Eibohphobie ist der Fachbegriff, der die Angst vor Palindromen beschreibt. Zwar geht es in AIBOHPHOBIA von Kurt Fleisch weniger um die Angst vor einzelnen Wörtern, aber Ängste oder, größer gedacht, die Furcht vor der Realität, die Faszination für die Erforschung von Geisteskrankheiten und die Abhängigkeit zwischen Arzt und Patient spielen eine große Rolle.
Dieser Roman ist an sich eine Aneinanderreihung einzelner Schriftstücke des sehr angesehenen und von sich selbst eingenommenen Psychiaters Dr. H. an seinen Patienten und Freund Herr S.. Während S. scheinbar zahlreich von seinem Leid klagt, Unmengen von Psychopharmaka beinahe schon inhaliert, wirft Dr. H. über diesen ständigen Austausch ein Auge auf ihn, begleitet ihn durch diesen Wahn, weist S. sogar in eine Klinik ein um ihn zu schützen und zeitgleich sieht er in S. ein interessantes Forschungsobjekt. H. hat sich nämlich zur Aufgabe gestellt ein Programm zur Klärung jeglicher Geisteskrankheit zu entwickeln und während er in diesem Plan immer mehr aufgeht, hat S. angefangen einen Bunker zu bauen und sich immer mehr von der Außenwelt abzuschotten. Seine Ängste verstärken immer die Abhängigkeit zu H., was diesem natürlich sehr gelegen kommt. Doch was anfangs noch recht klar definiert ist, verschwimmt mit der Zeit immer mehr und die Fragen wer hier nun eigentlich der Patient, wer Arzt und Psychiater, was Realität und was Einbildung ist und was wohl dieser Herr S. geantwortet haben könnte, werden immer lauter.
“Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass sich Ihr Geisteszustand durch meine Briefe fortlaufend verschlechtert haben könnte? Ich therapiere, programmiere, repariere Ihr wertvolles Gehirn und zerstöre diese Arbeit auf der Stelle wieder durch einen Brief, durch ein Programm, durch eine gefundene Ursache, die ich selbst bin – ich selbst bin das Geschwür! Nebenbei, diese Zerstörung betrifft nicht nur Ihres, sondern ebenso auch mein Gehirn. Fortlaufend!”
“AIBOHPHOBIA” ist, wie der Titel schon erahnen lässt, ein sehr verrücktes Buch. Ein verrücktes Buch über Verrücktheit quasi, die während des Lesens eine Wendung und andere Form einnimmt. Herr oder Dr. H wird zum ominösen Herrn S., der von seinen Problemen, seinem Versteck und Bunker erzählt, von der Abhängigkeit nach Psychopharmaka und von der Welt gänzlich überfordert scheint. Das Interessante daran ist jedoch, und daran lässt sich vielleicht auch das Palindrom dieses Romans erkennen, dass sich Elemente während des Lesens wiederholen, die Schreiben sich vorn und im weiteren Verlauf auf Ähnliches beziehen und doch aus ganz unterschiedlichen Rollen heraus betrachtet werden. Die zweite Hälfte antwortet aus der anderen Sicht auf die erste Hälfte, bzw. H./S. verstrickt sich erneut in diesen Gedanken, sodass das Verständnis von vorn nach hinten, sowie von hinten nach vorn ein ähnliches in gespiegelter Form ist. Des Weiteren tauchen in diesem eigentlich doch recht leichten, luftigen und unterhaltsamen Szenen immer wieder tiefgründige, philosophische Gedanken auf, die in Verbindung mit den wirren Gedanken des Protagonisten die Leser*innen sehr in dieses Gedankenspiel hineinziehen. Ähnlich verhält es sich mit Zukunftsvorstellungen von der Kryostase bis hin zu einem Programm bzw. einen Algorithmus “für die sichere Prognose des Verlaufs von Geisteskrankheiten” an denen der Protagonist und der mögliche Patient interessiert sind.
“Das Irrenhaus ist wahrlich ein Freudenhaus, und das Freudenhaus ein Irrenhaus. Wir sind aber ausgesperrt, eingesperrt im Zuchthaus. Sperren Sie sich ins Klo ein, Herr S. Ich sperre mich gerne ins Klo ein, das Klo ist ein wenig wie das Irrenhaus. Sämtliche Zustände und Regungen des Gemüts, die ich mit dem Klo verbinde, sind positiv gefärbt. Das Klo ist ein äußerst angenehmer Ort. Sperren Sie sich ins Klo, Herr S., niemand wird Sie stören.”
Auch wenn dieses skurrile Buch mit diesen vielen queren Gedanken recht unterhaltsam ist und bis zum Ende irgendwie mit diesem leicht verstörenden Gedankenexperiment punkten kann, so habe ich doch einen gewissen Höhepunkt vermisst. Alles steuert zwar immer mehr in diesen Wahn, bis man Arzt und Pantient kaum noch voneinander unterscheiden kann, aber die gesamte Geschichte nimmt weder punktuell an Fahrt auf, noch verstrickt sich alles in noch größerer, einnehmender Absurdität, noch kann man sich mit diesem Protagonisten identifizieren oder mit ihm mitfühlen. So bleibt es dann auch eher eine kurzweilige, distanzierte Unterhaltung, die die Leser*innen mal in eine ganz andere, spezielle Welt entführt und dann irgendwie auch schnell wieder in Vergessenheit gerät und das so ganz ohne die oftmals gewünschte Lobotomie.
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Kurt Fleisch – AIBOHPHOBIA
Kremayr & Scheriau.
176 Seiten. 20 Euro. Hardcover.
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