Beziehung auf Zerreißprobe – “Benzin” von Gunther Geltinger

“Nichts [ist] sinnloser als eine Tankstelle ohne Benzin. Sie stehen ratlos vor der trockenen Zapfsäule. Erst jetzt sieht Vinz das Pappschild an der Wand der Baracke: Sorry no fuel. Drinnen verstärkt der Anblick des halbleeren Kühlregals sein Gefühl des Ausgebranntseins. Maybe tomorrow…”

 

Doch warum mussten sie auch gerade jetzt hier landen? Warum musste es in ihrer Beziehung kriseln und warum haben sie ausgerechnet einen Mann auf dunkler Strecke angefahren und sind nun doch mehr vom Weg abgekommen, als zueinander zu finden?
Und genau diese Fragen stellt man sich mit Gunther Geltingers Roman Benzin. Es ist ein eher anspruchsvoller Roadtrip-Roman, der Vinz und seinen Mann Alexander ins südliche Afrika führt. Hier wollen sie Klarheit erlangen und ihre offene Beziehung retten. Doch dies scheint leichter gesagt als getan, denn bereits am ersten Abend macht ihnen ihre geplante Route zu schaffen. Ein Unfall auf den Weg zum Urlaubsdomezil stellt für ihre bereits lädierte Beziehung eine neue Herausforderung dar und mit ihr, einen neuen Mitreisenden. Unami, der verletzte, junge Mann aus Simbabwe bietet sich ihnen als Guide an und stachelt die Widersprüche zwischen ihnen erneut an. Vinz ist Schriftsteller und nutzt das Leben und eben auch seine Erlebnisse während des Roadtrips als Material für seinen nächsten Roman. Kurz zuvor hat er sich neu verliebt, hängt jedoch auch weiterhin an Alexander. Doch dieser, so scheint es, hat bereits aufgegeben. Ihre Beziehung hängt am seidenen Faden, mehr platonisch als intensiv und irgendwie entzweien sie sich immer mehr, kämpfen um die Aufmerksamkeit ihres neuen Begleiters, begehen ungeplante Wege und…

 

“.. ihn schaudert bei dem Gedanken, in die Menge einzutauchen, Teil von ihr zu werden, ein Mensch ohne Privilegien, mit nichts als seiner Hoffnung. Welcome to hell, sagt Unami resigniert, als hätte er längt gewusst, was sie hier erwartet.”

 

Aufgrund der Vielschichtigkeit ist es gar nicht mal so einfach Gunther Geltingers Roman in kurz zusammenzufassen. Dies ist mein etwa 7. Versuch eine Rezension zu schreiben und es endet einfach immer gleich. Benzin lässt mich irgendwie nicht los und egal wie ich anfange, immer wieder überlagern die sehr bedrückenden Bilder dieses Kontinents, bei dem man hauptsächlich die faszinierenden, künstlerischen Tierszenen im Kopf hat, meine Gedanken. Geltinger erzählt in seinem Buch von einem Land der Armut. Man spürt die Nachwirkungen der Apartheit, den aufrührend, menschenunwürdigen Umgang sei es an Kontrollstationen oder in den verarmten Dörfern oder gar durch die Beschreibungen von qualvollen Gewaltakten an ‘Verrätern’. Und genau diese Bilder sind es dann, die sich einbrennen. Geltingers Protagonisten bahnen sich ihren Weg durch Südafrika, Richtung Norden. Sie tauchen ein in Land der Gegensätze, in dem Zerrissenheit, Angst, Willkür, aber auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft, herrschen. Und gerade das spiegelt sich dann auch in der Beziehung der beiden Männer wieder. Ihre Geschichte, ihre sehr verschiedenen Charaktere, ihr Liebesspiel, das Auseinanderdriften, der Kick jemand neues zu finden und die Angst den anderen zu verlieren. Wir begleiten die beiden auf ihrer beeindruckenden Reise auf insgesamt 26 Kapiteln, von A bis Z, und lernen eine ganze Bandbreite von Vorurteilen, Vertrauen, Gewalt, Liebe und Verrat kennen.
Ich lüge, wenn ich behaupte, dass das Erforschen dieses Romans mir total einfach gefallen ist, denn die Verständnishürden, die sprachliche Präzision und die Themenvielfalt haben mich manchmal enorm herausgefordert, sodass ich dann auch nur recht schleppend vorangekommen bin, zwischenzeitlich etwas die Lust und Begeisterung verlor, aber am Ende einfach von der Gesamtheit sehr fasziniert bis überrollt berichten kann. Und so ist es dann auch irgendwie ein gewaltiges Highlight… denn wenn Geltinger etwas beherrscht, dann ist es die emotionale, kräftige, aber auch sehr bildhafte Sprache. Dieses Buch ist sehr komplex und doch lohnt es sich gerade über den üblichen Tellerrand zu blicken und den unkonventionellen Roadtrip der beiden zu verfolgen.

 

“Bevor er die Tür schließt, blickt er noch einmal zurück, als müsse er sich vergewissern, dass es die Wirklichkeit ist und nicht doch nur eine Romanszene, die hinter ihm liegt…”

 

 

Oder in kurz: ein anspruchsvoller, intensiver und vielschichtiger Abenteuerroman über Homophobie, Flüchtlinge, politische und gesellschaftliche Strukturen eines fragilen Landes, Gewalt, Liebesbeziehung uvm.

 

Gunther Geltinger – Benzin
Suhrkamp.
377 Seiten. 24 Euro. Hardcover

5. Juli 2019

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