Roman in dem verschiedenste Ansichten/Generationen/Erinnerungen und irgendwie auch Zeiten aufeinanderprallen. Man kann sich das Geschehene bildlich vorstellen, wie einerseits eine Ortschronik erstellt werden soll, andererseits es so einigen nicht in den Kram passt, es hier und da Streitereien und neue Erkenntnisse gibt, die dunkle Vergangenheit irgendwie vertuscht bzw. vergessen werden soll und es am Ende irgendwie auf so ein Zwischending hinausläuft. Was genau passiert, mag ich nun natürlich nicht verraten, aber irgendwie hatte ich mir dann doch für das Ende etwas mehr Klarheit oder mehr Aktionismus versprochen, was wahrscheinlich nicht der Realität entsprechen würde, aber für mich wäre es schöner gewesen. Vielleicht war es dann aber auch insgesamt so viel Information, dass man das Buch noch einmal lesen müsste, um wirklich alles zu verstehen, denn wie gesagt, bereits zu Beginn tauchen hier und da schon einige Hinweise auf, es ist ein riesiges Geschichtspanorama einer kleinen Stadt und je nachdem wie man drauf ist, nimmt man mal dieses, mal jenes mehr wahr. Und so hätte es für mich jedenfalls auch eindeutig auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gehört, ich frage mich echt, woran es gelegen hat. Von mir eine klare Empfehlung – schon alleine für die Fülle an Charakterbeschreibungen, die geschichtliche Aufarbeitung und den Umgang mit der Schuldfrage und den aufarbeitenden Wunsch der heutigen Generationen und Zeit.

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Eva Menasse – Dunkelblum.
Kiepenheuer & Witsch.
524 Seiten. 25 Euro. Hardcover.

20. Februar 2022

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