Familiendrama samt “Goldkind” – ein bewegender Roman von Claire Adam

Bereit für einen kleinen Ausflug? Claire Adam entführt uns mit ihrem Roman Goldkind in eine, wie ich finde, beinahe komplett andere Welt. Es geht nach Trinidad, einer kleinen Insel im karibischen Meer, und hier scheinen die Probleme von ganz anderer Natur zu sein, als wir sie in unseren Breiten kennen. Im Grunde handelt es sich um eine Entführungsgeschichte, doch in den einzelnen Kapiteln spielt die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern selbst, Probleme des Landes und irgendwie auch diese Kluft zwischen reich und arm eine vordergründigere Rolle.

“Der Einbruch war genau heute vor zwei Wochen. Als Clyde nach Hause kam, stand die Haustür offen, alles war dunkel. Er saß im Auto und umklammerte das Lenkrad. Bereitete sich auf das Schlimmste vor. “BLUTBAD”, stand fast jeden Tag auf den Titelseiten der Zeitung. Oder:”WEITERES BLUTBAD” oder “WANN HÖRT DAS ENDLICH AUF?”.”

Die Deyalsingh sind eine 4-köpfige Familie plus zwei Hunde und leben in mittelmäßig betuchten Verhältnissen. Sie besitzen zwar ein Haus und ein Auto, allerdings sind es keine Hochglanzvorzeigeobjekte, sie sind schon etwas älter, ‘renovierungsanfällig’ und abgewrackter. Der Vater Clyde arbeitet in einer Ölfabrik und die Mutter Joy nimmt hier und da mal ein paar kleinere Gelegenheitsjobs an. Ihre Kinder Paul und Peter fahren tagtäglich in die Hauptstadt, um dort eine Eliteschule zu besuchen und bereits dafür hat die Familie sehr gekämpft, denn die Eltern wollen ihren Kindern bessere Möglichkeiten bieten, als jene, die ihnen damals selbst zur Auswahl standen. Doch da gibt es ein Problem, denn während Peter, ein hochbegabter Musterschüler ist und als der Beste in ganz Trinidad und Tobago angesehen wird, ist sein Zwillingsbruder Paul eher zurückgeblieben. Zumindest gab es bei der Geburt, kurz nachdem Peter auf die Welt gebracht wurde, eine Komplikationen, die Paul eventuell beeinträchtigt hat. Paul ist anders, als andere Jungen der Gegend und es wird ihm ständig bewusst oder auch unbewusst im Gespräch mit anderen eingetrichtert, dass er nun mal der Dümmere ist. Dies führt dann dazu, dass Paul sich hier und da in einzelnen Situationen gedanklich verrennt oder aufgrund der ganzen Hürden z.B. gar nicht erst in die Schule will. Allerdings möchte Joy die Trennung der beiden Zwillinge verhindern und so bleibt es dann auch. Zumindest bis an jenem Abend, als der Dreizehnjährige nach einem abendlichen Streifzug durch den Busch nicht nach Hause kommt. Als er dann auch nach Stunden voller Sorgen nicht wiederkehrt, wird ihnen schnell klar, dass ihr Junge nicht einfach so abgehauen ist. Erst vor kurzem wurde die Familie in ihrem Heim überfallen und nun kamen die Diebe zurück. Paul wurde entführt und mit ihm auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft…

“Es wäre ein Fehler, von anderen auch nur das Geringste zu erwarten, sich zu verhalten, als würde ihm irgendjemand irgendetwas schulden. Die Wahrheit ist, dass alle – egal, ob Freunde, Angehörige oder sonst wer – einen jederzeit verraten können und man ständig auf der Hut sein muss.”

