Spiritualität | “Der Ruf von Mutter Erde” und die Überlieferungen der letzten Anden-Schamanen

Spiritualität ist ja, wie ich finde, so ein sehr abstrakter Begriff und wird leider häufig im allgemeinen Sprachgebrauch genutzt um etwas in die Hokuspokus-Schublade zu stopfen, aber das ist es einfach nicht. Spiritualität hat viel mehr mit dem Lebensverständnis, dem Einklang der Seele mit der Umwelt, dem Hier und Jetzt, sowie der Wertschätzung des Lebens, des Raumes und der Umgebung zutun. Früher gab es gerade in diesem Bereich sehr viel Wissen und praktische Anwendung, aber irgendwie ist das im Laufe der Zeit und vieles durch die stets fortschreitende Urbanisierung verloren gegangen und Städter ‘ticken’ da heutzutage teilweise eh noch einmal ganz anders, als Menschen in den ländlicheren Regionen oder Oasen abseits des Trubels. Die indigenen Völker und Stämme hatten früher eine sehr intensive Beziehung zur Mutter Erde, zu den Göttern und dem Leben an sich. Wenn man heutzutage in unseren Breiten von Schamanen hört, denkt man meistens gleich an befremdliche Buschtänze eines Mannes mit Körperbemalung, verrücktem Kopfschmuck, Opfergaben und Beweihräucherung, und ja, sowas mag es in den abgelegenen Gegenden der Welt auch noch geben, aber eigentlich steckt hinter diesem ganzen kulturellen und religiösen Prozedere noch etwas ganz anderes – tiefe Verbundenheit und Respekt. Wenn man sich nun mit dieser Thematik so ein bisschen auseinandersetzt, weiß man, dass diese Traditionen durch die Ausrottung einzelner Völker und den Einfluss der westlichen Mächte immer weiter aussterben. Vergleichend kann man nun sagen, dass es so ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Glauben an Gott oder kennt ihr noch jemanden, der vor dem Essen betet und dem Herrn dafür dankt und auch außerhalb der Feiertage in die Kirche geht? Genau.
Aber, und das finde ich ganz schön, es gibt auch Menschen anderer ‘Kreise’, die alte, vor dem Aussterben bedrohte Weisheiten und Traditionen aufgreifen, ihrem Gefühl nachgehen und diese, angepasst an die heutige Zeit, weitergeben. Das Buch Der Ruf von Mutter Erde von Madita Böer ist zum Beispiel so etwas. Madita Böer ist eigentlich Hispanistin, Körpertherapeutin und Geschaftsführerin der Gesellschaft zur Förderung regenerativer Mikroorganismen, aber seit 2010 lernt sie die schamanische Andentradition und ist so etwas wie die Botschafterin der Andenschamanen. Bei ihr war es tatsächlich so eine Art Ruf, den sie verspürte und der sie dann zu den Paqos, den Nachfahren der Inka, führte.

In ihrem Buch Der Ruf von Mutter Erde – Die kostbare Weisheit der letzten Anden-Schamanen hat sie nun einige dieser Überlieferungen und Erklärungen der Elemente gebündelt. Neben der Kosmologie der Paqos stehen die drei Säulen der Andentradition, inklusive der Kunst des Despachos und Schamanische Übungen zur eigenen Stärkung, Erdung, Heilung und Verbindung im Fokus. Nach einer kurzen, persönlichen Einführung, die den Weg Bröers umschreibt, geht es sofort um die wichtigsten Begrifflichkeiten und Ansichten der alten Schamanen.

“>Llapan Kawsay Pacha!< – >Alles ist lebendige Energie<, sagen die Paqos. Dieser einfache Satz mag zunächst oberflächlich erscheinen, weil wir ihn schon in unzähligen spirituellen Büchern gelesen und gehört haben. Doch wer die Andentradition kennenlernt, merkt schnell, dass in ihr diese Wahrheit gelebt wird. Denn die Anerkennung, dass alles um uns herum lebendig ist, setzt unsere Perspektive auf das Leben merklich in Bewegung.”

