Wenn ein Land plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten wird. Scheinbar nicht mehr existiert und doch mehr denn je ums Überleben kämpft. Wenn Ressourcen langsam zur Neige gehen, Informationen und Handel mit anderen Ländern wegbricht sodass eine ganze Insel plötzlich komplett auf sich allein gestellt ist. Geschehen in Island – zum Glück nur fiktiv in Sigríður Hagalín Björnsdóttir’s Roman “Blackout Island”.
“Natürlich fangen die Leute an, sich alle möglichen Sachen einzubilden, aber wir hätten doch mitkriegen müssen, wenn irgendetwas passiert wäre, oder? Es reißt doch nicht einfach so der Kontakt zum Rest der Welt ab.”
Und doch ist es geschehen. Plötzlich ist jegliche Verbindung zur Außenwelt verschwunden. Ausländische Internetseiten, Telefonverbindungen, Kontakte gekappt, Schiffe und Flugzeuge vom Radar verschwunden und ein Land gänzlich auf sich allein gestellt. Wir begleiten hier die Geschichte einer Familie, die auseinander bricht und aufgrund der politischen Lage immer mehr von einander getrennt wird. Während auf der einen Seite das Ministerium versucht für Stabilität, Sicherheit und Ruhe zu sorgen, beginnt auf der anderen Seite ein Kampf ums Überleben. Die letzten Reserven wurden zur Seite geschafft, der Schwarzmarkt und Tauschgeschäfte blühen auf, Geld und Besitz verlieren zusehends an Bedeutung.
Mittendrin Hjalti, María und ihre Kinder Magrét und Elias. Eine ehemalige Familie die ‘bunter’ nicht sein könnte. Während Hjalti für die Zeitung und später fürs Ministerium arbeitet, hat María mehr und mehr das Problem ihre Familie zusammenzuhalten und zu versorgen. Ihre 13 jährige Tochter Magrét driftet ab und gerät an eine Jugendgang. Der jüngere Elias fällt bereits aufgrund seiner Hautfarbe aus dem hier bekannten Raster. Und sie selbst, als Geigenspielerin mit ihren spanischen Wurzeln, die vor gerade einmal 15 Jahren die isländische Staatsbürgerschaft erlangt hat, steht mehr oder weniger vor dem Ruin, da Musik und Kultur einfach nichts mehr wert zu sein scheinen und alle nur noch auf Nahrung aus sind. Es beginnt ein harter Kampf, zwischen Aushalten, Überleben und der Hoffnung, dass alles irgendwann wieder besser sein wird.
“Wir hoffen das Beste und arbeiten wie Tiere, bloß nicht zu viel überlegen, bloß nicht daran denken, dass die Gesellschaft auseinander brechen kann, wie ein Strick, der reißt, ein Stoff, der sich in tausend Fäden auflöst.”
Blackout Island ist ein Roman, der mich tatsächlich sehr beschäftigt hat. Es geht hier nicht einfach nur um die Abschottung eines Landes. Es geht um viel mehr. Die aufkeimende Form von Nationalismus und Faschismus. Wenn die Nahrung knapp wird, kämpft der Mensch mehr und mehr um sich selbst und beginnt, andere auszugrenzen. Die Vorstellung wie Menschen aufgrund eines plötzlichen ‘Kollaps’ nach und nach zu Barbaren werden und die ganze Industrie, sowie Kultur und Gesellschaft zerbricht, einzig um Nahrung kämpfen und auch nichts anderes mehr zulassen, ist ein erschreckendes Schauspiel des Möglichen. “Vorwärts Island” heißt es, eine Bewegung die hier entsteht und gefeiert wird, während auf der anderen Seite Menschen von der Gesellschaft nicht mehr gehalten und verdrängt werden. Es erinnert dabei an die Machenschaften des dritten Reichs, Menschen werden wegtransportiert, eingesperrt und sich selbst überlassen bis sie zugrunde gehen. Es erinnert aber auch an heute. An die Menschen, die groß nach Nationalismus, Rassismus und Faschismus schreien. Menschen, die andere Menschen jagen und ausgrenzen, zwar aufgrund eines anderer Ausgangspunkte, aber Zusammenhänge werden auch hier deutlich – die Angst und das Abgehängtfühlen. Die Angst, sich selbst nicht mehr versorgen zu können und von anderen viel zu sehr eingeschränkt zu werden. Angst, Neid und Egoismus. Wenn der gut bezahlte Beruf nichts mehr wert ist und die Landwirtschaft einen Boom erhält und gerade die Bauern und älteren Menschen mit ihrem Wissen wieder neu gefordert werden.
Dieser Roman hat mich daher sehr zum Nachdenken gebracht, auch wenn ich es zunächst gar nicht erwartet hatte. Zu Beginn dachte ich noch eine Verbindung zu Jocelyne Saucier mit “Ein Leben mehr” oder gar Paolo Cognetti mit “Acht Berge” entdeckt zu haben – ähnlich die Stimmung, das Gefühl, die Sprache. Doch dann wurde es immer spannender und interessanter auf inhaltlicher Ebene und gerade das rechne ich diesem Roman hoch an. Vom Sprachstil recht locker und leicht und dennoch hat er eine enorme Aussagekraft. So hab ich dieses Buch innerhalb eines Tages regelrecht verschlungen. Einziger Kritikpunkt: Es ist zu kurz. Man liest dieses Buch einfach so weg und gerade zum Ende hin stören mich etwas die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Kapiteln. Als sich die ganze Situation zuspitzt hätte ich mir mehr Handlung, Spannung und Inhalt gewünscht, denn der Plot zieht sich in eine etwas ruhigere Ecke zurück und lässt am Ende doch noch so einiges offen.
“Es gibt nichts zu tun außer schreiben, sich erinnern und schreiben. […] jetzt kann ich eine Chronik der zurückliegenden Ereignisse schreiben, das Verlorene beweinen, die Vergangenheit bezwingen, mir ins Gedächtnis rufen, wie die Verbindung abriss, das Licht schwächer wurde, wie die Dunkelheit hereinbrach.”
Sigríður Hagalín Björnsdóttir – Blackout Island
aus dem Isländischen übersetzt von Tina Flecken
Suhrkamp.
Seiten. 10 Euro. Taschenbuch.
Leseexemplar // Vielen Dank an Suhrkamp.
1 Comment
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