Dieses Buch hat mich mehr oder minder überrascht. Ich hatte nämlich mit einer rasanten, spannenden Entführungsgeschichte gerechnet, doch Claire Adams Roman enthält so viel mehr. Ich hab’s ja vorhin bereits angedeutet … es geht eben nicht nur um das Land und die vorherrschende Kriminalität. Der Fokus liegt für mich eher in dieser verzwickten Familiensituation, die aufgrund der Gegebenheiten einiges abverlangt und die Eltern vor ein großes Dilemma stellt. Die Zwillinge sind in ihrem Wesen komplett unterschiedlich, der eine ist der hochbegabte Sohn, der sogar der Beste des Landes ist und dem nahezu alle Türen offen stehen könnten, und dann gibt es da noch seinen etwas verträumteren, zurückgebliebenen Bruder. Die Eltern möchten eben beiden die gleichen Möglichkeiten und damit auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bieten. Auch das große Ungleichgewicht zwischen ihnen und den anderen Familienmitgliedern, also Clydes und Joys, Brüdern und Cousinen, kann man nicht ganz vernachlässigen. Von allen scheinen sie es nicht so weit gebracht zu haben, alle anderen haben ein größeres, vornehmeres Anwesen, mehr Geld und Einfluss. Und das lässt teilweise tief blicken und prangert gleichzeitig so ein bisschen die vorherrschenden Strukturen an. Claire Adam beschreibt sehr eindringlich die stets präsenten, ärmlichen Verhältnisse in Trinidad und die Deyalsinghs passen sich diesen an, um nicht groß aufzufallen oder ins Visier der Banden zu gelangen. Doch daraus ist dann irgendwie nichts geworden und die Entführer wollen nun sehr viel Geld sehen.

In diesem Roman geht es dann nicht nur um diese Differenz zwischen arm und reich, sondern auch um diese unterschiedlichen Charakterzüge und menschlichen ‘Handlungen’. Und gerade diese Ausprägung hat mich dann sehr begeistert. Clyde hat früher die Schule abgebrochen, hat sich seinen Weg gesucht und versucht seiner Familie ein Stück weit Sicherheit zu geben, ohne von anderen abhängig zu sein. Er will nie in der Schuld von jemandem stehen und scheint trotzdem ein wesensguter Mensch zu sein, während sich bei den Verwandten einfach nur vieles um Geld, Neid und Missgunst dreht. Und als es dann zu dieser Lösegeldforderung kommt, greift es ihn schon sehr an, da dies seine Zukunftspläne für seine Kinder beeinträchtigt, er gezwungen ist alles aufzugeben und in einer Zwickmühle landet. Gerade diese Gedanken und Regungen, von denen Adams hier so ‘einfach’ erzählt, haben mich dann doch sehr bewegt, stark beeindruckt und zum Grübeln gebracht.

Auch wenn es nun nicht so den Anschein macht, in diesem Buch passiert dann doch recht viel und irgendwie ja dann doch recht wenig, denn die eigentliche Geschichte ist kurz erzählt… Familie, tragisch, tragisch, Überfall, Entführung, Dilemma, Ende… aber Claire Adam macht es recht geschickt, denn ihre Geschichte besteht aus insgesamt drei Teilen, die hier und da ein Stück weit abdriften und den Blick weiten. Der erste Abschnitt hat mich so ein bisschen überfordert, so viele Namen, so viel Drumherum, so viel was ich nun nicht erwartet habe, aber dann mit dem zweiten Teil und dem Rückblick in die Kindheit der beiden Zwillinge hat sie mich wieder abgeholt und ich bin in diese Geschichte ‘reingewachsen’. Gut, eigentlich hätte ich mir schon gewünscht, dass die Anordnung zeitlich chronologisch gewesen wäre, das hätte dem Ganzen für mich nochmal einen weiteren positiven Schub gegeben, da aus dieser Sicht eben recht viel passiert, viele Details auftauchen und Begegnungen hier und da stattfinden. Ein bisschen mehr Ruhe wäre toll gewesen, aber so war es dann doch ein durch-die-Seiten-Treiben, was zwar wiederum zur Entführung passt, aber für die anderen Themen etwas schwierig war. Aber das ist dann jetzt auch schon Mäkeln auf hohem Niveau, denn ich hab mich durch und durch gut unterhalten gefühlt und war gedanklich und menschlich sehr gefordert und sehe mich auch nach Beendigung der Lektüre nach wie vor mit diesem Dilemma, der Situation, den ärmlicheren Verhältnissen, den besseren Zukunftsplänen und und und ausgesetzt. Ich glaube, das wird mir nun noch lange Gedanken bereiten und das ist es, was ich an Büchern liebe. Und ja, Goldkind hat mich da getroffen. Ganz klar. Und vielleicht dich ja auch?!

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Claire Adam – Goldkind.
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger und Patricia Klobusiczky.
Hoffmann und Campe.
270 Seiten. 23 Euro. Hardcover.

3. März 2020

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