Einmal alles loslassen. Sich aus dem Staub machen. Alles hinter sich lassen. Niemandem verraten, wo man gerade ist und das Leben ohne Zwang genießen. So oder so ähnlich ist Charlottes Wunsch in Doris Knechts neuem Roman weg. Sie möchte fliehen, sich nicht eingesperrt fühlen und wieder leben. Doch ihre Mutter ist einfach mehr als fürsorglich.
“Die Welt ist zu groß. Sie könnte in diesem Badezimmer verlorengehen, in einem der Abermillionen gleichen Badezimmer in allen Teilen der Welt, und der Welt würde es nichts ausmachen.”
Georg und Heidi kennen sich eigentlich kaum noch. Sie haben eine Tochter, aber sonst gibt es nur wenige Überschneidungen in ihrem Leben. Sie wohnt allein bei Frankfurt. Er lebt mit seiner neuen Familie auf einem österreichischen Landgasthof. Früher war es Georg, der einfach weg wollte, raus aus der Stadt. Heute ist es ihre Tochter Charlotte, die zwar schon erwachsen ist, aber an psychischen Problemen leidet. Sie ist einfach verschwunden, nicht mehr in Berlin auffindbar. Weg. Nach und nach trommelt Heidi alle Freunde ihrer Tochter zusammen, sammelt Informationen und malt sich Schreckliches aus. Sie beschließt ihre Tochter zu suchen und auch Georg steht ihr bei diesem Plan zur Seite. Die quälende Angst lähmt sie und doch stellt sie sich den neuen Herausforderungen. Die wenigen Anhaltspunkte führen sie nach Vietnam und Kambodscha. Heidi kommt dort mit neuen Kulturen, Gewohnheiten, einem ganz anderen, unbehüteten Leben in Kontakt. Sie macht sich zahlreiche Gedanken, gewinnt Abstand zu ihrem alten Leben und blüht auf. Sie verlässt ihren Kokon und aus der einstigen Suche nach ihrem Kind wird ein Befreiungsschlag mit offenem Ende…
“Aber nach all den Nächten, in denen sie nicht wusste, wie es Charlotte ging, wo Charlotte war, was Charlotte trank, rauchte und einwarf, bei oder mit wem Charlotte schlief, nach all den entsetzlichen, zehrenden Ängsten und trotz all dieser Ängste war Charlotte immer noch am Leben, war Charlotte nicht gestorben. Aber sie tat sich weh. Und ihr wurde weh getan.”
Dieses Mal ist es die Geschichte einer überfürsorglichen Mutter, die Doris Knecht hier auf die Probe stellt. In ihren Romanen machen die Hauptcharaktere stets eine ungeahnte Entwicklung durch und gerade durch das zutiefst Menschliche wird das Gelesene zu etwas besonderem. Nachdem ich ein großer Fan von Wald war (und auch noch immer bin), musste ich ihr neues Buch unbedingt lesen, beinahe schon verschlingen. Und doch war ich dieses Mal etwas genervt. Heidi, ist mir zunächst ein viel zu ängstlich umsorgender Mensch, der teilweise wahnsinnig anstrengend wird. Mit der Zeit lässt sie los, lässt sich am Ende gar treiben und gerade das tut dem Ganzen unwahrscheinlich gut. Das Ende ist für mich fast schon das Highlight der ganzen Geschichte.
Und auch sonst hat es Knecht mal wieder geschafft eine Mischung aus poetischen und hinterfragenden Gedanken mit Themen wie Vertrauen, Beziehungen, Liebe und Festhalten sowie Loslassen zu verweben. Es bedarf in diesem Fall nicht einmal sonderlich großer Action. Die Geschichte zieht einen menschlich in den Bann und gerade das ist großes Kino. Schon allein die ersten Zeilen haben mich begeistert und ich wusste, das ist ‘mein’ Buch. Am Ende muss ich nun leider sagen, dass dieser Roman für mich nicht an “Wald” heranreicht. Und trotzdem hat mich dieses Buch sehr schnell mitgerissen und in eine Welt voller Ängste, Sorgen und Beschützerinstinkte geworfen, die mir rückblickend wahnsinnig gefallen hat. Für mich eine klare Leseempfehlung und ja, ich könnte nun ein Fan sein. Ich möchte nun weiterlesen; Besser wartet schon auf meine Heimkehr.
“Verschwinden, Leere, Abwesenheit. Das Klicken eines Feuerzeugs, draußen, in der Hitze der Nacht, die Glut einer Zigarette, eine Silhouette, nackt, dunkel, schleierhaft. Und spürbar nicht mehr da. Weg. Heidi steht auf und geht hinaus zu ihm, umarmt ihn von hinten, berührt ihn noch einmal […] und geht.”
Doris Knecht – weg
Rowohlt Berlin.
304 Seiten. 22 Euro. Hardcover.
//Rezensionsexemplar
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