Roman | Wenn der Sohn auf rechte Wege gerät… “Was es braucht in der Nacht” von Laurent Petitmangin

Sie waren mal eine Vorzeigefamilie. Der Protagonist ist in diesem Fall, ein Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Parteimitglied einer linken Vereinigung, Fußballfan und umsorgender Familienvater. Doch als seine Frau mit 45 Jahren an Krebs stirbt, verliert er nicht nur sie, sondern auch ein Stück weit den Bezug zu seinen beiden Kindern. Fus und Gilou, 10 und 7, sind sein ganzer Stolz, doch zwischen Arbeit und Haushalt bleibt für den Familienvater nur noch wenig Zeit für die beiden. Das einzige Highlight, das ihn noch mit Fus verbindet, ist das wöchentliche Fußballspiel. Aber irgendwie läuft es, zumindest in der ersten Zeit…

“Ich hätte Fus gegenüber trotzdem mehr Druck ausüben sollen. Stattdessen sah ich tatenlos zu, wie es allmählich mit ihm abwärtsging. Seine Schulhefte waren schlampig geführt, aber welche Bedeutung hatte das schon? Meine Energie brauchte ich für meine Arbeit bei der Bahn, um vor den Kollegen und dem Chef zu bestehen und meinen verdammten Monteursjob zu behalten.”

Und gerade diese fehlende Energie und fehlende Aufmerksamkeit, sollte sich dann rächen, denn bei einer Plakatieraktion sah ein Parteikollege seinen Sohn Fus wie er mit den Rechten des Front National rumhängt. Doch statt mit seinem Sohn die Auseinandersetzung zu suchen, folgen nur ein paar kurze Nachfragen und viel Ignoranz. Der Vater zieht sich zurück, redet mit Fus kaum noch ein Wort, die einzige Verbindung bleibt der jüngere Gilou. Doch auch er kann seinen Bruder nicht retten. Fus rutscht weiter ab, er wird von Extremlinken angegriffen, es eskaliert und die Tragödie nimmt seinen Lauf. Doch was tut man als Vater, wenn er eigene Sohn so in die falsche Richtung abdriftet? Was wenn man sich nichts zu sagen hat und doch so viel? Was bleibt eigentlich noch übrig, wenn alles schon zu spät ist?

“Und ich? Ich schämte mich. Und es beschämte mich, dass wir von nun an damit leben mussten. Was immer wir tun würden oder wollten, Tatsache war: Mein Sohn machte mit den Faschos gemeinsame Sache. Und soviel ich begriffen hatte, fand er großen Gefallen daran.
Wir steckten in eine verdammten Schlamassel. Die Mutti konnte echt stolz auf mich sein.”

Eigentlich eine sehr spannende Ausgangslage, aber “Was es braucht in der Nacht” konnte mich weder mitreißen, noch hat Laurent Petitmangin bzw. die Übersetzung von Holger Fock und Sabine Müller meine Erwartungen erfüllt. Zumindest dachte ich, man könnte mehr in die Gedankenwelt des Vaters blicken, es würde einen Austausch und aufeinanderprallende Meinungen/Welten geben, aber das einzige, was da kommt, ist ein beklemmendes, sich hinziehendes Schweigen, ein sich aus dem Weg gehen und damit irgendwie auch zulassen, dass Fus weiter ins Unglück rennt. Aber gut, dass der Vater nicht gerade der selbstbewussteste ist und den engen Bezug zu seinen Kindern verloren hat, fällt recht häufig durch Sätze wie “Oh, was würde Mutti nur sagen?” auf. Generell stieß mir dieses Wort “Mutti” sehr negativ auf, denn wenn ein Mann um die vierzig/fünfzig von seiner verstorbenen Frau spricht, dann immer “Mutti” sagt und die Kinder am Ende ja auch schon um die 20 Jahre alt sind und “Mutti” immer noch sehr präsent … das finde ich schon sehr schwierig, zumindest an der deutschen Übersetzung.
Ansonsten gibt dieser Roman wirklich nur sehr wenig her. Das bekannte gewalttätige Aufeinanderprallen von Links- und Rechtsextremen, Schwierigkeiten zuhause und das zögerliche bis fast nicht vorhandene Einschreiten nimmt man als Leser*in zwar wahr, aber dieser Text und das Gesagte berühren kaum, alles plätschert mehr vor sich hin und die Sogwirkung fehlte mir komplett. Es ist quasi eine interessante Nebenbeiunterhaltung, die die Leser*innen fordert, denn man weiß, was passieren kann und wofür rechte Kreise bekannt sind, aber man wird eher mit einer untätigen Person, die von fast allem überfordert scheint und fragwürdige ‘Mittel’ einsetzt, konfrontiert. Das macht es schwierig. Und so erkenne ich dann auch keinen, wie in den Zitaten aus dem französischen Buchhandel versprochenen “Faustschlag”, keinen umhauenden und Atem raubenden Roman, der einem die Kehle zuschnürt, mitreißend, überwältigend und vor Leben sprüht… eher ist es das komplette Gegenteil, das in seiner Form allerdings der Realität viel zu nahe kommt. Und vielleicht ist das dann auch eher das Beklemmende an diesem Roman, das beschriebene Nichtstun, bis es in Übergriffigkeit und einer Tragödie endet. (Wobei auch da, hätte man aus dieser Geschichte eindeutig mehr herausholen können).

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Laurent Petitmangin – Was es braucht in der Nacht.
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller.
dtv.
158 Seiten. 20 Eur0. Hardcover.

12. Mai 2022

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