Normalerweise bin ich bei Romanen mit Liebesbeziehungen immer etwas vorsichtig, gar zurückhaltend, oftmals driften sie ins Kitschige ab oder sind so gänzlich irreal zuckersüß bis flockig, dass ich einfach keine Freude daran hätte. Vielleicht gehören Bücher mit Liebessülzen auch generell eher zur Herzschmerzfraktion oder leichteren Kost, wer weiß. Aaaaber vor kurzem habe ich eine Ausnahme gemacht und mich an eine Liebesbeziehung der besonderen Art gewagt. In dieser Form für mich eine Premiere, doch es hat sich wirklich gelohnt. “Den Himmel stürmen” von Paolo Giordano hat mich bereits mit dem ersten Blick in die Herbst-Vorschau des Rowohlt-Verlags fasziniert und mich auch jetzt beim Lesen sehr begeistert.
“Es gibt immer viel vom Leben eines anderes zu erfahren […] Man hört nie auf damit. Und manchmal wäre es besser, man würde erst gar nicht anfangen.”
Teresa besucht, wie jedes Jahr in den Sommerferien, ihre Oma in Apulien. Eigentlich ein sehr ruhiger Ort und für das Mädchen scheint das Leben dort oftmals still zu stehen. Doch dies soll sich schleunigst ändern, als sich Bern und Teresa erstmals in die Augen sehen. Bern, Tommaso und Nicola werden auf dem benachbarten Hof von Cesare und seiner Frau sehr isoliert, unter dem Schirm Gottes erzogen. Sie seien eine Art Sekte, so heißt es.
Als Teresa sie dann eines Abends im Pool ihrer Oma entdeckt, ist es um sie geschehen. Teresa wirkt fasziniert von den Jungs und möchte mehr über sie erfahren. Angezogen von Bern, besucht sie die Jungs nun beinahe täglich auf dem Hof. Zwischen den Vieren entwickelt sich zunächst eine Freundschaft und mit den nachfolgenden Sommern entfacht zwischen ihr und Bern auch die erste große Liebe. Als er dann im darauf folgenden Jahr nicht mehr da ist, möchte Teresa von Apulien nichts mehr wissen. Sie verlieren sich aus den Augen.
Als Teresas Oma verstirbt und ihr die Villa vermacht ist sie beinahe gezwungen zurückzukehren. Beim Begräbnis taucht Bern wieder auf, die Anziehung entfacht sich neu und es beginnt für Teresa ein neues, altes Abenteuer. Sie bricht ihr Studium ab, zieht zu Bern und seinen Freunden, die nach dem Verschwinden Cesares den Hof besetzt haben und nur im Einklang mit der Natur leben wollen. Am Rande der Legalität setzen sie sich für die Freiheit von Tieren und insbesondere für Olivenbäume ein. Doch alles scheint sich mehr und mehr zuzuspitzen bis Teresa am Ende beinahe alles verliert. Aus dem einstigen Abenteuer, wird ein Kampf um die Existenz, um Freundschaft und vor allem um Verständnis.
“Es kann sein, dass sich bereits damals ein anderes Gefühl unter meine Traurigkeit mischte, eine Art intensive Zuneigung. Und genau das war das Unheil, wenn ich es recht bedenke: Was Bern anging, sollte ich nie lernen, das eine von dem anderen zu trennen.”
Dieses Buch nahm mich mit auf eine Reise. Eine Reise über 20 Jahre hinweg, in ein fremdes Leben, das ganz und gar nicht einfach erscheint und im Vergleich zu meinem gänzlich verschiedenen ist.Teresa und Bern, eine blinde Liebe, die normalerweise schöner nicht sein könnte, aber hier oftmals zur Genervtheit meinerseits führte. Gerade Teresas Naivität und das Hinterherlaufen mit der rosaroten Brille, die ihr ganzes Leben durcheinander bringt, fernab von Sinn und Verstand empfand ich häufig als sehr schwierig – nicht im Sinne vom Lesen und Verstehen, sondern vom Menschlichen aus betrachtet. Dennoch verursachten die Handlungen und Gespräche mit und um sie herum ein sehr emotionales Erlebnis aus Mitfreude, Hoffnung, Trauer, Frust und Wut. Giordano hat es geschafft im Rahmen dieser Geschichte ein Wechselspiel aus Sehnsucht, Nähe, Verlust, Angst, Vertrautheit und einen Hauch Glauben und Beständigkeit einzufangen, umgeben von der Weisheit und Liebe der Familie und der Großmutter Teresas. Die Aufs und Abs machen diese Geschichte so spannend möglich. Sie ist wie das Leben selbst. Für mich war hier kein Wort zu viel, keine Handlung zu wenig. Giordano hat mich mit seiner Geschichte in den Bann gezogen, denn wenn er etwas kann, dann Gefühle und Stärke in einzelne Worte und Umschreibungen zu packen, die manchmal erst etwas brauchen, bis sie ihre gesamte Wirkung entfalten und einen gänzlich aufwühlen.
Es ist ein Roman, für alle, die etwas mit Empathie, Gefühlen und Liebe anfangen können, fern ab von schnulzigen Happy Ends, mit großartigen Wendungen und einem großen Geheimnis.
“Man hört nie auf, jemanden kennenzulernen … Es wäre besser, man fängt erst gar nicht damit an.”
Ich sehe diesen Roman bereits als Film vor mir, sei es durch die Bildhaftigkeit, die entstandene Verbindung zum Leser oder durch die Story als solche, und hoffe nun einfach auf eine baldige Verfilmung, die ich mindestens genauso gern schauen werde. Bis dahin bleibt mir dann noch die Möglichkeit seine anderen drei Romane für mich zu entdecken, denn “Den Himmel stürmen” war mein erster Giordano und die anderen werden nun nach und nach folgen.
Paolo Giordano – Den Himmel stürmen
übersetzt von Barbara Kleiner
Rowohlt.
528 Seiten. 22 Euro. Hardcover.
//Leseexemplar. Vielen Dank an den Rowohlt Verlag.
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