Grüße aus dem Gefängnis – die Briefsammlung eines Stotterers

Stottern kann einem so wirklich viel versauen. Gerade in den unpassendsten Situationen bleiben die Worte im Halse stecken und finden nur bruchstückhaft hinaus. Man kann sich darüber ärgern, sich schämen oder eben auch die Zeit zum Nachdenken nutzen. Natürlich könnte man auch das Gesprochene umgehen und sich aufs geschriebene Wort konzentrieren. So macht es zumindest der Protagonist Johannes Hosea Stärckle in Charles Lewinskys neustem Roman. “Der Stotterer” beinhaltet ein sehr interessantes Bild über einen Mann, der aufgrund frühester Ereignisse die Fähigkeit des fließenden Sprechens verloren hat. Er stottert seit seiner Kindheit und irgendwie sind seine Familie und der ansässige Pfarrer nicht ganz unschuldig daran. Natürlich rächt er sich und erschafft ‘auf anderen Wegen’ (nämlich schriftlich) ein übles Konstrukt aus Lügen, hinterlistigen Fallen und Bosheit. Aber nicht nur das, auch andere hat er bereits abgezockt und gerade das brachte ihn dann auch ins Gefängnis.
Jeder andere hätte die Falle erkannt, aber er? Sein dummer Stolz. Freudig folgte er einer Einladung und rannte der Polizei schnurstracks in die Arme. Nun ja…  Auch im Gefängnis schätzt man sein Talent für das geschriebene Wort. Der Padre, hat sich für ihn eingesetzt, ihm die Verantwortung für die Bibliothek übertragen und scheint auch sein einzig wahrer Kontakt zur Außenwelt und vielleicht sogar seine einzige Bezugsperson zu sein. Mit ihm kommuniziert er, wie sollte es auch anders sein, schriftlich. Dieser Roman ist nun eine Sammlung seiner Schriftstücke. In seinen Briefen an den Padre schildert Stärckle sein Leben, seine Gedanken, erfundene Geschichten, teilt mit dem Padre Freude und Stolz. Aber sein Tagebuch zeigt u.a. auch die Kehrseite seiner Emotionen. Er erzählt von seinev Begegnungen im Trakt selbst, seine Befangenheit und Angst…

 

“Ich liebe Worte. Ich liebe es zu lesen, und ich liebe es zu schreiben. Beim Schreiben stottere ich nicht. Win-win. Eine kleine Nebenbedingung: wenn Sie in diesen Aufzeichnungen Dinge zu lesen bekommen, die Ihnen nicht gefallen, dürfen Sie nicht in einen Moralkoller verfallen. Ich sage Ihnen gleich: Es wird eine Menge geben, das Ihnen nicht gefällt. Abgemacht?”

 

“Der Stotter” liest sich wirklich gut. Zwar kann ich nicht sagen, dass ich ein großer Fan geworden bin, denn dafür hat mir noch irgendetwas gefehlt. Eine überraschende Wendung, eine etwas abdriftende Erzählung, aufregende Gedanken und ja… Der Protagonist erzählt viel, er gibt Einblicke in seine schriftlichen Höhen und Tiefen. Und doch bleibt es stets nur ein Ausschnitt. Zwischendrin tauchen immer wieder kurze Geschichten und Tagebuchsequenzen auf, die unbemerkt sehr viel von ihm erzählen. Stärckle macht während seines Gefängnisaufenthalts bzw. auch während des Buches eine Art Entwicklung durch und auch wenn er genau derselbe bleibt, so wird er gegen Ende doch ein bisschen nahbarer. Von eher patzig, frech und selbstverliebt zum doch vorfreudigen, ängstlichen Kind. Lewinsky schafft es Stärckle eine Bühne zu geben, die ganz ohne Antworten auskommt. Das Buch gleicht einer Sammlung von Monologen, Geschichten, Erinnerungen und Stolz. Stolz, seine Schwächen überwunden zu haben. Stolz, gegen frühere Ereignisse vorgegangen zu sein bzw. sich dafür gerächt zu haben. Und gerade das macht ihn irgendwie so verrückt und interessant zugleich, aber das war es dann tatsächlich auch schon. Also auch wenn man die Gedanken des Protagonisten irgendwie gegen Ende versteht und hofft, dass er nun seinen Weg finden wird, so bleibt er trotzdem ein Mensch, mit dem man eigentlich so wenig zutun haben möchte wie möglich. “Der Stotterer” war für mich ein interessanter Ausflug und ein ebenso nettes Buch für Zwischendurch. Wer nach Tiefgang sucht, wird hier leider nicht so weit kommen. Es ist ein eher leichter, düsterer Roman, für den Sommer vielleicht.

 

“Ich kenne Ihr missbilligendes spitzes Mündchen, Padre. Bevor Sie die Frage stellen: Nein, ich hatte kein schlechtes Gewissen. Meinem Gewissen geht es wie mir: Es stottert. Bis es seine Einwände zu Ende formuliert hat, habe ich schon gehandelt.”

 

 

Charles Lewinsky – Der Stotterer.
Diogenes.
416 Seiten. 24 Euro. Hardcover | Leinen

2. Juli 2019

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