Kurze Erzählungen; große Wucht – “Muldental” von Daniela Krien

Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch lest und irgendwann an einen Punkt kommt, an dem sich zufällig alles zum Positiven dreht oder plötzlich ein absolut unwahrscheinliches Happy End eintritt oder eine unvorhersehbare Begegnung alles in den größten Liebesschmalz ‘verzaubert’ oder oder? Ich glaube da gibt es endlose Möglichkeiten, wobei sich einige dann doch mehr als häufig wiederholen. Und ja, viele mögen gerade diese ‘speziellen’ Wendungen. Ich nicht. Und wem es da ähnlich geht, dem könnte ich nun ein großartiges Buch empfehlen. Die Neuauflage von Daniela Kriens Erzählungssammlung Muldental hat nämlich einiges zu bieten. Hier sind die Protagonisten und Helden (endlich mal) nicht die Gewinner des Systems, der Liebe, Lottogewinner oder positive Klugscheißer. Krien widmet sich mit ihren 10 Erzählungen und einer ‘Erweiterung’, also Erzählung 10b, den Verzweifelten und Verlierern der Wende, des Alltags und irgendwie auch des Glücks.

“Das Dorf war bald nicht mehr als eine Wohnsiedlung. Zuerst schloss das Gemeindeamt, dann der Konsum, gleich darauf das Wirtshaus >zur Mulde<, der Kindergarten und schließlich die Poststelle. ‘Aber jetzt gucken wir nach vorn’, sagte Bettina. ‘Plan B!'”

Auf die einzelnen Erzählungen möchte ich nun ungern im Detail eingehen, denn das würde diesen feinen, klaren und berührenden Lebensausschnitten und Schicksalsfällen einfach nicht gerecht werden; ich möchte euch eher ein Gefühl und einen Eindruck hierfür vermitteln. Es ist keine einfache Lektüre und wahrscheinlich für zaghafte Menschen oder Freunde, die gerade eine schlimme Zeit durchmachen, nicht das passendste Buch, denn einzelne Erzählungen gehen über diese kleinen Schlenker und Einschnitte des alltäglichen Lebens hinaus, führen in eine Sackgasse oder in den einzigen, noch möglichen Ausweg. Tod, Prostitution, Anfeindungen, Wut sind u.a. Themen, die hier eine bewegende Rolle spielen. Man driftet hin, hinein in den Abgrund, der so menschlich und nahbar scheint. Kriens Protagonisten setzen sich ihrer aktuellen Situation zur Wehr. Meistens sind es die Wende oder die Vorurteile der Westdeutschen Bevölkerung, die ihnen entgegen schlagen oder einfach die Ratlosigkeit und Zukunftsangst. Sie alle versuchen irgendwie wieder auf den geraden Weg zu kommen und doch ist dieses Buch dann eher ein Kaleidoskop des Verlusts, des Heimzahlens oder gar der Weg zu Aufgabe und Befreiung. “Wendeverlierer” ist so ein dahingesagtes Wort und doch trifft es für viele der Protagonisten den Nagel auf den Kopf.

“Meine Helden sind keine Gewinner. Dennoch finden einige von ihnen ihr Glück. Aber auch jene, deren Schicksal ihre Kräfte übersteigt, haben eine Stimme im großen Menschheitslied. Und auch sie verdienen einen Platz in der Literatur.” – Daniela Krien

Als Wendekind habe ich gerade zu diesem Buch eine sehr innige Bindung. Es ist komisch, denn die wirkliche DDR-Zeit habe ich kaum noch miterlebt und doch halten sich einige Erinnerungen an die damalige Zeit über die Wende hinaus. Zumindest vorerst. Ich bin ja noch so stolz auf meine Geburtsurkunde und meinen DDR-Impfausweis, ein kleines Heft, das bezeugt, dass da eben mal was anders war. Die Erinnerungen an die früheren Besuche bei meinen Großeltern, meine Dorfzeit und die Einkäufe im dortigen Konsum, die es noch bis 90er gab, sind mir wahnsinnig präsent. Nur die wirklich großen Verluste kenne ich dafür nur vom Hörensagen. Die geregelte Zeit in der DDR, die sicheren Arbeitsplätze und die ganze Organisation vom Staat, fiel mit der Wende plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Vieles wurde sehr schnell geschlossen und die Menschen standen da, mit ihrem Begrüßungsgeld aus dem Westen und der plötzlichen Leere vor der Tür. Der Wegbruch ganzer Betriebsstrukturen hat damals einen tiefen Graben aufgerissen, aus dem sich nicht jeder befreien konnte. Und an diesen Punkt setzt Daniela Krien mit einigen ihrer Erzählungen an. Es sind kurze Ausschnitte aus dem Leben jener Verlierer von damals. Es sind Dramen, die doch recht nahe gehen und wahrscheinlich sogar einen realen Ursprung besitzen. Daniela Krien erzählt von ihren Notizen, die sie im Laufe der Zeit gesammelt hat und aus Erzählungen und Überschriften bzw. Zeitungsartikeln bestehen. “Überschuldeter Handwerker begeht Selbstmord”, “Ehepartner entpuppt sich als Stasi-Spitzel” oder “Junge Frau entscheidet sich für Spätabtreibung”, wären nur einige Beispiele, die Krien an dieser Stelle nennt. Muldental berichtet vom Lebensdramen und Schicksalsfällen. “Otto kann den Tag, als sein Ruin begann, genau benennen. Es war der 9.November 1989.” und so war es dann eben auch.

Krien, selbst in der ehemaligen DDR aufgewachsen, beobachtet die damaligen Probleme der Menschen und gibt ihnen nun in diesen 11 Erzählungen einen Raum, ohne sie zu bewerten. Sehr empathisch, menschlich, emotional. Einzelne Geschichten haben mich dabei sehr getroffen, aufgewühlt und bedrücken mich nach wie vor oder rufen eigene Erinnerungen wach. Die beschriebenen Veränderungen des Lebens sind mir überraschend nahe gegangen und doch ist es eben nur ein Ausschnitt und eigentlich weiß man nur in den wenigsten Fällen wie die Geschichte wirklich ausgeht. Krien gibt den Menschen, die sich irgendwie verloren, dem Druck und Orientierungslosigkeit nicht Stand gehalten haben, eine Stimme und das finde ich in dieser Form einfach nur grandios und sehr lesenswert!

Daniela Krien – Muldental.
Diogenes.
22 Euro. 230 Seiten. Harcover | Leinen.

27. März 2020

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