Vögel. Buntes Federvieh, das einfach so vom Himmel stürzt. In Hitchcocks Die Vögel greifen sie noch scharenweise die Menschen an. Oh, wie ich diesen Film geliebt habe. Schon als Kind saß ich völlig gebannt vor dem Fernseher und noch heute finde ich dieses Stück Filmgeschichte aufgrund seiner Animation und dem Grundgedanken, dass sich die Natur gegen den Menschen auflehnt, total faszinierend. Möwen, Krähen, Sperlinge… sammeln sich und stürzen plötzlich vom Himmel und hacken auf die Menschen ein. Auch in Victor Pouchets Gedanken dreht sich vieles um herabstürzende Vögel, allerdings nicht unbedingt von sich aus. In Warum die Vögel sterben beginnt nämlich alles mit einem mysteriösen Vogeltod.
“Es ist komisch […] aber als ich hier ankam, hatte ich keine Angst. Ich habe bei mir und den Nachbarn diese verstreut herumliegenden Vögel gesehen und fand es beinahe schön. Ein bisschen wie ein Gemälde, wissen Sie, eine Art Jagdmotiv, aber sehr chaotisch. Ja, es war wirklich schön.”
Und da passieren sie, diese ‘Vogelunfälle’. Sie fallen einfach so in Scharen vom Himmel und kaum jemand interessiert sich dafür. In Bonsecours, dem Heimatort des Ich-Erzählers ist ähnliches passiert. Pouchet hat gerade eine Trennung hinter sich gebracht und müsste sich eigentlich voll und ganz auf seine Studienarbeit konzentrieren und doch möchte er diesem Phänomen nachgehen. Er hat nämlich eine sehr ‘besondere’ Bindung zu Vögeln. Mit sieben Jahren hatte er kurzzeitig einen grün-gelben Papagei aufgelesen, der sich knapp ein Jahr später tief verstört selbst dahinraffte. Auch Hitchcocks Die Vögel ist für ihn kein unbekannter Film und hatte schon früh sein Interesse geweckt. Und nun auch diese Todesfälle. Mittels einer spontanen Seine-Kreuzfahrt flieht er daher kurzerhand aus Paris und will sich dem Ursprung der Vorfälle nähern. An Bord ist er scheinbar der Jüngste unter den Passagieren und führt einige interessante Gespräche und das, obwohl er selbst kaum Ahnung von der Ornothologie zu haben scheint. Dort kreuzt auch die Vizekapitänin seinen Weg und er verliebt sich in sie. Doch dies sollte wie gewohnt nur ein kurzfristiger Ausflug sein, denn bereits einige Stationen später, geht er in Rouen von Bord, widmet sich erneut seinen Forschungen und entdeckt doch wieder anderes als ursprünglich geplant…
“Ich war an Bord gegangen, wie man sich auf ein großes Abenteuer wagt, das sich in eine kleine Nichtigkeit verwandelt hatte und sich vielleicht wieder in ein großes Abenteuer zurückverwandeln würde, wer weiß. […] Ich hoffte darauf, meine Flucht zu einer Expedition zu machen, und fand allmählich Gefallen an diesem Wechselspiel, das war der Unterschied.”
Ob es sich hierbei nun um einen autobiografischen Auszug aus dem Leben Victor Pouchets selbst handelt oder alles doch auf fiktiven Gegebenheiten beruht ist fraglich. Jedenfalls war mir der Ich-Erzähler, der auch den Nachnamen Pouchet trägt, auf Anhieb sehr sympathisch. Vielleicht lag es an der Anmerkung, dass er schon als Kind Hitchcocks Vögel mehrfach gesehen hat, vielleicht ist es auch einfach die generelle Faszination an Vögeln und der Fakt, dass er seine Studienarbeit etwas hinauszögert. Pouchet erzählt mit einer gewissen Faszination von verschiedenen Vögeln. Seine Gedanken, seine Erlebnisse, seine Ahnenforschung bilden eine interessante Mischung. Ich kann jetzt nicht sagen, dass es ein einfacher Roman ist oder ein total spannender, denn dafür plätschert die ganze Handlung so ein bisschen zu sehr vor sich hin und findet keine wirkliche Antwort. Es scheint so, als würde er sich selbst nie so recht festlegen wollen und geht dann konsequent weiter, um etwas neues zu beginnen und dessen Ende dann auch wieder offen zu lassen. Und so war ich dann recht häufig gefangen in gedanklichen Weiterverstrickungen, dass es mir manchmal recht schwer gefallen ist, das Gelesene auf Anhieb so wahrzunehmen wie es ist. Ich bin recht häufig abgedriftet oder habe nach Fakten über Pouchet, Bonsecours und die Vogelabstürze gesucht… und das ist dann für mich tatsächlich etwas ganz seltenes. Ich konnte auch während des Lesens nicht gerade behaupten, dass es nun ein wahnsinnig großartiger Roman ist, aber im Nachhinein wächst meine Begeisterung für dieses Buch mehr und mehr. Und so möchte ich auch gerne glauben, dass es sich hierbei um einen autobiografischen Auszug handelt, dass es dieses Naturkundemuseum genauso dort gibt, dass Félix-Archimède Pouchet zu den Vorahnen des Autors zählt, dass er selbst diese Seine-Fahrt unternommen und auch seine Studienarbeit in diesem Rahmen stattgefunden hat. Denn genau das alles macht ihn irgendwie als Menschen so spannend und sympathisch. Aber nicht nur das, ich habe auf diesen 189 Seiten so viele großartige Sätze und Gedanken entdeckt, dass es sich schon alleine wegen ihnen gelohnt hat dieses Buch zu lesen.
Und wer sich am Ende dann tatsächlich noch fragt, was mit den Vögeln wäre…
“Mit den Vögeln der Normandie kenne ich mich nicht so gut aus, aber ich schätze, dass es viele Gründe für die Abstürze geben kann: Schockerlebnisse innerhalb einer Kolonie, kollektive Anfälle von Wahnsinn, Massenpanik, Vergiftungen.”
Es ist eher ein Anstoß für Entdecker, Menschenkenner, Vogelbeobachter oder einfach Denker, die sich gerne mal verrennen und nie so wirklich ankommen. Für viele wird es wahrscheinlich schwierig an diesem Roman Gefallen zu finden, da ihm tatsächlich etwas an Spannung oder dramatischen hochemotionalen Krisen fehlt und das große Aha-Erlebnis ausbleibt. Für mich war es allerdings ein ruhiger Roman, der sich eigentlich erst nach dem Lesen so wirklich entwickelt und mich auch gedanklich auf komplett andere Wege geleitet hat. Und gerade das finde ich auch spannend ohne dass es wirklich spannend war. Kurzum Ich fand ihn toll.
Victor Pouchet – Warum die Vögel sterben
Aus dem Französischen von Yvonne Eglinger.
Berlin Verlag.
192 Seiten. 22 Euro. Hardcover.
//Leseexemplar.
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