Starke Frauen & ihre Geschichte | Das Leben der Tove Ditlevsen – Die Kopenhagen-Trilogie “Kindheit”, “Jugend”, “Abhängigkeit.”

Tove Ditlevsen ist für mich bereits jetzt die Wiederentdeckung des Jahres. Erstmals erscheint im Frühjahr 2021 ihr autofiktionales Portrait einer Frau in der Übersetzung von Ursel Allenstein in allen drei Bänden auch auf Deutsch. Barndom, Ungdom und Gift sind in Dänemark 1965 bzw. 1971 erschienen und haben bereits damals für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. Gift, was auf deutsch so viel wie Sucht, sowie verheiratet und Gift bedeuten kann, aber auch ihr Roman Gesichter hat sie zu einer der tabulosesten und radikalsten Schriftstellerin Dänemarks gemacht.

Tove Ditlevsens Leben war nicht gerade einfach. 1917 wurde sie als Tochter von Kristine Alfrida Mundus und Ditlev Nielsen Ditlevsen geboren. Schon als kleines Mädchen hegte sie den Traum einmal Schriftstellerin zu werden, doch als Kind der Arbeiterklasse und eben auch als Frau standen die Chancen zur damaligen Zeit recht schlecht und sie wurde häufig für ihren Traum belächelt. Mit vierzehn Jahren verließ Tove die Schule, mit siebzehn zog sie dann von zuhause aus und wurde Dienstmädchen. Ihre erste Gedichtsammlung Pigesind, deutsch: Mädchensinn, erschien 1939, in dem Jahr, als sie auch den Journalisten Viggo Frederik Moller heiratete. Insgesamt liierte sie sich vier Mal. Liebte und scheiterte. Zwei Söhne hat sie auf die Welt gebracht. Drogen, Schwangerschaftsabbrüche, Psychiatrieaufenthalte, sowie Depressionen bestimmen ihr Leben und eben auch ihre literarische Arbeit. Das führt sogar soweit, dass sie ihren Suizid in einer weiteren autofiktionalen Geschichte, Wilhelms Zimmer, 1975 beschreibt, doch die reale Umsetzung misslingt. Ditlevsen wird gerade noch rechtzeitig in einem Wald nördlich von Kopenhagen aufgefunden. Das sollte sie allerdings nicht von ihrem endgültigen Abschied abbringen, denn bereits zwei Jahre später stirbt Tove Ditlevsen im Alter von 58 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten. Der Beisetzung folgten tausende Menschen und Fans der Schriftstellerin um Abschied zu nehmen; ihr literarisches Erbe bleibt. Es gewinnt gerade jetzt wieder an Bedeutung und reiht sie mit ihren autofiktionalen Romanen in einen Kreis mit Annie Ernaux und Rachel Cusk ein.

In dieser Trilogie verarbeitet Tove Ditlevsen ihr Leben, ihre Geschichte, ihre Gedanken, Herausforderungen, Gefühle, Sorgen und Ängste. Kindheit, Jugend und Abhängigkeit schildern dabei die verschiedenen Lebensstadien der Autorin, von ihrer Herkunft und den literarischen Anfängen, über die Auseinandersetzung mit ihrem Umfeld, ersten Möglichkeiten und der Selbstfindung bis hin zum Verlust der eigenen Kontrolle, ihre Exzesse, Ehe und Abhängigkeit. In Kindheit geht es, wie der Titel bereits erwarten lässt, um die ersten Jahre in Toves Leben. Das Kopenhagen der 1920er Jahre. Das Leben der einfachen Arbeiterklasse.
In dieser Zeit verliert ihr Vater mit 43 Jahren seine Anstellung als Heizer, das Verhältnis zur Mutter ist nicht gerade ein einfaches. Es ist insgesamt eine eher schwierige Situation, die ihre Eltern nicht auf ihre Tochter, sondern auch Toves Bruder übertragen.

