Notes | Jedes Buch ist ein Experiment – ein Interview mit dem Mentor Verlag

Ich möchte gerne eine neue Reihe beginnen und euch an dieser Stelle alle 1 bis 2 Monate einen Verlag vorstellen. Zumindest ich finde es immer wieder äußerst spannend, wie unterschiedlich gerade kleine, unabhängige Verlage mit dem Medium Buch umgehen, welche Nischen sie für sich entdeckt haben und wie sie es genau damit schaffen sich gegen große Publikumsverlage zu behaupten. Der Buchmarkt ist riesig und wird monatlich von zahlreichen Neuerscheinungen geflutet und während gerade die größeren Verlage immer mehr auf Sicherheit und Einheitsbrei setzen, preschen die Kleinsten vor und geben der Vielfalt eine Stimme und verleihen dem Medium Buch durch Haptik, Optik, kleine Kniffe und Design ein ganz neues Leben.

Vor einer Weile bin ich so z.B. auch auf den noch recht jungen, Berliner Mentor-Verlag gestoßen. Mit momentan 19 Büchern (Stand März 2021) besetzt er dabei vor allem die Sparten Jugend-/Kinderbuch und Ratgeber, sowie Kochbuch. Aber es ist nicht nur das, denn bei diesem Verlag habe ich das Gefühl ein Buch ist eben nicht nur ein Buch, das sich einem Thema widmet und dann still und heimlich in dem ein oder anderen Bücherregal verschwindet, sondern jedes Buch ist mehr das Ergebnis einer persönlichen Verbindung von Menschen, Kunst und einer bunten, sich ständig verändernden Gesellschaft. Die beiden Verleger Philipp Merlin Scharff und Niclas Rohrwacher setzen dabei verstärkt auf eine Zusammenarbeit mit dem stationären Buchhandel, sowie den Lesern und der Leserinnen selbst. So entstand z.B. mit dem Buch “Mama Superstar” von Melisa Manrique und Manik Chander nicht nur ein Andenken und eine Sammlung verschiedenster Migrationsgeschichten von elf Mamas und Migrantinnen aus verschiedensten Teilen der Welt, sondern dieses Buch war auch Auslöser für eine ganz besondere Community, die dem (Kunst-)Werk noch einmal zusätzlich Leben einhaucht. Rund um das Buch gab es zahlreiche Events in ganz Deutschland. Es führte Menschen und Kinder aus verschiedensten kulturellen Umgebungen zusammen und die beiden Autorinnen wurden bereits kurz nach Veröffentlichung mit dem Deutschen Integrationspreis ausgezeichnet.

“Wir hangeln uns echt von Experiment zu Experiment, früher haben wir online viel getestet, was gut ankommt, aktuell gehen wir wieder viel stärker über unser Netzwerk an tollen Menschen, die wir kennen, mit denen wir unbedingt zu bestimmten Themen etwas machen wollen.”

So ist es dann insgesamt auch ein eher vielseitiges Programm, das von den verschiedensten Einflüssen lebt, sich in verschiedenste Richtungen bewegt und einen sehr intensiven Dialog und Begegnungen ab Kindesalter ermöglicht. Von laut zu lustig, divers, nachhaltig über weihnachtlich bis hin zu Ruhe, Genuss und Gelassenheit. Von Kind zur Familie und neugierigen, toleranten Menschen. Irgendwie wird man immer fündig und gerade diese weltoffene und inspirierende Mischung macht für mich diesen Verlag mit seinen beiden Verlegern auch so wahnsinnig sympathisch. Der Mentor-Verlag wirkt beinahe wie ein Schubs in die richtige Richtung und mit seinen Büchern scheinen nicht nur die Verleger selbst eine ganz besondere Beziehung einzugehen, sondern sie unterstützen eben auch, beinahe schon wie ein persönlicher Mentor, eine gezielte und über den Tellerrand hinausblickende Erziehung.

Ich durfte vor einer Weile Philipp Merlin Scharff ein paar Fragen stellen und fand es ehrlich gesagt noch einmal sehr spannend ein bisschen mehr über sie und ihre Mission Buch zu erfahren, aber lest selbst…






