Seit nun etwas mehr als zwei Wochen, habe ich auf Instagram eine Pause eingelegt. Eine Pause, die mir Gelegenheit geben soll, manche Dinge wieder aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Zu diesen Dingen gehört vor allem mein Blick auf die Welt der Bücher. Ich habe bemerkt, dass mein eigenes Gespür für Bücher immer mehr in den Hintergrund gerückt ist. In Zeiten von Bookstagram und Co, in denen man auf alle Neuerscheinungen und hoch gelobten Bücher aufmerksam gemacht wird und man diese nur noch auf die Wunschliste setzen muss, wurde ich bequem, habe es genau so gehandhabt und immer weniger selber gestöbert. Wenn ich in die Buchhandlung kam, gab es wenig Neues zu entdecken, weil ich all die Titel, bereits aus dem Netz kannte. Dies ging in den letzten Wochen sogar so weit, dass ich von einigen Titeln bereits vor Erscheinen einfach nur genervt war, dass ich überhaupt keine Lust mehr hatte sie zu lesen, auch wenn mich die Geschichte eigentlich angesprochen hat. Und so sehr ich die Bookstagram Community auch ins Herz geschlossen habe und sie auch ein wenig vermisse, so freue ich mich darauf, wieder selber neue Bücher zu entdecken und auszusuchen.
Ein Buch jedoch, welches wohl zurzeit auch sehr hoch gelobt und weit verbreitet wird, von dem ich persönlich aber nur wenig gehört hatte, hat mich in der letzten Woche begleitet und es zählt schon jetzt zu meinen Jahreshighlights 2018:
„„Glaub doch, was du willst“, sagte sie. Aber das war unmöglich, und Greta wusste es. Man konnte versuchen, zu glauben was man wollte, aber das klappte nie. Gehirn und Herz entschieden, was man zu glauben hatte, und das war’s dann.“
Die Rede ist von „Sag den Wölfen ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt aus dem Eisele Verlag.
Es brauchte nur wenige Sätze um mich in den Bann dieses Romans zu ziehen. Erzählt aus der Perspektive der 14-jährigen June, geht es in dieser Geschichte um Familiengeheimnisse, Trauer, Neid, (verbotene) Liebe und Freundschaft.
June lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester Greta in einem Vorort von New York. An den Wochenenden besucht sie mit Greta und ihrer Mutter ihren heiß geliebten Onkel Finn. Der ist ein bekannter Künstler und fertigt ein Portrait der Schwestern an. Denn Finn leidet an AIDS und möchte vor seinem Tod so viel Zeit wie möglich mit seinen Nichten, vor allem mit June, verbringen.
Nach seinem Tod fällt June in ein tiefes Loch und zieht sich vollkommen zurück. Bis jemand in ihrem Leben auftaucht, der genauso eng mit Finn verbunden war, wie sie selbst. Und so bekommt June nicht nur ein völlig neues Bild von ihrem Onkel, sondern erfährt auch einiges über den Rest ihrer Familie.
In einfachem aber wunderschönem Schreibstil, hat Carol Rifka Brunt einen sehr einfühlsamen und poetischen Roman geschaffen. Die von ihr geschaffenen Charaktere sind sehr ausdrucksstark und es fehlt nicht am nötigen Tiefgang. Einzig der Charakter der Mutter war mir persönlich oft zu oberflächlich gestaltet, auch wenn man im Laufe der Geschichte immer mehr über ihre Vergangenheit erfährt und aufgrund dessen, eigene Rückschlüsse ziehen kann.
Was mir an diesem Roman besonders gefällt, ist die Vielfalt der Themen, die die Autorin anspricht. Die Geschichte spielt Ende der 1980er Jahre, die Zeit in der das Thema AIDS noch wenig erforscht ist und die Menschen dementsprechend unsicher und nicht vorurteilsfrei auf bekannte Fälle reagieren. Auch das Thema Homosexualität, welches vor allem vor den Kindern ferngehalten wird, wird im Roman sehr einfühlsam beschrieben. Des Weiteren geht es um die Dynamik zwischen den Geschwistern June und Greta und um Eifersucht innerhalb einer Familie.
„Es war wichtig für mich zu wissen, dass meine Mutter verstand, dass auch sie eine Rolle gespielt hatte. Dass Eifersucht und Neid und Scham, die wir in uns trugen, unsere Art von Krankheit waren. Eine Krankheit wie Tobys und Finns AIDS“
„Sag den Wölfen ich bin zu Hause“ ist ein Buch, was mich von der ersten bis zu letzten Seite gefesselt hat. Auch wenn es zwischendurch ein paar Längen gab, haben mir vor allem Junes Erinnerungen und Gefühle sehr gut gefallen. Mitzuerleben, wie June ihren toten Onkel Finn immer besser kennen lernt und somit immer mehr auch über sich selber lernt, war ein großartiges Gefühl. Die Autorin hat es geschafft mir Tränen in die Augen zu treiben und mir immer wieder Gänsehaut Momente zu bescheren. Ich liebe Geschichten, die mit meinen Emotionen spielen, mich wütend werden zu lassen, wir hier über die Naivität der Mutter, oder mir das Herz aufgehen zu lassen, zb. darüber, wie zwei scheinbar total zerstrittene Schwestern im richtigen Moment dennoch zusammenhalten.
Es gab nur einen wirklich kleinen Punkt, der mich gestört hat: der Schluss des Buchs, die große Auflösung, kam mir zu schnell. Um die Figuren zu verstehen, muss man einiges zwischen den Zeilen lesen. Junes Mutter und ihre Geschichte werden im Roman zwar auch thematisiert, am Ende setzt sich die Autorin aber gerade damit zu wenig auseinander.
Ich möchte hier nicht zu viel verraten, vielleicht verstehen diejenigen die das Buch bereits gelesen haben, was ich meine. Teilt mir eure Meinung doch einfach mit, ich würde mich freuen.
Für alle anderen, die das Buch vielleicht noch vor sich haben: freut euch auf ein tolles Buch!
Carol Rifka Brunt – Sag den Wölfen ich bin zu Hause
Weitere Infos zum Buch gibts hier beim Eisele Verlag >>
Hardcover – 448 Seiten – ISBN 98-3-96161-007-5 – 22€
Photo by Johannes Plenio
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