Roman | Carolina Setterwalls zutiefst bewegende Auseinandersetzung mit dem Glück des Lebens und dem plötzlichen Ende

Dass das Leben nicht immer geradeaus verläuft und so einige Schicksalsfälle, Hürden und Tiefs bereit hält, ist wahrscheinlich nahezu jedem Menschen bewusst. Mache trifft es härter, manche leichter oder vielleicht mit etwas Glück auch gar nicht. Das Leben ist quasi eine Wundertüte und nahezu täglich, ach eigentlich sogar sekündlich kann sich alles um 180 Grad drehen und aus dem glücklichsten und schönsten Moment wird plötzlich der schlimmste Tag, wenn nicht sogar eine leidvolle, sich ewig hinziehende Qual. Wir haben es nicht in der Hand und das Leben scheint etwas wahnsinnig flüchtiges zu sein, ein falscher Schritt, der falsche Ort oder eine falsche Sekunde und es rafft uns dahin. Gefahren lauern quasi überall, selbst in der eigenen Komfortzone. Wie es sich anfühlt, nichts ahnend den liebsten Menschen in seinem Leben zu verlieren schildert Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) sehr eindrucksvoll in ihrem autofiktiven Roman Betreff: Falls ich sterbe

Mit dem Titel ihrer Geschichte greift sie eine E-Mail auf, die ihr Lebensgefährte Aksel ihr eines Tages, während der Arbeit am 8.Mai 2014, aus heiterem Himmel zukommen lässt. Im Anhang befindet sich ein Dokument und eine Auflistung aller Passwörter und Vorstellungen im Falle seines Todes. “Falls ich sterbe.rtf Hoffen wir das Beste! Lg Aksel” Zunächst sorgt seine spontane Vorsorge bei Carolina eher für wahnsinnige Aufregung. So nüchtern und unsentimental kann nur ihr Freund sein. Seit ihrem Kennenlernen vor 5 Jahren sorgte seine Zurückhaltung in Sachen Gefühle immer wieder für Aufregung. Selbst für seinen Sohn Ivan konnte Aksel sich erst so wirklich nach der Geburt begeistern und wäre es nach ihm gegangen, wer weiß, ob sie dann überhaupt ein Kind bekommen hätten. Doch Carolina sah im Alter von 35 ihre Zeit verstreichen und so setzte sie ihm mehr oder weniger ein Ultimatum… ein Kind oder das war’s. Und so kam dann ihr Sohn Ivan zur Welt. Änfänglich sorgt dieser für sehr viel Euphorie, gepaart mit Angst etwas falsch zu machen, zu wenig zu machen oder nicht genug für ihn da zu sein. Und während Carolina sich voll und ganz dem Kind widmet, versucht Aksel stets seinen freiberuflichen Job so weit es geht nebenher aufrecht zu erhalten. Und ja, es scheint, als würden die beiden es irgendwie hinkriegen, teilweise angestrengt, aber doch… sie lieben sich nach wie vor, wenn nicht sogar noch mehr.

“Ich denke fast die ganze Zeit, in der wir uns nicht sehen, an dich. Warte darauf, dass du dich meldest, und finde die Stunden, bis das passiert, unerträglich. Aber du meldest dich. Du meldest dich immer. Wenn ich ein paar Stunden warte, dann kommst du bald zurück.”

Doch dann ist plötzlich alles anders. Carolina verbrachte die Nacht neben ihrem gemeinsamen Sohn Ivan, im Kinderzimmer. Als sie am morgen darauf ihren Freund Aksel, der am Abend noch einige Aufträge erledigte, wecken möchte, findet sie ihn leblos in ihrem Ehebett. Er ist tot – über Nacht gestorben an einen Herzanfall…

Wie es nun weitergeht, brauche ich wahrscheinlich gar nicht zu erwähnen. Carolina versucht die Welt irgendwie aufrecht zu erhalten, ihre Freunde und Familie eilen ihr zur Hilfe und irgendwie geht es weiter. Es muss einfach irgendwie weiter gehen.
In diesem Roman geht es nun um eben diese Zeit bzw. eigentlich um noch viel mehr. Carolina Setterwall schildert zunächst parallel den Beginn ihrer Liebesgeschichte um 2009 und den herben Verlust etwa fünf Jahre später und alles was danach geschieht. Man könnte nun vielleicht sagen, dieser Roman wäre so etwas wie ein Andenken an die gemeinsame Zeit mit ihrem Freund Aksel, aber auch ein Stück weit Trauerverarbeitung, denn nach der anfänglichen Findungsphase, geht auch Carolinas Leben wieder weiter, sie fasst wieder Fuß und lernt jemand anderen kennen.

