Starke Frauen & ihre Geschichte | Christina Hesselholdt über das Leben der Vivian Maier

Nicht selten führen Künstlerinnen und Künstler ein sehr faszinierendes, aber irgendwie auch recht eigenwilliges, abenteuerliches oder gar spezielles Leben. Die einen rennen ihrem Blick und Wunsch nach einer anderen Welt nach, andere versticken sich in Verrücktheiten, verlieren sich in Banalitäten, schränken sich immer weiter ein oder werden gar durch Krankheiten in die Enge getrieben. Und wenn man dann darüber nachdenkt, gibt es zahlreiche Beispiele, ganz weit vorn wäre sicherlich Vincent van Gogh, aber ich denke da auch an Künstlerinnen wie Maud Lewis oder Vivian Maier, sogar Sigmund Freud hat sich in seiner Abstrusität verrannt, aber das wäre nun wieder eine andere Geschichte auf die ich an einer anderen Stelle noch einmal eingehen möchte.

Meine Begeisterung für die fotografischen Überlieferungen von Vivian Maier bzw. Vivian Dorothy Maier, wie sie mit vollem Namen hieß, begann mit einem Geschenk. Zu meinem Geburtstag habe ich den Bildband “Vivian Maier, Street Photographer” und die DVD, eine Dokumentation über die Fotografin und ihrem Nachlass, “Finding Vivian Maier” erhalten. Normalerweise schreie ich bei sowas selten hurra, da Fotografie wie Kunst immer Ansichtssache ist und da jeder seine speziellen Vorlieben hat, aber Maiers Schwarzweißaufnahmen fand ich in der Form und unter Anbetracht der technologischen Möglichkeiten bereits sehr beeindruckend und unkonventionell ungestellt. Den Blick für Kurioses im Alltäglichen hatte sie, aber auch ihre Selbstportraits, die meistens mit Spiegelungen zutun hatten, zeigten stets eine sehr ungewöhnliche Frau, was dieses Gesamtbild so faszinierend gestaltete. Christina Hesselholdt hat sich nun mit ihrem Roman Vivian dem Leben jener Künstlerin gewidmet und einen ähnlich eigenwilligen Blick auf ihr Leben und hinter die Fotografien geworfen.

Vivian Maier wurde 1926 in New York geboren. Mit sechs zog es sie gemeinsam mit ihrer Mutter Maria Maier zurück nach Frankreich, wo sie zunächst bei einer Tante unterkamen. 1938 reisten Mutter und Tochter wieder zurück nach New York. Die familiäre Situation war stets schwierig. Ihr Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker, ihre Mutter eine Schnorrerin und selbst ihr Bruder Carl litt unter Depressionen und mutierte zum Junkie. Nach einigen Übergriffen und Auseinandersetzungen mit ihrer Familie und Bekannten, versuchte Vivian ihren eigenen Weg zu gehen. Eine Erbschaft führte sie 1948 wieder zurück nach Frankreich. Sie leistete sich durch den Verkauf des Landguts der Familie ihre erste eigene Kamera und widmete sich ihrer neuer Leidenschaft, der Fotografie. Sie kehrte wieder nach New York zurück, zog etwas später nach Los Angeles, heuerte dort als Nanni an und bestritt ihr Leben fortan als Kindermädchen und Haushälterin gegen Kost und Logis. Ihre Rolleiflex war dabei ihr steter Begleiter. Bereits mit 40 soll sie um die 100.000 Aufnahmen gemacht haben. Ihre Fotografien zeugen sehr eindrucksvoll vom Alltag und Leben auf den Straßen von New York und Chicago.

“Mein Vater ist weg, und künftig werde ich (also Viv) alles von Bedeutung festhalten, was sich mir auf meinem Weg offenbahrt. Ich habe es im Kasten, mein lebenslanger Koffer baumelt irgendwo auf Höhe des Bauchnabels, mein Ledertier, meine Rollei. Sie ist mein geworden. Sie kann mich nicht verlassen.”

2009 starb sie an den Folgen eines Sturzes beinahe mittellos in Chicago. Die einst so akkurate und strikt geordnete Frau verlor sich immer mehr in der Gleichgültigkeit. Einige Jahre verbrachte sie obdachlos und einsam auf Parkbänken und das scheinbar nur, weil sie zahlreiche Schecks der Sozialversicherung nicht einlöste und für ihren ganzen gesammelten Kram mehrere Lagerräume anmietete. Als sie die Miete nicht mehr begleichen konnte, gelangten 2007 neben allerlei Unnützem auch die ersten Schwarzweißaufnahmen an die Öffentlichkeit. Viele ihrer Habseligkeiten wurden bereits vor ihrem Tod eingezogen und auktioniert, aber ihre Bekanntheit erlange Vivian Maier erst kurz nach ihrem Tod, als Ersteigerer in ihrer Hinterlassenschaft tausende Negative, Abzüge und unentwickelte Filmrollen fanden, sichteten und veröffentlichten. Ein erstaunliches, fotografisches Lebenswerk, das, wäre es nach Vivian selbst gegangen, nie für die Öffentlichkeit bestimmt war.

