Auch wenn in diesem Jahr der Winter auf sich warten lässt, wenn er denn überhaupt noch kommt, ist gerade jetzt die passende Zeit für “Wintergeschichten”. Ich weiß selbst nicht, warum ich von diesem Buch so angetan war und es unbedingt lesen wollte, denn eigentlich ist ‘ältere’ russische Literatur nun so gar nichts für mich bzw. ich tue mich damit immer sehr schwer. Und dennoch ist “Wintergeschichten” von Anton Čechov auf meinem Lesestapel gelandet und hat gerade mir in den letzten Tagen sehr viel Spaß bereitet.
In diesem Fall, auch um seine Texte später besser einordnen zu können, beginne ich ausnahmsweise Mal mit einem kurzen, biografischen Aufriss. Anton Čechov erblickte 1860 in Tagenrog, im südlichen Russland, die Welt. Er wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen auf, studierte dann dank eines Stipendiums in Moskau Medizin und entdeckte kurze Zeit später seine Vorliebe für Theaterstücke und Erzählungen. Diese waren dann sogar sehr erfolgreich und machten ihn finanziell unabhängig, sodass er seinen Arztberuf nur wenige Jahre ausübte. Er erkrankte dann an einer Lungentuberkulose und zog aufgrund dessen später auf die Krim (da sich das mediterrane Klima positiv auswirkt), heiratete 1901 die Schauspielerin Olga Knipper und verstarb dann leider einige Jahre später in Badenweiler.
“Wintergeschichten” ist nun eine Sammlung, die einige seiner Werke zwischen 1882 und 1899 beinhaltet. Teilweise sind diese 26 Erzählungen geprägt durch die vorherrschende kältere Jahreszeit, aber großteils auch komplett unabhängig von Schnee- und Eisthemen zu betrachten. So fahren wir mit seinen Protagonisten mal Schlitten, wünschen uns Gaben vom Tannenbaum, kehren zu den Feierlichkeiten zur Familie zurück oder nehmen Abschied. Und dabei dreht sich dann vieles um Liebe, Geld, Sehnsucht, Freude, aber auch Bestürzung, Diebstahl, Krankheit, Aufgabe und Tod. Manchmal stecken die Zeilen voller Ironie, manchmal schneiden sie eher ernstere Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft und den einzelnen Ständen an. Teils sind ihre Hauptpersonen einfältig, gar dämlich könnte man sogar sagen, manchmal auch eher niedlich. Und wenn man dann Čechovs Leben so betrachtet stellt man hier und da so einige Parallelen fest. Vielleicht verraten seine Erzählungen zeitgleich auch viel über ihn, die Liebe, Erkrankung und das Leben selbst. Und gerade durch diese Mischung wird dieses Buch dann irgendwie auch spannend. Im Nachwort heißt es zwar, dass die Auswahl und Anordnung eine Gegenüberstellung von jüngeren und reiferen Texten Čechovs sind, aber für mich ist dadurch eher so eine thematische Abwechslung zwischen heiteren und ernsteren Themen, Gedanken und Ereignissen entstanden. Ich selbst habe ständig irgendwelche Bilder vor Augen gehabt, diese typisch, russischen Figuren mit ihren Pelzmäntelchen und Mützen gesehen und ihre Stimmen gehört. Und das dann eben sehr lebendig durch diesen ständigen Wechsel kurzer und längerer Erzählungen.
“Sie kann ohne ihn nicht mehr leben. Zwar hat sie vor dem Fliegen nach wie vor Angst, doch inzwischen verleiten jene Worte von der Liebe der Angst und Gefahr einen besonderen Reiz. Worte, die nach wie vor ein Rätsel bleiben und das Herz schwer machen. In Verdacht stehen immer dieselben zwei: ich und der Wind …”
Jetzt ist es natürlich spannend, die im Frühjahr erscheinenden “Sommergeschichten” mit diesen hier zu vergleichen. Vielleicht ergibt sich daraus noch einmal ein ganz anderes Bild, vielleicht sind diese dann eher von Čechovs Krim-Aufenthalten geprägt oder eine Sammlung heiterer Ansichten und festlichen Anlässen? Eins ist sicher sie werden genau so vielschichtig und lebendig sein und das Bild über den russischen Literaten und die damalige Zeit vervollständigen. Ich bin jetzt schon gespannt.
Anton Čechov – Wintergeschichten.
Aus dem Russischen von Peter Urban.
Ausgewählt von Christine Stemmermann.
Diogenes.
272 Seiten. 22 Euro. Hadcover Leinen.
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