“Ich denke, wie seltsam das Leben doch ist. In wenigen Jahren wird sich die Erinnerung an diesen Tag weit weg anfühlen, aber vielleicht werde ich das Bild von Ivan und deinem Bruder vor dem Kreuz für immer bewahren. Vielleicht wird sich der Gedanke, dass ich fast, aber nur fast, die Mutter eines weiteren Kindes geworden wäre, mit jedem Tag, der vergeht, fremder anfühlen. Vielleicht wird es ganz anders kommen. Ich habe keine Ahnung. Ich kann nur das Beste hoffen.”

So ein schmerzvolles, wahnsinnig ehrliches und tief verwundetes Buch. Dieser Roman hat mich emotional wahrlich herausgefordert. Betreff: falls ich sterbe ist dabei so eine große, um alle Themen des Lebens kreisende Geschichte, die ich bisher noch nie, in keinster Art und Weise, auch nur im Hauch irgendwo anders gefunden habe. Natürlich gibt es in Sachen Trauerverarbeitung auch sehr emotionale, feine, persönliche und tiefgründige Romane von Zsuzsa Bánk oder eher optimistischere Wege wie in Isabel Bogdans “Laufen” oder “Nach Matthias”, aber mit keinem anderen hab ich so gelitten, war so freudig bis begeistert dabei und bin so nah an eine Protagonistin herangekommen, wie mit diesem. Ich kann zwar auch nach Beendigung dieses Buchs nicht sagen, dass Carolina mir sonderlich sympathisch geworden ist, denn für mich war sie häufig zu anstrengend und vernarrt, zu strukturiert und einfordernd, dass sie es mir wirklich schwer gemacht hat und doch hatte ich stets das Gefühl sie würde mich, vielleicht gerade auch durch diese vielen negativen Eigenschaften, ungeschönt und echt in ihr Leben blicken lassen. Sie berichtet immer mal wieder von sehr banalen, alltäglichen Situationen, beschreibt kleinere bis größere Auseinandersetzungen und tiefgründige Gedanken. Carolina blickt aber auch hier und da sehr reflektiert auf sich und ihr Leben zurück, ist teilweise total impulsgesteuert und dann auch wieder ein totales Wrack. Eben so menschlich verletzlich, wie sich niemand so wirklich zeigen würde und das macht dieses Buch einfach aus. Die Lesenden begleiten Carolina nach kurzer Zeit der Euphorie durch die schwerste Zeit ihres Lebens und die ersten Jahre danach. Doch was es wirklich heißt, einen Menschen, wenn nicht sogar DIE große Liebe zu verlieren, während man sich gerade um ein kleines Geschöpf, das aus eben dieser Liebe hervorgetreten ist, kümmert, will man wahrlich nicht selbst nachempfinden. Aber auch aus Schicksalsschlägen lernt man, so banal wie das nun klingen mag, und das merkt man auch im zweiten Abschnitt und Carolinas wieder Fuß fassen im Leben. Aus ihr wurde gefühlt ein ganz anderer Mensch, bzw. sie wird (ohne nun zu viel verraten zu wollen) mit einer männlichen Form ihrer selbst konfrontiert und was dann geschieht… nun ja. Ich fand gerade dieses Spiegelbild und diese gegensätzliche Handlung und emotionale Aufarbeitung dessen einfach wahnsinnig toll.

Setterwall schafft es trotz so viel Tragik auf Themen wie was es heißt Mutter zu sein, wie man mit Lebenserwartungen und -änderungen umgeht, was Angst mit einem macht, zu was Liebe beflügeln kann, wie man sich bei einer Therapie fühlt, wie abhängig von anderen, wie einsam und verloren man sein kann und und und einzugehen und sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Dieses Buch eignet sich so zwar nicht als Ratgeber zur Traueraufbereitung, denn man muss sich hier wirklich einigem stellen, aber dieses Buch hat mir mal wieder so intensiv gezeigt, wie kostbar und schmerzhaft das Leben ist. Am liebsten würde ich dieses Buch jeder*jedem empfehlen, aber irgendwie muss ich auch sagen, Vorsicht, denn diese Geschichte hat es in sich, dieser Roman macht was mit einem und dieses Buch trifft tief ins Herz und das auf eine zutiefst ergreifende, bewundernde und schonungslose Art und Weise. Unvergleichbar toll. Carolina Setterwall, danke! Danke für dieses Buch und diesen sehr intimen Einblick in das Leben deiner Protagonistin.

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Carolina Setterwall – Betreff: Falls ich sterbe
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann.
Kiepenheuer & Witsch.
480 Seiten. 22 Euro. Hardcover.

8. Juli 2021

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