Ihr wolltet ja ursprünglich mal etwas ganz anderes machen. Irgendwo hatte ich etwas von Informatik gelesen. Was hat euch in die Buchbranche und zur Gründung eines eigenen Verlages geführt? Und bereut ihr es hin und wieder Mal, die bekannten Wege verlassen zu haben? Wir haben früher einmal was ganz anderes gemacht, erst eine App zur Erreichung persönlicher Ziele (auch Mentor) und dann die Factory Berlin, ein großer Startup-Coworking-Campus-Businessclub. Davor, dazwischen und danach noch ein paar andere Sachen. Und jetzt im Verlag schon wieder ganz viel Neues, wir experimentieren gern, deswegen waren wir auch nie lange auf bekannten Wegen unterwegs, deswegen bereuen wir es auch jetzt nicht, wieder etwas neues auszuprobieren, unsere Charaktere zwingen uns sprichwörtlich dazu. Die ersten 2 Jahre des Verlages haben wir mit Absicht nicht nach links und rechts geguckt und erst einmal einen Verlag gebaut, wie wir ihn uns im 21. Jahrhundert halt vorgestellt haben. Dabei haben wir viele Fehler gemacht aber auch recht viel innovatives zustande gebracht, wofür wir auch vor kurzem mit dem SALES AWARD vom Buchmarktforum ausgezeichnet wurden. Den Verlag überhaupt gegründet haben wir, weil er eine tolle Bühne bietet, um „Kunst mit Freund*innen“ zu machen, das ist irgendwie auch schon immer das gewesen, was wir gut können. Menschen verbinden.





Wie kam es zum Verlagsnamen? Seht ihr euch selbst als eine Art Mentoren oder was für eine Bedeutung steckt dahinter? Eigentlich passt der Begriff Mentor für einen Verlag und das Buch an sich ja ganz hervorragend. Ich würde jetzt auch gern sagen, dass der Name in wochenlangen Brainstormingsessions entstanden ist. Ist er aber nicht. Der Name musste für eins unserer Experimente herhalten. Als der Verlag losging, wussten wir noch gar nicht, dass wir einen Verlag bauen, damals haben wir einfach nur ein einziges Buch aus Norwegen in Deutschland zum Vorverkauf angeboten, um zu schauen, was passiert. Als dann auf einmal tausende Leute das Buch haben wollten, mussten wir es ganz schnell auch produzieren und auf einmal waren wir wieder im Experimentiermodus unterwegs. Weil es dann ganz schnell irgendwie alles brauchte, was man halt so braucht, wenn man so aussehen will, als ob man eine echte Firma wäre, brauchten wir auch eine Facebook-Seite. Und wir hatten noch eine von einem unserer Startups davor und das hieß eben Mentor. Ich weiß, klingt irgendwie verrückt, aber so ist das manchmal. Wir benennen uns bald um, diesmal zerbrechen wir uns schon seit Monaten den Kopf darüber, wie wir eigentlich gern heißen würden. Wir zäumen das Pferd als Verleger von hinten auf, haben uns schon viele Leute aus der Branche gesagt, vor allem, weil wir über die Leser*innen bzw. deren Bedürfnisse kommen, was für Verlage untypisch ist, die kommen eigentlich erst einmal über den Inhalt und hoffen dann, dass den jemand will. Und was den Namen angeht, machen wir uns vermutlich auch 3 Jahre später Gedanken darüber, als alle anderen, die einen Verlag gründen. Für uns waren einfach andere Sachen erst einmal wichtiger, haha.





Ihr selbst betitelt euch als Verlag des 21.Jahrhunderts. Bei euch stehen Integration, Diversität und gesellschaftliche Themen im Vordergrund, oftmals in Form von Kinderbüchern. War das bereits der ursprüngliche Plan oder hat sich das einfach so ergeben? Das hat sich auf der Suche ergeben und ergibt sich auch immer noch, wir sind immer noch am experimentieren. Ob das jemals aufhört? Unser erstes Buch war ein Nackenschmerzratgeber. Unsere nächsten Bücher werden vor allem diverse Kinderbücher sein, ganz großartige sogar, aber wir haben auch 4 Bücher für Erwachsene in der Produktion, zu total unterschiedlichen Themen. Themen, die uns bewegen, die aktuell unsere Gesellschaft bewegen. Wir hangeln uns echt von Experiment zu Experiment, früher haben wir online viel getestet, was gut ankommt, aktuell gehen wir wieder viel stärker über unser Netzwerk an tollen Menschen, die wir kennen, mit denen wir unbedingt zu bestimmten Themen etwas machen wollen.





