Roman | Der Aufbruch ins eigene, unabhängige Leben… “Ohne mich” von Esther Schüttpelz

“Wieso glauben eigentlich immer alle, dass schlechte Entscheidungen nur solche sein können, die man nicht aus freien Stücken getroffen hat?”

Wenn man der Ich-Erzählerin in Esther Schüttpelz’ Roman Ohne mich glaubt, kann man sich auch sehr gut mit eigenen Handlungen ins Unglück stürzen. Erst vor kurzem hat sie geheiratet, sich für ein Jura-Studium entschieden, und sich ausgemalt verwegen und glücklich ins Leben zu stürzen. Sie ist erst Mitte zwanzig und doch fühlt es sich bereits jetzt so an, als hätte sie gehörig verkackt. Ihre Ehe, deren Grund sie kaum noch nachvollziehen kann, ist bereits gescheitert und befindet sich in den Endzügen. Kurz nach ihrer Trennung, schließt sie ihr Studium und Referendariat ab, doch so wirklich überzeugt ist sie nach wie vor nicht davon. Sie möchte weder das lernen müssen, das sie nicht interessiert, noch einem stupiden Schreibtischjob nachgehen und fragt sich wie sie so blöd sein konnte, ausgerechnet Jura zu studieren. “…na gut, eigentlich [ist] schon vieles daran, interessant, doch dass ich die Dinge nur begreifen, sie aber nicht anwenden will. Ich möchte nichts davon sein, nicht mitmachen, nur zusehen, verstehen. Und auch das nicht unbedingt.” Und genau das wird ihr eben erst jetzt klar, so kurz vor dem Ende. Aber ist es nicht genau das, was das noch junge Leben prägt? Dinge, in die man sich hineinstürzt, mit der Hoffnung das Richtige gefunden zu haben und dann doch enttäuscht zu sein? Und während sie noch in der Heimat, im beschaulichen Münster geblieben ist und sich nun manchmal etwas einsam fühlt, sind ihre Freunde bereits in andere Städte aufgebrochen. Doch wird es ihnen dort wirklich anders ergehen?

“Da sitzen sie jetzt, meine Freunde, in ihren WGs oder in ihren ersten gemeinsamen Wohnungen, und was uns heute verbindet, ist, neben längst auserzählten Erinnerungen an die Schulzeit, nur noch das Gefühl, im eigenen Leben ersetzbar zu sein. Warum diese Stadt, warum dieser Job, warum dieser Partner. Fragt sich jeder für sich, ganz allein. Es könnte auch alles ganz anders sein, aber wäre das besser?”

Ich kann mich noch genau an meine Zeit nach dem Studium erinnern, gefangen in so einem Gefühl zwischen Euphorie, dem großen Drang endlich etwas bewegen zu können, dem Abschied von Schul- und Studienfreunden und der verzweifelten Suche nach sich selbst und seinen Wünschen und dem Korrigieren von früheren Entscheidungen. Und irgendwie hat Esther Schüttpelz es geschafft genau diese Ungewissheit und den Aufbruch bzw. das Befreien von naiven, fast schon jugendlichen, unüberlegten Impulsen und Gedanken einzufangen. Es ist keine Geschichte, die plotgetrieben auf ein großes Ahhh-Erlebnis zusteuert, für mich ist es mehr so ein Zustandsroman. Eine Suche nach dem Ziel, dem Weg und irgendwie auch dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Es ist eine beispielhafte Auseinandersetzung mit dem anfänglichen, eigenständigen Leben und den vorherrschenden Themen des frühen Erwachsenenalters. Was fange ich mit mir an? Wo will ich hin? Ist das alles wirklich so richtig? Und da glaube ich, dass dieser Roman sehr von Esther Schüttpelzs eigenen Gedanken und Erlebnissen geprägt wurde. Die Parallelen im Lebenslauf könnten zumindest auf dies hindeuten.
Und auch wenn ich das schon wieder sehr faszinierend finde, fehlten mir im Roman selbst manchmal so ein bisschen Nähe und Tiefe. Ich konnte die Protagonistin nicht immer greifen bzw. hatte häufig das Gefühl, dass auch sie eher ein austauschbarer Charakter ist… was einerseits natürlich diese Allgemeingültigkeit zusätzlich verstärkt, aber leider auch so ein bisschen Distanz und Kühle aufbaut, wenn nicht sogar Begeisterung für das Gelesene raubt. “Ohne mich” umkreist das Ende der ersten großen Liebe, den Beginn des ‘richtigen’ Lebens und irgendwie auch das Verlassen von alten Wegen… sehr gewichtige Themen und doch so leicht verpackt. Und auch wenn dieser Roman mich nicht vollends begeistert mitgerissen hat, so bin ich für diesen gedanklichen Rückblick und diese Geschichte, die zeigt, dass niemandem das Leben einfach so in den Schoß fällt, sehr dankbar.

“Ich […] schließe die Wohnungstür hinter mir, drehe mich nicht noch mal um und gehe. Mit jedem schritt, den ich mich entferne, spüre ich, wie ich leichter werde. Nichts ist weg von dem, was mich unter die Wasseroberfläche zieht, doch verstaut ist es, zurückgelassen und eingesperrt in den vermüllten Zimmern, denen es entsprang.”

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Esther Schüttpelz – Ohne mich.
Diogenes.
206 Seiten. 22 Euro. Hardcover.

17. April 2023

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