Roman | “Eurotrash” – Ein überraschend, anderer Roadtrip

Ich muss ja zugeben, ich habe noch nie ein Buch von Christian Kracht gelesen, noch hatte ich das Bedürfnis dazu, aber irgendwie hat Eurotrash bereits kurz nach Erscheinen mein Interesse geweckt und wie es dann so kommt… ich habe es mal eben fix durchgelesen und dann war es so überraschend anders, ein Stück weit verrückt, verwirrend und bis auf den Anfang dann irgendwie doch ganz cool.

Auch wenn man’s diesem Buch überhaupt nicht ansieht, noch im Klappentext erahnen kann, geht es vordergründig um eine Mutter-Sohn-Geschichte. Etwa alle zwei Monate besucht Christian seine Mutter halbwegs pflichtbewusst in Zürich. Dieses Mal hat sie ihn gerufen, was ihn schon im Vorfeld sehr nervös macht. Kaum in Zürich angekommen, beginnt dann auch schon ein recht fragwürdiger Trip. Seine Mutter wohnt in einer geschlossenen Psychiatrie. Die erste Nacht verbringt Kracht noch im Hotelzimmer, kauft einen komisch, kratzigen Woll-Pulli, den er bei seiner Ankunft den “Kommunarden” abkaufte, macht sich Gedanken über das ‘Erbe’ und die Vergangenheit der Familie, bringt seine Mutter dazu ihr angelegtes Geld von der Bank abzuholen und dann beginnt ein ähnlich kurioser Mutter-Sohn-Ausflug durch die Schweiz mitsamt fünf Flaschen Vodka, Tabletten, einem Rollator und einer Tüte Bargeld. Und was dann zwischen Wünschen, Träumen, Vermeidungen und Erinnerungen passiert… ich sag nichts!

“Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides, elendes, kümmerliches Dramolett es doch war, dachte ich, während ich weiter an die Decke des Hotelzimmers starrte und sah, daß dies tatsächlich die ewige Wiederkunft war, unser Unvermögen, der Zeit einen Anfang zu setzen, aeternitas a parte ante, wie es mir einmal ein Geistlicher in Florenz zu erklären versucht hatte.”

Scheinbar setzt Kracht mit diesem Roman 25 Jahre nach “Faserland” an eben jenen an bzw. er erwähnt diesen auch aktiv, einige Gedanken und eine kurze Auseinandersetzung mit Lesereindrücken. Generell gibt es hier immer wieder eingestreute Literatur- oder Personenbezüge, die aus dieser Autofiktion etwas sehr reales machen. Ich mag seine ernstere, leicht distanziert, emotionslose und pragmatische Erzählweise. Dieser Roman lebt durch die Dialoge mit seiner Mutter und seine inneren Monologe, in denen er sich hauptsächlich mit der Familie, der Vergangenheit und den bestehenden Strukturen und Ereignissen auseinandersetzt. Ob es sich bei dem Protagonisten, der hier auch als Christian Kracht benannt wird, um ihn selbst handelt und es wirkliche Erlebnisse sind oder alles nur fiktiv ist und der möglichen Schilderung und Auseinandersetzung dient? Wer weiß. Kracht geht jedenfalls mit allem sehr kritisch ins Gericht, findet allerdings keinen einzigen Lösungsansatz, sondern kehrt nach einzelnen Versuchen letztendlich zur bestehenden Situation zurück.

“So eine vegetarische Kommune war ja quasi prädestiniert dafür, aus den schmutzigen Schweizer Franken unserer Familie etwas Sinnvolles zu schaffen. Vielleicht brauchten sie neue Fenster oder ein neues Dach, oder sie könnten sich damit eine gigantische Schafherde kaufen oder so.”

Was ich am Ende nun recht spannend fand, ist die Auseinandersetzung mit dem Nazi-Erbe und der Bereicherung. Normalerweise würde ich nun sagen, man sollte nur das Jetzt sehen und nicht mehr das Vergangene, zumal in dem Geschichtlichen einige Leichen begraben liegen und sich gefühlt jeher Menschen durch irgendwelche Aktionen bereichert haben. Aber wenn man das kann und wirkliche Rückschlüsse ziehen will und sich aktiv mit dem familiären Besitz und den verfolgten Ideologien auseinandersetzt und sie für sich aufarbeitet, ist es sicherlich nicht verkehrt. Allerdings könnte man Besitz immer für Gutes nutzen und die Denkweisen früherer Familienmitglieder kann man eh nicht mehr ändern – meine Meinung. Nun gut. Anfänglich erzählt Kracht in seinem Roman noch von seiner Mutter und wie elendig es ihr bereits geht, aber dann gibt es da eben noch die Zobelmäntel, Taschen und Co, sowie die Geldanlagen, die hauptsächlich durch die Investition in der Rüstungs- und Waffenbranche Profite gewinnen. Und selbst als sie das Geld dann sinnvoll auszugeben wollen, gibt es wieder ein paar fragwürdige Vergangenheiten, Ansichten oder eben auch Bereicherungswünsche. Und dann ist da noch dieser Gegensatz mit dem jetzigen Leben der Mutter, ihrem Zustand und dem Alkoholproblem, wobei auch das eher eine Form der Verdrängung zu sein scheint. Christian ist mit seinem Öko-Pulli dann eher die Fraktion kränklich aussehender, gebildeter Weltverbesserer, wobei auch das… nun ja, schwieriger ist als es scheint. Dieser Roman gibt den Leser*innen nun zahlreiche verschiedene Möglichkeiten und Themenkomplexe über die man reden und sich tiefer auseinandersetzen könnte. Und das, obwohl in dem Roman selbst recht wenig passiert oder wirklich tiefgründige Gespräche geführt werden. Vieles schwingt zwischen den Zeilen mit und das finde ich sehr faszinierend. Trotzdem ist es eher ein Roman für zwischendurch, der zwar den aktuellen Zeitgeist und teilweise etwas anstrengendere Themen aufgreift, die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern noch einmal hinterfragt (und in diesem Fall nicht gerade gut dastehen lässt), aber es ist halt kein Roman der durch einen Handlungsstrang punkten kann, noch emotional bewegt. Dieser Roman ist eher Gedankenanstoß und Möglichkeit und sicherlich ein Muss für jeden Kracht-Fan.

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Christian Kracht – Eurotrash.
Kiepenheuer & Witsch.
210 Seiten. 22 Euro. Hardcover.

14. April 2021

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