Stories | “Die erste Reise” ein Sammelband voller Erinnerungen, Geschichten und die erste Liebe.

Das erste Mal ist und bleibt immer unvergessen. Die erste eigene Wohnung. Das erste Mal Alkohol. Der erste Kuss. Die erste Partnerin oder der erste Partner. Der erste Job… Wahrscheinlich könnte ich da nun ewig so weitermachen und in euch viele Erinnerungen wecken, von mir oder einfach von diesem kleinen und auf den ersten Blick eher unscheinbar wirkenden Buch erzählen. Ich wähle mal letzteres. Gerhard Waldherr hat Geschichten und Erfahrungen über Die erste Reise gesammelt. 26 Kapitel, 26 verschiedene AutorInnen, JournalistInnen und Künstler berichten auf unterschiedlichste Art und Weise von ihren Erlebnissen und den verschiedensten Flecken der Erde. Jede Reise ist dabei sehr individuell und mit zahlreichen Eindrücken verbunden, die es so nur einmal gibt und damit auch jede Reise zu einem so wunderbar speziellen und großartigen, einzigartigen Erlebnis machen. Reisen ist dabei wie so ein Blick über den Tellerrand, oftmals sogar weit über den eigenen, bekannten Wohlfühlbereich hinaus und eine Art Abenteuer, von dem jeder auch noch Jahre später mehr als begeistert berichten wird.
In diesem Fall wäre da z.B. Peter Stamm, der uns mit nach Paris nimmt, von seiner Abnabelung von Daheim und seinem Heimatdorf, sowie seinen Anfängen als Autor erzählt. Oder Lucas Vogelsang, der sich 2013, wie sein Vater viele Jahre zuvor (1981), in Los Angelas auf Spurensuche nach Charles Bukowsky bzw. den Erinnerungen und “Bukowsky-Momenten”-begibt und sich dabei irgendwie auch seinem Vater annähert. Oder Kalle Harberg, der über seine Erfahrungen während des Trampens und die damit verbundenen, teilweise gar skurrilen Begegnungen und Gedanken erzählt. Durch einen Schüleraustausch hat auch Anna Sanners 1996 Kanada kennengelernt und ganz nebenbei ihre Essstörung überwunden. Oder Anuschka Roshani, mit der wir uns auf die Reise ins Unterbewusstsein begeben, denn sie erzählt von einer Studie in der sie durch den Konsum von LSD ihre Kontrolle über das Denken und Fühlen abgibt und einfach nur sich selbst erlebt.

“Mein Dorf war meine Kindheit, in die ich nicht zurück konnte oder wollte und die ich doch nicht verlor. Paris hat mir Wunden beigebracht, die für einen Schriftsteller wichtiger sind als ein Literaturstudium oder Kurse für kreatives Schreiben. In dieser riesigen Stadt, in der ich oft auch einsam war, verwirrt und unglücklich, wurde Literatur zum Überlebensmittel.”
_ Peter Stamm über seine Reise nach Paris 1982

In dieses Buch bzw. in einzelne Geschichten habe ich mich irgendwie verliebt. Ich habe einzelne Situationen und Gedanken wiedergefunden, Paris und London (so viel weiter raus in die Welt hab ich es noch nicht geschafft) erneut entdeckt und freudig mit meinen eigenen Erfahrungen verglichen. Es fühlte sich für mich plötzlich wieder alles so nah an, so als wäre es gerade erst gestern gewesen. Meine Studienfahrt nach Paris, die Fête de la Musique, die übervollen Straßen und meine erste Metro-Fahrt, die Probleme am Ticket-Schalter, das Schlendern über die Champs-Élysées und die sehr begrenzt möglichen Gespräche mit Einheimischen, die besondere Architektur und Läden, die zahlreichen Eindrücke und irgendwie auch diese ganz spezielle Distanziertheit…. Und selbst wenn Peter Stamm gar nicht mal so viel über die Stadt an sich erzählt und eher auf sein Leben und die Veränderungen eingeht, so ist es doch wieder alles da und sowas finde ich für ein Buch schon sehr, sehr besonders. Ähnliches könnte ich nun auch über London erzählen, wobei diese Stadt/ das Land nie zu meinen Lieblingen gehören wird, aber auch negative Erlebnisse gehören dazu und prägen die eigenen Ansichten und machen etwas mit einem. Reisen verändern die eigenen Vorstellungen, erwecken den Entdeckergeist in uns und das Kennenlernen neuer Kulturen und Menschen bereichert nicht nur unser Leben, sondern fördert auch unsere Neugier, Toleranz und Offenheit. Dieses Buch ist so ein tolles Zeugnis davon, was eine ‘einfache’ Reise so alles anrichten kann und zeigt irgendwie auch, dass wahrlich jede Reise auch persönlich was mit einem macht. Und so ist “Die erste Reise” dann auch eine Hommage ans Reisen, ans Leben, ans Menschentreffen und auch so eine Art Anstoß ab und zu einfach über seinen Schatten zu springen, sich ins Abenteuer zu stürzen und Neues kennenzulernen. Gerade nach so einem komischen, herausfordernden Jahr, wie 2020 für uns alle war, tut es gerade gut in Erinnerungen zu schwelgen und nach vorn zu blicken. “Die erste Reise: Weil sie den Blick auf die Welt, das Leben und auf einen selbst verändert – wie die erste Liebe” – Ein wunderschönes, vielfältiges und persönliches Buch, das nicht nur optisch punkten kann, sondern für mich auch auf menschlicher Ebene sehr viel Sympathie in sich trägt. Über einzelne AutorInnen möchte ich nun jedenfalls mehr wissen, mehr lesen und ach, was soll ich noch sagen, Peter Stamm fand ich auch schon vorher großartig und sein Blick auf die Welt oder eben auf seine Zeit in Paris macht ihn auch nochmals sehr viel sympathischer.

“Wenn mich meine mehr als fünfzig Jahre auf Erden etwas gelehrt haben, dann dass die Welt voller Rätsel ist – und dass es ein großes Vergnügen sein kann, sich auf die Fährte von dem ein oder anderen zu setzen. Das größte Rätsel allerdings bleibt man meistens sich selbst, auch wenn man sich und andere vielleicht ein Leben lang glauben machen kann, sich zu kennen. Aber alles, was ich über mich weiß, weiß ich letztlich aus Begegnungen.”
_ Anuschka Roshani und ihre Reise ins Unterbewusstsein

Auch über dieses Zitat/diesen Abschnitt könnte ich nun Stunden lang nachdenken. Diese Mischung aus ‘einfachen’ Begegnungen, einzelnen Ereignisbeschreibungen, dieses Kennenlernen und diese Auseinandersetzungen mit sich selbst, macht Spaß. Man will automatisch mehr. Mehr Reisen, mehr entdecken, von einzelnen Berichtenden mehr lesen und sie irgendwie auch kennenlernen. 26 Menschen haben hier ihre Erinnerungen mit uns geteilt und jetzt kommst du.

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Gerhard Waldherr – Die erste Reise.
Reisedepeschen.
320 Seiten. 19,50 Euro. Hardcover.

2. März 2021

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