Jedes aktuelle Thema bedient ihr irgendwie mit einem passenden Buch. Welche Richtung liegt euch dabei am meisten am Herzen und was hättet ihr euch vielleicht früher schon mal von den eher klassischen Verlagen gewünscht? Jetzt schmeichelst Du uns! Wir fragen uns auch ständig, ob wir eigentlich einen roten Faden, ein Programm haben. Andere erkennen da bei uns früher eine Linie, als wir selbst. Wir haben keine echte Programmplanung wie die großen Verlage, wir machen einfach, was uns begeistert und vor allem, was Leser*innen begeistert. Das hätte man sich auch generell von klassischen Verlagen früher wünschen können, viel mehr Nähe zu Buchhändler*innen und Leser*innen, um die geht es nämlich eigentlich. Am Ende liegt eine Leser*in mit dem Buch einer Autor*in zuhause auf der Couch, sehr nah beieinander, da ist dann kein Verlag mehr dazwischen, das ist eigentlich eine ziemlich intime Verbindung, die wird aber im Produktionsprozess so nur ganz selten gelebt, da will die eine Seite nichts mit der anderen zu tun haben, kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, vor allem wenn man aus einer digitalen / Social Media / Startup-Welt kommt, wo Kundenfeedback absolut zentral ist. Aber die großen Verlage kommen noch aus einer anderen Zeit, da schwingt häufig noch viel Elfenbeinturm mit.





Der Mensch und das gesellschaftliche Leben und Handeln lebt vom Austausch. Bei Büchern ist das ja häufiger ein bisschen schwieriger die entsprechenden Leser und Leserinnen zusammenzuführen. Klassisch versucht mans mit Leserunden, ihr fördert ganze Communitys. Ist das euer Erfolgsrezept? Es ist eins unserer Experimente. Und in Wirklichkeit ist es mit nichts so einfach, einen Dialog zu starten, wie mit einem Buch, eine 200 Seiten lange Visitenkarte. Der beste Fuß in der Tür für eine Person, eine Sache, eine Message, ein Thema. Wenn Du nach Deinem Buch die Leserinnen nicht in eine Facebook-Gruppe konvertiert bekommst, wo sie sich miteinander zum Thema Deines Buches austauschen können, ist das Buch scheiße. Nachdem Dir jemand stunden-, tage-, wochenlang zugehört hat, muss es doch möglich sein, ihn zu einer Interaktion zu bewegen?! Wenn man das will. Wir wollen und machen das. Aber es wird halt nicht von allen (Verlagen) gewollt. Sebastian Fitzek hat über 1 Millionen Leser*innen-E-Mails auf seiner Liste, der macht das auch ganz gut.





Könnt ihr es euch eigentlich auch mal vorstellen Romane zu veröffentlichen?
Ja, das passiert gerade. Nächstes Experiment!





Und was mir nun persönlich sehr aufgefallen ist. Ihr habt ja bei den Büchern keine eindeutige CI, Größe, Umfang und die Thematiken sind sehr verschieden, am Ende kostet trotzdem jedes eurer Bücher 24,90Euro… gibt’s dafür einen speziellen Grund? Wir wollen, dass sich jedes unserer Bücher selber tragen kann und nicht nach ein paar Wochen in der Schublade verschwinden. In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als 70.000 Neuerscheinungen auf den Markt. Die meisten (viel zu billigen) Bücher kriegen kurz nach Veröffentlichung eine kleine Chance und werden dann als defizitäres Projekt nie wieder gesehen, das ist nicht nachhaltig, finden wir. Manche werden zum Bestseller und subventionieren den Rest, Verlage gehen da mit einer Art Mischkalkulation ran, müssen aber auch ohne Ende publizieren, ganz viel Masse produzieren, damit dieses 1/10 Verhältnis von Gewinnern und Verlierern auch häufig genug durchgespielt wird. Wir hätten uns gar keine Verlierer leisten können, finanziell gesehen. Und wir wollen auch lieber wenig und gut und dafür nachhaltig publizieren, meine Freundin hat das mal als #SlowPublishing bezeichnet, inspiriert von #SlowFashion. Wir verstehen, dass 24,90 € viel Geld für ein Kinderbuch ist. Wir arbeiten auch daran, unsere Preise zu senken. Das tun wir aber erst, wenn wir garantieren können, dass unsere Bücher dauerhaft und nachhaltig mit weniger Budget als aktuell die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Dafür haben wir in 2020 sehr viel getan, ganz viel – Achtung – experimentiert. Und ich glaube, wir haben ein paar interessante Lösungen gefunden. Die Zukunft wird zeigen, ob ich Recht behalte.






Das würde ich den beiden nun sogar mehr als gerne wünschen und bin nun auf die nächsten und übernächsten Themen, Titel, Entwicklungen gespannt. Alles Gute für euch!

Zur Website und zum Programm des Mentor-Verlags geht’s hier >>

Und wie sollte es nun anders sein? Natürlich habe ich mir ein paar Bücher des Programms herausgepickt, die ich euch nun einmal vorstellen möchte:





Foto: Pressefoto Mentor-Verlag

25. März 2021

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