“1794” – ein Verbindungsstück zum schlimmeren Übel

Die Geschichte geht weiter. Ein Jahr ist es nun her, als in Deutschland “1793” ,der Bestseller-Roman aus Schweden, erschien und seit dem seine Runden dreht. Ich weiß noch, wie ich damals das Buch förmlich inhaliert habe und vom Setting, der Historie, den Protagonisten und dem Plot total begeistert war. Dieser Roman oder eigentlich eher Thriller, spielte im Stockholm des 18.Jahrhunderts und damit einer sehr geschichtsträchtigen und für die heutigen Verhältnisse recht düsteren und spannenden Stadt. Niklas Natt och Dag gab Einblicke in die damalige Welt in der Glücksspiele sehr fest zum gesellschaftlichen Treiben der besser Betagten und Halunken gehörten. Aber er warf auch einen Blick auf die unteren Schichten, das Treiben in den Spinnhäusern und den Kampf ums Überleben. Und mittendrin gab es brutalen Mord und ein sehr ungleiches, gar gebrechliches Ermittlerduo. Jean Michael Cardell, ein gebeutelter Kriegsveteran, und der an Tuberkulose erkrankte Jurist Cecil Winge gingen gemeinsam auf Spurensuche, die sie an wahnsinnig viele menschliche Abgründe und düstere Schauplätze führte.

Ein Jahr später erscheint nun mit “1794” so etwas wie eine Fortsetzung. “Ein Jahr ist vergangen. Viel ist geschehen. Noch Schlimmeres wird kommen.” heißt es auf der Rückseite des Buchs. Band zwei fungiert so wie ein Verbindungsstück, eine Hinführung zurück zum Schlimmeren. Also was ich damit sagen möchte, dieser Roman ist mit dem ersten Teil überhaupt nicht vergleichbar. Bereits die Ausgangslage ist eine andere, denn Cecil Winge erliegt seiner Erkrankung und der Winge, der in diesem Fall seinen Platz einnimmt, ist der an Wahnvorstellungen leidende Bruder, der seinerseits immer im Schatten Cecils stand.

Jean Michael Cardell, fällt nach dem letzten Fall und dem Verlust seines lieb gewonnenen Juristen in ein sehr tiefes Loch und ist wieder besoffen in der Gosse zuhause. Eines Tages trifft er dann den Geist Cecils bzw. seinen jüngeren Bruder, der sich auf die Suche nach der Taschenuhr seines Vaters begibt. Und wahrscheinlich hätte nun alles weitere seinen Gang genommen… Winge hätte die Uhr zu Geld gemacht und Cardell wäre irgendwann sturzbetrunken in einer Schlägerei umgekommen, aber die Geschichte einer Frau soll alles ändern. Ihre Tochter Linnea starb in der Hochzeitsnacht. Man erzählte ihr, ihr Kind wurde in der Nacht von einem Rudel Wölfe angegriffen, doch diese sind seit Ewigkeiten in dieser Gegend nicht mehr zu finden. Seit dem sucht sie nach der Wahrheit und Hilfe.

In Wirklichkeit wurde ihre Tochter auf grausamste Weise getötet und von ihrem frisch Angetrauten völlig verunstaltet und den Zähnen beraubt im blutüberströmten Ehebett/Zimmer aufgefunden. Aber nicht nur das, auch ihr adeliger Ehemann musste anscheinend einiges einstecken, allerdings kann er sich an das Vergehen überhaupt nicht erinnern. Schon seit dem ersten Kuss mit Linnea plagen ihn hin und wieder seltsame Wutausbrüche, die seine Erinnerung an die plötzlichen, gewaltigen Anfälle seinerseits komplett auslöschen. Und so scheint er auch in diesem Fall, seiner Wut erlegen zu sein. Er wird als Täter identifiziert und in ein Irrenhaus eingewiesen. Doch irgendwas ist an dieser ganzen Geschichte faul, denn dafür haben die beiden sich einfach zu sehr geliebt und zu lange aufeinander gewartet. Und dann gibt es da natürlich noch das Anwesen der Drei Rosen, das Geld und so ein dunkles, durchtriebenes Geheimnis, das entdeckt werden will.

“Mein Leben lang mangelte es mir an Liebe. Als sie sich zu guter letzt einstellte, hätte ich sie mir niemals so vorgestellt: schön und schrecklich zugleich, wie fiebriges Blut – eine Despotin im Festagskleid. Die Liebe führte mich so tief in die Dunkelheit, dass ich schlussendlich an einen Punkt gelangte, an dem es kein Zurück mehr gab.”

Niklas Natt och Dag bewegt sich mit dieser Geschichte wieder zwischen den Abgründen der Vergangenheit. Doch während es im ersten Teil bereits sehr schnell um den Fund einer verstümmelten Leiche geht, muss man sich hier das spannende Rätsel erst einmal erarbeiten. Erik Drei Rosen erzählt zunächst sehr ausführlich von seiner Kindheit, der ersten Liebe, aber auch von seinen Erlebnissen und den Vorgängen auf Barthelemis, dem größten, auf schwedischem Boden befindlichen Sklavenmarkt der Antillen. Doch die wirkliche Geschichte zieht dann erst seine Kreise, als er seine Jugendliebe endlich heiraten darf und das Unglück seinen Lauf nimmt – das wäre dann ungefähr ab Seite 115 und bis dahin war ich tatsächlich so ein bisschen enttäuscht. Im Nachhinein würde ich nun sagen, diese Geschichten um das Hauptszenario gehören dazu und vermitteln dem Leser viel mehr das Gefühl für die damalige Zeit und für eben alles, was nicht gerade positiv geraten war.

Anna Stina kehrt zurück, kreist in Cardells Gedanken und führt uns erneut zu den Frauen der Spinnhäuser. Auch sie bringt ihre Geschehnisse und Auswirkungen (ich will ja noch nicht so viel verraten) des vergangenen Jahres mit sich und hat einen großen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Cardell und Winge ermitteln dann gemeinsam in diesem Fall, werden hier und da von ihren Sinnen getrübt, auf Irrwege geleitet und finden am Ende dann doch irgendwie zueinander. Und dann bleibt die große Frage… was wird nun folgen? Wie geht es weiter und ist das Ende dann tatsächlich auch so, wie man es sich nun denkt? Wahrscheinlich werden wir es erst im nächsten Teil erfahren, denn die Geschichte ist mit diesem Teil einfach noch nicht beendet und zahlreiche Fragen bleiben offen. Und das ist sehr gewieft, denn so der Hit war dieser Fall nicht und trotzdem will man als Leser einfach mehr. Natt och Dag ist ein Meister für Beschreibungen historischer Abgründe und düsterer Verstümmelungen jeglicher Art. Es sind aber auch zeitlichen Gegebenheiten und diese speziellen Unterschiede seiner Hauptcharaktere, die diese Geschichten so faszinierend, menschlich, emotional und spannend machen. Als Ergänzung zu “1793” ist dieses Buch einfach ein Muss und ansonsten kann ich nun einfach nur noch sagen… Fans von historischen Kriminalgeschichten oder alle, die gerne einmal etwas historisch spannendes lesen möchten,sollten unbedingt mal ein Auge auf Niklas Natt och Dags Romane werfen, denn es lohnt sich und ich glaube da kommt noch etwas sehr Gewaltiges auf uns zu.

Niklas Natt och Dag – 1794
Aus dem Schwedischen von Leena Flegler.
Piper.
560 Seiten. 16,99 Eur. Klappbroschur.

15. Januar 2020

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