“Die Familie ist eine Begegnung mit dem, was man am tiefsten in sich vergraben hat.”

Auf den neuen Roman von Jocelyne Saucier habe ich mich schon sehr lange gefreut. “Ein Leben mehr” war mit unter das erste Buch, das mich wieder ans Lesen herangeführt und begeistert hat. Ihre ruhige und doch so klare, bildhafte Sprache hat mich schon damals sehr eingenommen. Nun geht es mit “Niemals ohne sie” in die nächste ‘Runde’.

Die Cardinals sind eine recht außergewöhnliche Familie. Mit den insgesamt 21 Kindern behausen sie eine alte, baufällige Hütte in Norco. Ihr Vater hatte dort ein riesiges Zinkvorkommen entdeckt und verkauft sein Wissen an eine Minengesellschaft, die ihn dann jedoch um seinen Anteil verprellt. Der große Wohlstand blieb aus und so leben sie weiterhin unter ärmlichen Verhältnissen. Als dann die Mine geschlossen wird, ziehen nach und nach andere Familien weg, nur die Cardinals erregen weiterhin Aufsehen. So wild, so unberechenbar, so explosiv. Sie halten nicht einfach nur zusammen, sie wollen die Ehre der Familie retten. Es den großen da oben zeigen und ihren Anteil vom Kuchen bekommen. Und so geschieht, was nicht geschehen sollte und aus dem Kampf um Ehre, wird ein Pakt, der die Kinder noch mehr zusammenschweißt und sie noch Jahre später verfolgen wird…

 

“Die geisterhafte Gestalt unserer Mutter spukte durch unsere Nächte und verfolgt uns bis heute. Manchmal, wenn ich allein im Bett liege, in meinem kleinen Zimmer in dem Hotel, in dessen Küche ich mich sechs Tage die Woche abrackere, warte ich auf sie.”

 

An dieser Stelle wäre ich jetzt gerne begeistert. Doch leider muss ich nun gestehen, dass ich mit diesem Buch mehrere Kämpfe geführt habe. Generell sind mir zu viele Namen bzw. Protagonisten immer ein Hindernis, dass es in diesem Fall gleich 21 Kinder plus Vater und Mutter sein müssen und die Kinder dann auch noch jeweils zwei Anreden besitzen… Achje. Auch der Handlungsstrang war für mich dieses Mal nicht ganz so spannend. Die Auflösung, auf die sich die ganze Geschichte zuspitzt, ist zwar logisch, aber dennoch fraglich. Alles hängt hier quasi von der Explosion und der damit folgenden Inszenierung ab bzw. dem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl. Die einzelnen Protagonisten erzählen dabei nach und nach von ihren Erinnerungen, Ansichten, Ängsten und lüften so Schritt für Schritt das auftauchende Rätsel. Und dennoch wirft gerade die ‘Lösung’ des Ursprungs bei mir einige Fragen auf, die die Begeisterung schmälern. Warum? Wenn die alle da waren, wie soll denn…? Ahja. Und wieso fühlte sie das denn nicht vorher? Ach, hmm.

Wenn ich dieses allerdings außen vor lasse, dann hat es Saucier mal wieder geschafft mich mit ihrer Erzählweise zu begeistern. “Niemals ohne sie” ist ein eher ruhiges Buch mit enormer Zwischenmenschlichkeit innerhalb der Familie. Schutz, Fürsorge, Ängste, Hierarchien innerhalb einer Familie, die Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und auch sehr viel Verständnis kommen innerhalb einzelner Zeilen wunderbar zum Tragen. Auch sprachlich habe ich mir hier wieder sehr viele einzelne Sätze markiert, die nicht nur ein Bild im Kopf erzeugen, sondern auch gedanklich einiges in Gang setzen. Aber ein Roman ist eben mehr als nur die Sprache und so konnte ich in diesem Fall das “Meisterwerk” nicht entdecken.

 

Jocelyne Saucier – Niemals ohne sie
Aus dem Französischen von Sonja Finck und Frank Wergand
Insel Verlag.
255 Seiten. 20 Euro. Hardcover

10. März 2019

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