Gerade in der letzten Zeit erscheinen vermehrt Romane in denen die Migration und Selbstfindung in einem fremden Land thematisiert werden. Eigentlich ein sehr tolles Zeichen, dass endlich mal mehr Aufmerksamkeit für die Geschichten von Geflüchteten schafft und von vielen Leser*innen auch sehr dankend mit Neugier und großem Interesse angenommen wird. Bücher können da gefühlt auch wesentlich mehr transportieren als komprimiert zusammengeschnittene TV-Berichterstattungen oder Zeitungsartikel, die es eigentlich nur auf Sensationen und Einschaltquoten abgesehen haben. Bücher, selbst wenn es fiktive Romane sind, für die Autorinnen jahrelang recherchiert haben, geben den Menschen und Erzählenden Raum für ihre Geschichten, einzelne Charaktere begleiten die Lesenden Tage und Wochen und irgendwie entsteht dadurch eine intensivere Bindung, sowie tiefgründigere und emotionalere Auseinandersetzung mit dem Thema. Aber vielleicht habe ich auch nur den Eindruck, dass Filme und Reportagen eher kurzzeitig emotional aufrütteln und dann schnell wieder in Vergessenheit geraten, während Gedrucktes viel mehr von einem selbst verlangt und damit auch länger im Gedächtnis bleibt. Häufig guckt man dabei auch eher in andere Länder oder in Richtung der Außengrenzen des eigenen Landes, schiebt anderen die Schuld für die vorherrschenden Situationen in die Schuhe oder kauft sich mit einer Spende ein gutes Gewissen. Allerdings endet eine Flucht nicht automatisch damit, dass Geflüchtete in einem sicheren Land ankommen, Asyl beantragen oder eine Unterkunft zugewiesen bekommen. Migration ist ein langwieriger Prozess, der wahrscheinlich niemals so wirklich abgeschlossen ist und der von den Betroffenen ständig sehr viel Stärke und Mut abverlangt und sie niemals wirklich ankommen lässt.
“Migrieren ist wie ein Sprung ins wilde Meer – mit geschlossenen Augen. Man weiß nicht mehr, wo oben und unten ist, es ist unangenehm und anstrengend.”
Ein ganz besonderes Buch zu diesem Thema hat mich nun eine Weile lang begleitet und ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, wann ich so freudig und begeistert von so vielen bereichernden und Mut machenden Geschichten über Frauen bzw. “Migrant Mamas” gelesen habe. “Mama Superstar” von Melisa Manrique und Manik Chander umfasst insgesamt elf Portraits von Frauen, die für ihre Kinder Vorbilder sind, vor Jahren nach Deutschland kamen, hier Fuß fassten, häufig an ihre (Verständnis-)Grenzen stießen und dabei stets für sich und ihre Kinder einstanden.
Jede Migrant Mama stammt dabei aus einem anderen Land und jeder ist ein Kapitel gewidmet in dem mittels einzelner Kurzgeschichten die Töchter von ihren Müttern erzählen und von verschiedensten Erlebnissen, Erinnerungen und Verwunderungen berichten. Die Kapitel sind dabei grob in Themen eingeteilt. Neben der Geschichte der jeweiligen Mama, gibt es so z.B. etwas Glückliches, Nachdenkliches, Verblüffendes oder Berührendes zu erfahren, sowie ein kurzes Portrait der Tochter mit einigen Ratschlägen an die Leser*innen bzw. Kinder immigrierter Eltern. Sie alle berichten von verschiedenen Situationen und Kuriositäten. Jedes Kapitel unterscheidet sich dabei dann nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch, sei es durch den Stil der Illustrationen, der Farben oder der Headlines von den anderen. Und getreu nach dem Motto “Liebe geht durch den Magen” endet ein jedes mit einem typisch äthiopischen, indischen, bolvianischen, irakischen, … oder kasachischen Rezept. So vielfältig wie das jetzt schon klingt, so verschieden großartig bis bewundernswert ist es dann auch. Dieses Buch ist mehr wie eine freudige Party, bei der jede Gästin etwas mitgebracht hat und bei der die schönen und besonderen Seiten der kulturellen Vielfalt betont und Migration mit Mut machenden, menschlichen, gar freudigen Geschichten beleuchtet wird.