“Sie sagt :>Auch Kinder armer Leute können Grips haben.< Also mag sie mich vielleicht doch? Mein Verhältnis zu ihr ist eng, qualvoll und unsicher, und nach Zeichen von Liebe muss ich immer suchen. Alles, was ich tue, dient dazu, ihr zu gefallen, sie zum Lächeln zu bringen, ihren Zorn abzuwenden. Das ist eine mühsame Arbeit…”

Und so schlängelt Tove zwischen dem Stolz, der Scham und Enttäuschung ihrer Eltern herum, versucht ihren eigenen Weg zu finden und ihre ersten Träume zu verfolgen. Ihre Freundin Ruth entführt sie ins Leben, zeigt ihr die Stadt, verleitet sie Unrechtes zutun und ist so ganz anders als Tove. Stärker, rotziger, aufgeweckter. Tove probiert sich aus, träumt davon einmal Dichterin zu werden, beginnt Zeilen in ihrem Poesiealbum festzuhalten. Mit der Zeit wird gerade dieses Buch ihr ganzer Stolz, doch von ihrer Familie kann sie nur wenig Unterstützung erwarten. “Bild dir bloß nichts ein. Ein Mädchen kann nicht Dichter werden.” Doch Tove gibt diesen Traum nicht so einfach auf und wird dafür noch so einige Mauern einreißen müssen. Ihre Kindheit endet mit der Konfirmation, fürs Gymnasium wurde sie nicht zugelassen und so beginnt nun ihr Aufbruch ins Leben.

“Hinter mir liegen die Kindheit und die Schule, vor mir liegt das unbekannte und gefürchtete Leben unter Fremden. Zwischen diesen beiden Polen bin ich eingeklemmt und gefangen wie meine Füße in den langen spitzen Brokatschuhen. Ich sitze mit meinen Eltern im Odd Fellow-Palais und höre eine Rede, die davon handelt, dass die Jugend die Zukunft ist, auf die ganz Dänemark baut, und dass wir niemals unsere Eltern im Stich lassen dürfen, die so viel für uns getan haben.”

In den sozialen Medien und auch im Feuilleton gibt es zahlreiche, sich beinahe schon überschlagende Lobeshymnen. Und das zu recht, denn dieser schmale Band beinhaltet so viel. Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, denn neben diesen sehr genauen, klaren Einblicken in Toves Leben bzw. ihre Erinnerungen und ihrer Entwicklung, ist dieser erste Teil auch sprachlich mehr als frohlockend. Ich habe wahnsinnig viele Stellen markiert, bin total fasziniert von dieser Erzählung und dem generellen, aufwühlenden Leben der Schriftstellerin. Gerade ihre Suchtprobleme und das selbstgewählte Ende, ihre Ehen, Zweifel, Probleme, die dann unter anderem im dritten Band zur Sprache kommen werden, beeindrucken mich schon jetzt, wobei beeindrucken hier vielleicht das falsche Wort ist, denn eigentlich ist es eher ein dramatisches, tragisches Leben, das die Autorin um die Vernunft und den Lebenswillen gebracht hat. In Kindheit geht es nun eher um das bedrückende Leben eines kleinen Mädchens, das es eigentlich nie jemand recht machen konnte. Ihre Träume und die Bücher sind dabei so etwas wie Ausflüchte, sie beginnt selbst Gedichte zu schreiben, fantasiert, verpackt ihre Gefühle in größeres, für ihr Alter vielleicht sogar eher untypisches. Kostproben ihrer Dichtung fließen dabei immer wieder in diese Erzählung mit ein, verwandeln dieses Buch in ein buntes Album voller Eindrücke und lassen mich gerade am Ende begeistert, fasziniert, etwas deprimiert, aber auch zuversichtlich zurück.

“Die Kindheit ist lang und schmal wie ein Sarg, aus dem man sich nicht allein befreien kann. […] Der Kindheit kann man nicht entkommen, sie hängt an einem wie ein Geruch. Man bemerkt sie auch an anderen, und jede Kindheit riecht anders. Den eigenen Geruch kennt man nicht und fürchtet manchmal, er könnte schlimmer sein als bei anderen.”

Abgerundet wird dieses Buch von einem Nachwort der Übersetzerin Ursel Allenstein. Sie ordnet dieses Werk noch einmal im zeitlichen Rahmen und dessen Bedeutung, auch auf dem dänischen Markt ein und gibt dem Leben Toves eine Form. Dieses Buch ist einfach ein Kleinod an Persönlichkeit, Menschlichkeit und Leben. Ich bin nun gespannt auf die weiteren Teile dieser Kopenhagen-Trilogie und hoffe dann auch in den kommenden Jahren noch so einiges von Tove Ditlevsen (wieder)entdecken zu können.

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Tove Ditlevsen – Kindheit.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Aufbau.
120 Seiten. 18 Euro. Hardcover.

___weitere Titel der Reihe
Jugend. Aufbau. 154 Seiten. Hardcover. Erscheint im Feb. 2021.
Abhängigkeit. Aufbau. 176 Seiten. Hardcover. Erscheint im Feb. 2021.

8. Februar 2021

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