“Es gab mal ein Monster, das Menschen getötet hat…”

Der 27. Januar, kein Feiertag und doch ist es ein Tag, der so wahnsinnig wichtig in der heutigen Erinnerungskultur ist. Es handelt sich nämlich um den internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die überlebenden Gefangenen des Konzentrationslagers in Auschwitz. Auschwitz gilt heute als eines der bekanntesten KZs und gleichzeitig als ein Synonym für die Millionen an Massenmorden, die die Nazis an den Juden und anderen Verfolgten ausübten.
Yishai Sarid, eine der bekannteren Stimmen Israels hat sich nun mit seinem neuen Roman an das große Monster der Vergangenheit und der heutigen Erinnerung(skultur) gewagt. “Monster” – ein Buch, der nicht nur das Grauen der Geschichte widerspiegelt, sondern auch unangenehme Fragen aufwirft und am Ende nicht nur einen Regisseur mit einem Faustschlag niederstreckt.

 

“Das muss man begreifen: Die Geschichte derer, die am Leben blieben ist nicht mehr als eine Fußnote, die wahre Geschichte ist die der sofort Toten, die nicht markiert, nicht registriert, nicht tätowiert wurden, hopp, hopp! direkt in die Kammern.”

 

“Monster” ist ein Buch, das an einer komplett anderen Ecke als alle anderen Zeitzeugenberichte, Biografien und Romane ansetzt und doch so viel Intensität und Aussagekraft über die Grausamkeiten des Dritten Reichs besitzt. Yishai Sarid setzt sich mit einem Stück Geschichte auseinander, das man normalerweise ausblenden, ungeschehen machen möchte. Die letzten KZ-Überlebenden kämpfen mit ihren Erinnerungen und müssen beinahe ständig darauf aufmerksam machen, welches Leid ihnen damals widerfahren ist, damit sich die Geschichte nicht noch einmal wiederholt. Sie werden ständig mit ihren Gedanken und Erinnerungen an ihre schreckliche Kindheit konfrontiert. Aber nicht nur das damalige KZ-Anlagen und eine generelle Erinnerungskultur werden aufrecht erhalten. Was für den einen vielleicht recht spannend erscheinen mag, ist für den anderen eine herbe Herausforderung. In diesem Buch legt ein jüdischer Tourguide einen Bericht über seine Erlebnisse ab. Früher untersuchte er in seiner Doktorarbeit die “Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Arbeitsmethoden deutscher Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg”, nun führt er Schulklassen, Minister und andere Menschen durch die NS-Gedenkstätten. Er schildert ihren Umgang mit dem Holocaust, hinterfragt, was die Menschen zu Mördern gemacht hat und bringt weitere persönliche Beispiele in Bezug auf die Stärkere-und-Schwächere- Beziehung und Inszenierung mit ein. Vor allem geht es ihm um den Umgang mit dem Grauen der Geschichte sowie mit der Selbstinszenierung und Wahrnehmung. Wie wollen wir eigentlich mit der Erinnerung umgehen? Welche gedanklichen Ausflüge zulassen und welche Geschehnisse tabuisieren?
Das Ende des Romans ist bereits bekannt: Der sonst so gelassene Tourguide, der andere für die geschichtlichen Handlungen sensibilisieren möchte und stets ergriffen von den Machenschaften berichtet, schlägt einem Regisseur mit der Faust ins Gesicht. Doch die genaue Ursache bleibt nach wie vor ein großes Gedankenspiel voller aufwühlender Fragen.

 

“Wer von euch hätte einen fremden, verdreckten Jungen gerettet, der nachts an die Tür klopft und damit euch und eure Kinder in Lebensgefahr bringt…”

 

Und Fragen brachte dieses Buch wirklich zahlreich mit sich… Wie würden wir mit der Erinnerung umgehen, wenn die Nazis gewonnen hätten? Würden wir sie als Helden und Befreier feiern? Würden wir eine komplett andere und anders fürchterliche Erinnerungs- und Gedenkkultur haben? Würden wir noch so sein, wie wir sind? Wie würden wir handeln? Und wäre die Welt so, wie wir sie heute erleben? Und was ist generell mit den durch die Medien breit gelatschten ‘feierlichen’ Gedenkminuten und Kranzniederlegungen zahlreicher Politiker? Ist alles nur ein Schauspiel, welches nur an der Oberfläche des Geschehenen kratzen will und ein Protokoll befolgt, das alles andere möglichst vergessen lassen will? Und wie würde alles aussehen, wenn man die KZs nicht ‘weit weg’ in Polen, sondern mitten in Deutschland gebaut hätte? Beruhigte die Landesgrenze die Menschen? Geben wir nun wirklich den Polen Schuld an den Vernichtungen? Wie …
Und gerade diese Gedanken machen dann dieses Buch auch so unwahrscheinlich wertvoll. In der Form eines fiktiven Berichts, eines Beteiligten, der sich tagtäglich mit der Erinnerungskultur auseinandersetzt und persönlich, interessant über das Erlebte aus verschiedensten Perspektiven berichtet. So hat Yishai Sarid mich mit seinen Worten und Gedanken getroffen, mir selbst einen Faustschlag verpasst und mich sehr intensiv mit dem “Monster” verstrickt. Ein jeder könnte, wenn er wollte ein Monster sein.
Daher ist es nun mein größter Wunsch, dass dieses Buch, aufgrund seiner Klarheit, Stärke und auch dem Mut mindestens genauso viel Aufmerksamkeit bekommt wie der aktuell stark besprochene und viel diskutierte Roman “Stella” von Takis Würger, der für mich eindeutig eher zur naiveren Unterhaltungsliteratur gehört.
Navit Barel sagte über “Monster”, dass es “Das wichtigste Buch, das je hierzulande über Moral und Opferrollen geschrieben wurde.” ist. Und ich ergänze, dass es die persönlich fordernste Auseinandersetzung mit dem Geschehenen verursacht und ich dieses dünne Buch daher beinahe schon als Pflichtlektüre erachte.

 

“Denn ohne Stärke sind wir wie Vieh, wir Hühner, abhängig von der Gnade anderer […], wobei es ihnen freisteht, einen Beleuchtungsmast aufzurichten, um uns zu filmen, wie wir zerrissen, zerschnitten, zerstochen, zerschmettert werden, dazu Musik im Hintergrund zu spielen, unser schreckliches Ende in ein Lustspiel zu verwandeln.”

 


Yishai Sarid – Monster

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Kein&Aber.
176 Seiten. 19 Euro. Hardcover.

//Leseexemplar

5. Februar 2019

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