Und diese (Lebens-)Energie ist immer um uns rum. Sie kann nach Ansicht der Paqos ohne Materie existieren und durchdringt einfach alles. Kawsay ist Bewusstsein und genau das ist beinahe auch der Schlüssel zu allem. Sei dir bewusst, dass du lebst, dass deine Umgebung lebt und alles voneinander abhängig ist und eine Art Wechselspiel eingeht. Nur wenn du mit der Natur interagierst, kannst du auch deine eigene Natur entdecken. Die Paqos glauben an Pachamama. Sie ist die Mutter von Zeit und Raum und somit auch die heilige Verbindung zur Natur. Ihr werden Zeremonien abgehalten, in deren Mittelpunkt ein materialisiertes Gebet, das Despacho, steht. Hierzu werden auf einem Tuch in einem ein- bis zweistündigen Ritual Gaben mandalaförmig angeordnet, mit Wünschen versehen und anschließend verbrannt. Dieses Ritual ist dabei eine der Säulen der Andentradition und wird in diesem Buch auch sehr intensiv mit Anleitung erklärt. Die zweite Säule bildet dann die Energieübertragung und Initiation. Man unterscheidet dabei Sami, die leichte und geordnete Energie, die unser eigenes Körper- und Energiesystem nährt und Hucha, die schwere und chaotische Energie voller Gedanken, Sorgen und Ängste, die wir an unsere Umwelt abgeben (müssen). Dieses sollte nahezu ausgeglichen sein bzw. das Gute sollte überwiegen, quasi wie das Kohlenstoffdioxid, das sich aufgrund unseres Lebens in uns anreichert und wir als Abfallstoff ausatmen und von den Pflanzen/der Natur aufgenommen wird. Gemeinsam mit Licht und Wasser produzieren diese ihren ‘Abfallstoff’ Sauerstoff, der uns wiederum zum Leben dient. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen. Diesem Kreislauf Ayni kann man nicht umgehen, er findet immer statt und beschreibt somit diese Wechselwirkungen zwischen uns und der Natur, anderen Lebewesen, Orten, dem Raum. Die dritte Säule bildet dann die Mesa, die heilige Arbeit mit Steinen.

“Jeder Stein auf diesem Planeten hat diesen gesamten Prozess [Entstehung der Welt, vom Urknall bis heute] durchlaufen. Im Vergleich dazu ist der Zeitraum, in dem wir Menschen existieren, nur ein kleiner Seufzer im großen kosmischen Atemzyklus.”

Steine “Rumi” sind in der Andentradition so etwas wie Weisheitshüter und bewusste, lebendige Wesen. Und eine Mesa ist dabei eine Steinsammlung, die einem hilft sich zu heilen und sich “mit der Natur auszurichten”. So könnte man das Wesen und die Grundlagen der Andentraditionen zumindest einmal grob beschreiben. Bröer macht genau das in ihrem Buch noch einmal viel ausführlicher. Zusätzlich gibt es sogar noch fünf schamanische Übungen und Meditationen, die dem Leser helfen sollen sich mit der Erde zu verbinden, sich zu reinigen, auszurichten und neu aufzuladen.

Ich würde nun schon sagen, dass ich auf der Reise durch dieses Buch sehr viel über die Traditionen und Ansichten der Anden-Schamanen gelernt habe und doch empfand ich Madita Böers Erzählungen und ihren “Ruf” zunächst wirklich als etwas zu spirituell und abgehoben. Ihren Weg zu den Paqos und ihre Erlebnisse fand ich dabei irgendwie nett, hätte sowas in diesem Fall gar nicht erwartet. Böer beschreibt anschließend die einzelnen Thematiken und erklärt die Räumlichkeiten, doch auch da ist dieser Funke nicht gleich übergesprungen. Also man merkt schon, dass sie sich sehr intensiv und lange mit den Traditionen auseinandergesetzt hat und diese auch selbst praktiziert und lehrt, aber dafür, dass dieses Buch dann doch eher etwas persönlicher ist, war es mir wiederum nicht mitreißend genug und für rein informatives Buch zu persönlich erklärend und wiederholend. Daher würde ich nun eher sagen, dass sich dieses Buch für einen ersten Einstieg in die Schamanenwelt und Andentradition darstellt und dank den Schamanischen Übungen und Meditationen zum Download nützliche Elemente mitliefert, sich dennoch eher als ‘Auffrischung’ oder Ergänzung zu ihren angebotenen Kursen eignet. Also es ist zwar in sich rundum stimmig, sehr informativ und hat durch diesen Audio bzw. Anwendungsteil einen sehr großen Mehrwert, aber so rund um glücklich und informiert fühle ich mich zumindest auch nach diesem Buch noch nicht. Also Einstieg ja, aber für mich könnte es da ruhig noch umfangreicher und tiefgründiger sein.
Optisch und haptisch macht dieses Buch (und das muss ich an dieser Stelle wirklich betonen) so einiges her. Die Gestaltung ist für einen Ratgeber von arkana schon sehr besonders. Das Cover symbolisiert für mich diese Erdverbundenheit und im Zentrum steht dann dieses lackierte Ornament, das sich dadurch so ein bisschen abhebt und Kraft ausstrahlt. Auch der Innenteil ist dementsprechend sehr anschaulich und traditionswürdig gestaltet und die gewählte Farbfamilie ist dazu insgesamt sehr harmonisch aufeinander abgestimmt. Insgesamt ein sehr, sehr schönes Buch, das gleichzeitig Lust auf mehr macht… also falls jemand hier einen guten Tipp für mich hat, gerne immer raus damit.

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Madita Böer – Der Ruf von Mutter Erde
Die kostbare Weisheit der letzten Anden-Schamanen.
arkana.
256 Seiten. 22 Euro. Hardcover.

27. Juni 2020

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