Starke Frauen & ihr Leben | Len Howard – Wenn Vögel die Welt bedeuten

Ist dir Len Howard ein Begriff? Wahrscheinlich auch nicht, aber es ist ja leider meistens so, dass Frauen in der Geschichte ‘etwas untergingen’ oder ihre Forschungen und Beobachtungen von ihren männlichen Kollegen und Wissenschaftlern nur selten anerkannt wurden. Ähnliches könnte nun Gwendolen “Len” Howard berichten. Sie wurde 1894 in England, als jüngstes Kind des Dichters Henry Newman Howard und seiner Frau Florence Howard geboren. Nachdem sie sich nach der Schule zunächst der Musik verschrieb, sich zur Bratschistin ausbilden ließ und Teil eines Orchester wurde, widmete sie sich in ihrer zweiten Lebenshälfte den einheimischen Vögeln. Um 1942 zog sie in das Dorf Ditchling, im Süden Englands, lebte fortan allein in einem eher abgelegenen, kleinen Haus und begann dort ihre tierischen Gartenbesucher zu beobachten. Sie war keine studierte Biologin und doch untersuchte sie das Lernverhalten, den Gesang, bei dem ihr ihre musikalische Ausbildung zu Gute kam, und die Charakterzüge der Vögel. Die Beziehung zu ihren gefiederten Freunden wurde dabei so innig, dass sie mit ihnen so etwas wie eine Wohngemeinschaft bildete. Die Tiere flogen in ihrem Haus ein und aus. Howard fütterte sie und sie schliefen in einem der zahlreich von ihr aufgestellten Kartons zwischen Bett, Gardinenstange und anderen Ablageorten.

Ihre Untersuchungen über die Kohlmeisen, Rotkehlchen, Sperlinge, Amseln und Co veröffentlichte sie in zwei Büchern, ihren Vogel-Biografien, “Birds as individuals” (1952) und “Living with birds” (1956) und stellte die Behauptung auf, dass individuelle Intelligenz auch bei Vögeln zu finden wäre.
Während ihre männlichen “Kollegen” ihre Forschungen in laborähnlichen Zuständen nachgingen und Vögel züchteten, versuchte Howard den wilden Vögeln vor allem Sicherheit zu geben und sie unter natürlichen Umständen zu beobachten. Ihre liebsten Vögel waren dabei die Meisen mit denen sie z.B. auch das Klopfen übte. Im Alter von 79 Jahren verstarb Len Howard in ihrem kleinen Bird Cottage.

“Das Buch von Konrad Lorenz, in dem er sein Zusammenleben mit verschiedensten Tieren beschreibt, wird viel ernster genommen, wahrscheinlich weil er eine entsprechende Ausbildung gemacht hat, wissenschaftliche Artikel schreibt, ein Mann ist. Dabei sind seine Beobachtungen weit weniger originell als meine. Überdies haben sich die Vögel hier aus freien Stücken entschiedenen, bei mir zu wohnen, während Lorenz seine Tiere selbst aufzieht und damit ihr Verhalten beeinflusst. Das ist ein ganz anderer Ansatz.”

Eva Meijer hat nun dieser faszinierenden Frau einen Roman gewidmet. Mit Das Vogelhaus greift sie die Lebensgeschichte und irgendwie auch Leidensgeschichte Len Howards auf und beleuchtet das feine, zerbrechliche Gefüge zwischen den Menschen und der sie umgebenden, fliegenden Tierwelt. Wie man bereits vermuten kann, ist es insgesamt eine eher ruhige und unaufgeregte Erzählung. Meijer beschreibt zunächst Howards Kindheit und ihr frühes Interesse für Vögel. Sie und ihr Vater nehmen häufiger verletzte Vögel bei sich auf. Als sie sich dann auf die Musik fokussiert und eine Anstellung in einem Orchester findet, zieht Len in die Großstadt. Ihre Familie fühlt sich von ihr verlassen und gerade ihre Mutter hat damit sehr zutun. Derweil lernt Howard die Liebe kennen, aber irgendwie scheint sie dabei kein Glück zu haben. Und so kommt es dann, dass sie sich zurückzieht, eine kleines Haus auf dem Land erwirbt und sich den Vögeln widmet.

In ihrem Roman greift Meijer nun sehr geschickt Howards Lebensgeschichte und ihre Beobachtungen mit auf. Abwechselnd gibt es die sogenannten Sternchen – Kapitel, in denen sie die Forschungen thematisiert. Sternchen ist dabei so etwas wie ihr Versuchsmodell und scheinbar auch allerliebster Vogel. Sie beschreibt ihre Gedanken und die Beziehungen zwischen den einzelnen Vögeln, sowie die Klopffortschritte mit Sternchen. Das mochte ich wirklich gern. Allerdings waren gerade diese Kapitel auch sehr nötig, denn ansonsten passiert in Len Howards Leben kaum etwas Aufregendes. Mit ihren Büchern erlangt sie etwas Ruhm, wobei Zeitungsjournalisten und andere Forscher ihre Untersuchungen hinterfragen, sie kämpft gegen einen Vergnügungspark und bekommt ungewollte Besucher, wobei sie stets in ihrer eigenen, zerbrechlichen und ruhigen Vogelwelt bleibt und alle anderen abschüttelt. Eventuell hätte man gerade diese aufwühlenden Ereignisse und Gedanken mehr in den Vordergrund rücken können, um etwas mehr Spannung zu erzeugen, aber vielleicht kommt dieser Roman, so wie er eben jetzt auch ist, dem Leben dieser Vogelkundlerin einfach am nähsten. Dieses Buch beschreibt eine ganz eigene Welt und verhilft dem Leser dabei selbst zur Ruhe zu finden. Für zwischendurch war es für mich genau der richtige Roman und irgendwie ist es auch ein Anreiz mich mehr mit den Frauen, die Geschichte schrieben bzw. in den unterschiedlichsten Gebieten nun mal auch Vorreiterinnen waren, zu beschäftigen. Also ein sehr schönes, ruhiges Buch über den Mensch, die Natur und das Leben selbst.

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Eva Meijer – Das Vogelhaus.
Aus dem Niederlängischen von Hanni Ehlers.
btb.
320 Seiten. Hardcover | bereits als Taschenbuch erschienen.

24. Juni 2020

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