“Ich lasse meinen Schatten auch auf andere Menschen fallen und fotografiere mit abstehenden Schattenellenbogen. Ich werde zu einem Teil ihrer Welt, ohne dass sie es wissen. Ich habe mich selbst in ihr Leben versenkt.”

Für mich ist dieses Buch sehr speziell, denn es ist kein klassischer Roman. Christina Hesselholdt lässt die Geschichte nämlich abwechselnd von einem Erzähler, Vivian und einiger ihrer näheren Bekannten erzählen. Es hat mehr mehr einen Dokumentationscharakter in dem nach und nach das Leben der Vivian Maier, Kindermädchen und Fotografin rekonstruiert wird. Das Erschreckende, wie ich finde, ist allerdings, dass sie gar nicht die typisch, freundlichen Charakterzüge eines Kindermädchens besitzt und auch als (Portrait-)Fotografin wirkt sie in diesem Buch menschlich gesehen nicht gerade zuvorkommend. Vivian hatte keine einfache Kindheit, die sie dann natürlich auch enorm geprägt, vielleicht sogar traumatisiert hat. So wirkt sie insgesamt dann auch eher kratzbürstig, eigenwillig, stur, bockig, anstrengend, vielleicht sogar messi-haft und stets versucht die Zeit bzw. Erinnerung bildlich festzuhalten oder gar anzuhalten. Und mit ihrem ‘Spleen’ hat sie damit etwas großartiges der Menschheit hinterlassen. Ihre Fotografien lassen neben den zahlreichen Schnappschüssen, in Szene gesetzte Menschen- und Tieraufnahmen, auch einen eher gesellschaftskritischen Blick zu. Die Gegenüberstellungen von arm und reich, schicksalhaften Begegnungen und Bilder ihrer selbst werfen dabei einen Blick auf die ganze amerikanische Gesellschaft, die Unterdrückung, das System und die eigene Abgrenzung. Vivian erscheint mit ihrer Kamera und ihrem Mantel oftmals wie eine Zeitreisende und gerade das faszinierte mich enorm an ihrer dieser Figur Vivian Maier. Dass Hesselholdt nun eine Mischung aus fiktiven Gesprächen und Gedanken, sowie Stimmen ihrer Arbeitgeber und betreuten Kinder und Kurzbeschreibungen ihrer bekanntesten Bilder einsetzt um das Portrait dieser besonderen Künstlerin zu zeichnen, hat mich irgendwie neugierig gemacht, aber beim Lesen auch teilweise bestürzt. Ich hatte mir Vivian schon recht eigenartig vorgestellt, aber diese Erzählungen übertrafen dann doch noch einige meiner Erwartungen und machen alles nur noch skurriler.

“Man verstand, dass der Spiegel eine andere Welt ist, die mit uns macht, was ihr gefällt, die uns ertränkt und erschüttert. Deshalb nutze ich bei meinen Selbstporträts auch so gern Spiegelungen. Mir gefällt es, ganze Reihen von Spiegelungen zu erschaffen, sodass das Motiv in einer Welt nach der anderen untergeht.”

Auch Fragmente des Textes selbst fand ich teilweise sehr eigen, wie die Begrüßung des Erzählers mit “(ich bin’s, der klappert … wenn ich den Deckel anhebe, um nachzusehen, ob die Charaktere schon kochen)”, einige abschweifende Passagen, Zeitsprünge oder Sätze wie “Als ich an dem Beet mit den meterhohen Fingerhüten […] vorbeiging, peitschte einer von ihnen gegen meine Schulter wie ein Penis …”. Und so empfinde ich dann dieses Buch insgesamt auch eher speziell, aber dafür sehr klug und interessant gemacht. Diese Erinnerungen und Gespräche geben dem Ganzen nämlich einen eher unterhaltenden Charakter und nehmen dem Leser die Erwartungshaltung einer perfekten Biografie. Diese Einblicke sind toll um mehr über Vivian Maiers Leben und Hintergründe zu erfahren, allerdings muss man sich auf die Art der Erzählung einlassen können. Aber (und das ist irgendwie ein recht großer Kritikpunkt) ich hätte mir wenigstens so eine Art Nachwort und zusätzliche Einordnungen dieses Textes gewünscht, da dies ausbleibt, ist eine gewisses Grundwissen über diese außerordentliche Künstlerin und ihre Aufnahmen eine Voraussetzung um wirklich viel mit diesem Roman anfangen zu können. Vivian ist eher eine Ergänzung oder ein Ausschnitt und kein ihrer Arbeit wirklich gerecht werdender Roman, daher bin ich mir nun auch etwas unsicher, ob ich es wirklich jedem empfehlen würde und dies ein gutes ‘Einsteigerbuch’ wäre oder ob ein Bildband sich mehr lohnt und ich diesen Roman eher ‘Kennern’ raten möchte. Es bleibt euch überlassen, ich mochte es trotz einiger Kritikpunkte recht gern.

“Heute hat etwas in mir gesagt: Ich habe genug von der Menschheit gesehen. Aber der Müll die Verpackung die Haufen der Menschheit, das wäre vielleicht etwas, in das man hineintauchen könnte.”

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Christina Hesselholdt – Vivian.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Hanser Berlin.
208 Seiten. 21 Euro. Hardcover.

11. August 2020

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