Lebensausschnitte. Quere Gedanken und Ausbrüche. Alles ist möglich und doch… nicht. Die kennen keine Trauer heißt es in Bjarte Breiteigs gleichnamigen Erzählband und doch ist diese Traurigkeit oft möglich. Zumindest erging es mir häufig so, als sich bei mir hinter den sieben recht verschiedenen Erzählungsfetzen die Gedankenmaschinerie in Gang setzte.
“Die Familie steht im Kreis um das Feuer herum und schaut zu, aber sie sind nicht traurig, denn die kennen da keine Trauer. Die wissen nicht einmal, was Trauern ist. Stattdessen gibt es ein großes Fest, sie klatschen und singen und schlagen Trommeln.”
Die Protagonisten in diesem Buch haben alle haben etwas gemeinsam. Sie können über ihre Trauer nicht sprechen, nichts tun, nicht richtig handeln. Sie sind gehemmt und doch bricht dieses Gefühl auf ganz unterschiedlichen Wegen aus und macht sich Luft. Während der eine eher plötzlich verzweifelt und zu allem bereit ist, verrennt sich der andere in komischen Welten. Sie alle haben eine ganz besondere Beziehung zu Dingen, Gedanken, Menschen und doch droht gerade diese auseinanderzubrechen. Wobei eigentlich ist es bereits zu spät. “Nichts sagen! Nichts sagen, sonst wirst du verschwinden.”
So erzählt der ‘komische’ Karsten von der Leichenbestattung in Nepal. Die kennen dort keine Trauer und auch seine Bestürzung zeigt sich nicht in Sentimentalitäten. Nein! Sie bricht einfach so aus. Karsten verfällt plötzlich in eine Art Wahn und zerstört einfach alles, woran andere Kinder im Werkunterricht gearbeitet haben. An anderer Stelle sitzt eine Frau im Wagen am Rand des Kais. Sie steht vor einer Verzweiflungstat. Mit einem Fuss gibt sie Gas, mit dem anderen steht sie noch auf der Kupplung. “Gott, sagt sie laut. Tu jetzt was. […] Sonst lasse ich los.” Daheim sitzt ihr Mann und wartet. Wartet auf ein Zeichen und damit auf die Rückkehr seiner schwangeren Frau. Doch er erwartet das Schlimmste. Andere haben wiederum bereits mit den plötzlichen Verlusten kämpfen. Ein Junge, der seinen Bruder vermisst und ihn doch noch sehen kann. Ein Mann, der seine Trennung nicht annehmen kann, seine Mutter belügt und sich gleichzeitig in Online-Bekanntschaften verrennt. Der Tod. Die Trauer. Die Frustration. Die aufgestaute Angst und die Hemmung…
“… es war nicht schlimm, sagt er. Erst nachher. Tot zu sein war einfach nur schön. […] Aber als sie mich wieder ins Leben zurückgeholt haben, war es einfach nur scheiße. Ich hätte mich lieber noch ein bisschen am Seetang festhalten sollen. Nur ein kleines bisschen. Verstehst du?”
Bjarte Breiteig hat mich überrascht. Denn obwohl jede Erzählung nur einen kurzen Augenblick andauert, hat mich jede für sich sehr schnell gepackt und auch emotional ergriffen. Breiteig schafft es mit nur wenigen Worten gerade mal auf zwei/drei Seiten so viel unterzubringen, für was andere ein ganzes Buch brauchen. Es sind eben Erzählungen die nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern auch zwischen den Zeilen sehr viel Tiefe und Gedanken transportieren und den Leser in eine leicht düstere, traurige Situation katapultieren und genauso plötzlich wieder zurückwerfen. Das intensive Gedankenspiel danach… toll! Gerade das macht dieses Buch für mich dann tatsächlich auch zu einem Highlight. Und wenn ich bereits von Highlight spreche, so muss ich hier auch das äußere Erscheinungsbild erwähnen. Der von mir sehr geschätzte Künstler und Illustrator Peter Phobia hatte hier nämlich seine Finger im Spiel und gemeinsam mit luftschacht ein großartiges, auf Plastik verzichtendes Kunstwerk erschaffen. Große Empfehlung von mir!
Und wer dann wie ich anschließend noch mehr von Breiteig lesen mag, dem darf ich schon einmal verraten… Die kennen keine Trauer ist bereits sein viertes Werk, also Nachschub ist in diesem Fall gesichert!
Bjarte Breiteig – Die kennen keine Trauer.
Aus dem Norwegischen von Bernhard Stobel.
Luftschacht.
88 Seiten. 16 Euro. Design-Hardcover.
//Leseexemplar
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