Inge Löhnigs bzw. in diesem Fall Ellen Sandbergs Roman “Die Vergessenen” wurde bereits vor einiger Zeit sehr plattformübergreifend gelobt und fand zahlreiche begeisterte Leser. Mit dem Erscheinen des Taschenbuchs habe ich mich nun auch an diesen kleinen ‘Hype’Roman gewagt und was soll ich sagen? Ich wurde großartig unterhalten. Doch worum geht’s?
Manolis Lefteris, bekommt 2013 einen ganz besonderen Auftrag, der ihn unwissentlich an seine Grenzen bringen wird. Er, der Mann für besondere Aufträge und Problemlösungen, soll Chris Wiesinger beschatten und ihm ein Dossier abnehmen. Allerdings stellt sich die Suche nach diesem als nicht ganz so einfach dar, wie erwartet, denn Wiesinger hat Pokerschulden, versucht sich bei seiner Familie Geld zu schnorren und gerät selbst dabei immer weiter in Bedrängnis bis er dann auf ein Geheimnis stößt, das ihn dank Erpressung reich belohnen könnte…
“Jemand, der richtig Geld habe und ein Geheimnis. Jeden Preis werde er bezahlen, damit die Sache nicht ans Licht kam, und er, Wiesinger, hätte die Beweise. Jedenfalls so gut wie.”
Trotz ständiger Observierung verschwindet Wiesinger plötzlich von der Bildfläche. Anscheinend wollte ihn jemand noch vor Manolis loswerden. Dieser sucht nun innerhalb der Familie nach weiteren Indizien und dem so dringend benötigten Dossier … Etwas später mischt sich dann auch noch die Journalistin Vera Mändler ein. Sie möchte dem Ganzen auf den Grund gehen und stößt dabei zufällig auf ein altes Foto, dass ihre Tante Kathrin und Adele vor der Heil- und Plegeanstalt Winkelberg zeigt. Dass sich ausgerechnet dahinter grauenhafte Machenschaften des Krieges verstecken, ahnt bis dato noch niemand.
Kathrin war zu Zeiten des Dritten Reichs Krankenschwester in Winkelberg und sollte dort den Kranken und Behinderten helfen. Doch Winkelberg ist Spielort eines furchtbaren Euthanasie-Programms, von dem auch Kathrin etwas wissen musste, wenn sie nicht sogar selbst Teil davon war…
“Doch am Ende bist du, was du bist. Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken, du bleibst doch immer, was du bist. Ein Mörder im weißen Kittel.”
Es beginnt die aufregende Suche nach Dokumenten. Akten, die Informationen über damalige Pfleglinge beinhalten, die so brisant und belastet sind, dass auch Vera bald in das Visier eines eiskalten Mörders gerät und um ihr Leben fürchten muss.
Es ist nun keine große Kunst oder vielleicht kann man es doch so sehen, denn in dem kleinen, gegebenen Rahmen hat Ellen Sandberg alias Inge Löhning eine sehr interessante Geschichte ersponnen. Was zunächst eher schleppend, springend und etwas anstrengend beginnt, weckt dann recht zügig das Interesse und öffnet mögliche Lösungsoptionen. Leider sind gerade diese häufig sehr offensichtlich oder einzelne Schritte werden von mehreren Seiten beleuchtet, sodass am Ende tatsächlich etwas die Überraschung fehlt. Und dennoch macht sie es ganz gut, denn selbst wenn man zwischenzeitlich etwas abgelenkt ist oder nicht alles hunderprozentig mitbekommt, wird man stets durch eine andere Perspektive bzw. Erzählung wieder aufgefangen und ins aktuelle Geschehen katapultiert. Auch charakterlich beinhaltet dieser Roman eine recht schöne Zusammenstellung verschiedenster Figuren und Überzeugungen, die den Anschein erwecken, dass diese fiktive Geschichte sich tatsächlich so in der Heil- und Pflegeanstalt Winkelberg abgespielt haben könnte.
Winkelberg gibt es natürlich nicht, allerdings wurde in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar zu Zeiten des Dritten Reichs genau dieses Euthanasie-Programm inklusive dem erwähnten Hungertod angewendet. Und sicherlich wurden auch hier so einige Geschehnisse nachträglich vertuscht und Westen rein gewaschen. Die NS-Zeit war für viele Bevölkerungsgruppen eine harte Bewährungsprobe und so vielschichtig, dass es beinahe mehr als erschreckend ist, dass viele NS-Ärzte unbestraft davon kamen. Ellen Sandberg greift genau diese Urteile der Gerichte auf und es geht in diesem Fall auch um so viel mehr – die Gerechtigkeit, die Liebe, den Zusammenhalt. Genau damit hat sie mich dann auch gepackt. Der Wechsel zwischen den zwei Zeitebenen , aber auch der Wechsel zwischen den einzelnen Charakteren macht diesen Roman packend, sodass man teilweise alles andere vergisst und einfach nur noch weiterlesen möchte. “Die Vergessenen” ist für mich ein sehr unterhaltsamer und flüssiger Spannungsroman.
Auch wenn ich es nicht gedacht hätte (da ich bei sehr viel Lobhudelei meistens eher abgeschreckt bin) bin ich in diesem Fall wirklich begeistert und freue mich nun darauf, auch ihren neuen Roman “Der Verrat” bald entdecken zu können.
Ellen Sandberg – die Vergessenen
Penguin.
510 Seiten. 10 Euro. Taschenbuch.
//Leseexemplar
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