Bücher sind Begegnungen. Menschen, auch. Gut, dass man andere Menschen in seinem Alltag trifft ist nun nicht wirklich überraschend und doch kann so eine Begegnung große Auswirkungen für die Zukunft haben. In dem Roman Der Sprung von Simone Lappert geht es nun um ähnliches. An einem eher verschlafenen, ganz normalen Dienstag steht eine junge Frau mit einer grünen Latzhose auf dem Dach eines mehrgeschössigen Wohnhauses. Sie geht entlang der Regenrinne, schaut hinunter, setzt sich hin und wartet. Doch auf was? Will sie dort ihr Leben beenden und traut sich nicht zu springen? Wie kam sie überhaupt da rauf? Und vor allem was mag ihr Tragisches widerfahren sein?
“Irgendwo in ihrer Erinnerung kurz das Bild eines grünen Autos, aus dessen Fenster sie beim Fahren die Hand hält, sie weiß nicht, wer fährt und wohin, nur Luft zwischen den Fingern, die Ferne verspricht, eine Ahnung von der Weite – ein bisschen so das Gefühl […] beim Fallen…”
Edna ist jedenfalls davon überzeugt, dass die junge Frau springen will und verständigt die Polizei, die mit einem großen Aufgebot in Erscheinung tritt und nun versucht sie zum Herunterkommen zu überreden. Doch die Frau weigert sich und mit jeder verstreichenden Minute, zieht dieses Ereignis in dieser doch sonst so ruhigen Großstadt Schaulustige an, die sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Aber nicht nur das, es ist auch ein Ereignis, das die Anwohner und ‘Nachbarn’ betrifft. Der kleine Laden von Theres und Werner wird überrannt. Die Terrasse von Roswithas Cafe bietet nun einen optimalen Blick und auch sonst scheint sich gerade jetzt das Leben für einige Menschen zu drehen. Doch, wird die junge Frau am Ende tatsächlich springen?
“Je länger er sie beobachtete, desto mehr hatte er das Gefühl, dass sie sich gar nicht umbringen wollte. Dass das nie ihre Absicht gewesen war. Vielleicht dachte sie inzwischen darüber nach, aber nur, weil diese Vollidioten da unten sie auf die Idee gebracht haben.”
“Der Sprung” ist eine Zusammenstellung vieler Leben. Sie alle haben ihre eigene Vergangenheit, ihre eigenen Päckchen, Sorgen und Ängste, die sie mit sich rumschleppen und gerade das macht diesen Roman für mich aus. Lappert beschreibt sehr liebevoll die Eigenarten ihrer Protagonisten und verknüpft sie gekonnt miteinander. “Der Sprung” ist dabei eher eine Art Erzählung des Alltäglichen, sofern man die Frau auf dem Dach nun nicht mit einbezieht. Und doch ist gerade sie die Figur und Attraktion, die Menschen vereint und für so etwas wie ein Wendepunkt/ der Anstoß im Leben steht.
Der Roman wechselt dabei mit jeden Kapitel zwischen den einzelnen Protagonisten. So gibt es da Roswitha, Astrid, Theres und ihren Mann Werner, Felix, Finn, Winnie, Edna, Egon, Manu, einen Designer und weitere Randfiguren, die ihr Leben offenbaren, aber leider auch etwas verwirren. Zumindest hatte ich (als kein Freund vieler Namen) zunächst damit zu tun, den einzelnen Erzählsträngen zu folgen und gedanklich zwischen ihnen zu unterscheiden. Einzelne Figuren sind mir dabei sehr ans Herz gewachsen und wurden dann von der Geschichte, unsympathischer bzw. nicht ganz so liebenswürdiger Menschen, unterbrochen. Natürlich ist dies beabsichtigt, um alles mehr oder weniger zeitgleich erzählen zu können und doch hat es mich manchmal minimal frustriert, mich gedanklich wieder mit dem/der anderen zu beschäftigen. Insgesamt ergibt es trotzdem ein recht harmonisches Gesamtbild, bei dem kein Wort zu wenig gesagt wird, einige überraschende Wendungen auftreten und doch auch emotionale Hürden zu überwinden sind. Und so ist “Der Sprung” dann auch eine großartige Geschichte voller Menschlichkeit, Schicksalen und ‘Verarbeitungsprozessen’, die mich dann vom Gefühl her irgendwie an Bogdans Roman “Laufen”, aber auch an Leupolds “Lavinia” und Kuttners “Kurt” erinnern lässt.
Es ist nun keine dramatische, spannende oder weltbwegende Geschichte und doch würde ich dieses Buch beinahe jedem ans Herz legen, der etwas für andere Menschen übrig hat und vielleicht auch etwas Zeit mitbringt, sich mit den einzelnen Figuren auseinanderzusetzen.
Simone Lappert – Der Sprung.
Diogenes.
336 Seiten. 22 Euro. Hardcover Leinen.
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[…] verbindet, ohne in tiefe Trauer zu verfallen. Vom Stil erinnert er mich damit so ein bisschen an Simone Lappert mit Der Sprung, ein ähnlich faszinierendes, unterhaltendes Buch über das Schicksal und das komplexe Gefüge sich […]