“Versuche zu verstehen, was es bedeutet, ganz neu in einem fremden Land zu sein. Deine Eltern sind wie Fische, die fliegen – ist das nicht wunderbar? Sie schenken dir zwei Welten, wenn du es ihnen erlaubst.”
Diese vielen kleinen, persönlichen Hinweise und Anekdoten haben mir in diesem Buch noch einmal gezeigt, wie toll kulturelle Vielfalt eigentlich sein kann, sofern wir sie denn zulassen und sofern wir versuchen andere zu verstehen und ihnen in schwierigen Situationen helfen. Wir alle könnten so viel mehr von einander lernen und unser Leben gegenseitig bereichern, mehr Freude und irgendwie auch Leben schenken. Migration ist nie etwas einfaches. Menschen verlassen ihre Heimat um ganz wo anders ein neues Leben zu beginnen, oftmals ist die Reise wahnsinnig kräftezehrend, durch Kriege oder durch das Zurücklassen der Familie sehr tragisch und beängstigend und für viele sogar traumatisch. Und dann erreichen sie endlich das jeweilige Wunschland und ein neuer täglicher Kampf beginnt. Das sogar über mehrere Generationen hinweg. Trotzdem wagen jährlich tausende Menschen diesen Schritt, für eine besser Zukunft, für sich und ihre Kinder.
Wir haben es in der Hand, könnten vieles einfacher gestalten, helfen und vor allem eins – Vorurteile, Wut und Unverständnis abbauen. Und gerade solche Bücher, die eben nicht mit dem Finger ständig aufs Negative zeigen, verurteilen und neue Aggressionen schüren sind dabei Gold wert. Mama Superstar ist für mich ein Buch, das nicht nur optisch und inhaltlich die Vielfalt der Menschen aufgreift, sondern von dem mehrere Generationen und Altersklassen lernen können. Es unterstützt Kinder und Jugendliche Mut zu fassen, ihre Eltern besser zu verstehen, vielleicht sie auch für die kulturellen Unterschiede mehr zu lieben, neugierig zu sein und in den Müttern (und Vätern) mehr eine Art Vorbild zu sehen. Ältere könnten hier wieder erkennen, was hinter dem dann doch oftmals sehr abstrakten Begriff “Migration” steckt, welche tollen, herzensguten Menschen das betrifft, wie viel Mühe sie sich oftmals geben um akzeptiert zu werden und welche Steine und kulturellen Unterschiede ihnen dabei im Weg liegen. Auch die einzelnen Aufrufe der Töchter geben für jede Leser*in zusätzlichen Input und regen zum Nachdenken an.
“Es gibt so viel, was man nicht über seine Mama weiß. Sprich mit deiner Mama und setz dich mit ihr auseinander, auch wenn sie keine Migrantin ist. Außerdem möchte ich, dass du verstehst, dass, wenn Migranten etwas schüchtern wirken, das mit Unsicherheit zu tun hat, weil sie immer wieder in fremden Situationen sind. Bitte nutze das nicht aus. Migranten sind nicht naiv, sondern verhalten sich nur besonders freundlich, weil sie angenommen werden möchten.”
Wer bislang noch nicht erkannt hat, dass ich dieses Buch großartig und sehr wertvoll finde, dem sag ich’s jetzt noch einmal. Mama Superstar steht inhaltlich wie optisch für die Vielfalt und ist rundum eine Bereicherung oder, um die Idee der Party wieder aufzugreifen, es war mir ein Fest dieses Buch mit all seinen Geschichten zu lesen.
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Melisa Manrique und Manik Chander – Mama Superstar.
Mentor Verlag.
150 Seiten. 24,90 Euro. Hardcover.
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