Erzählungen | William Trevors bewegend, literarischer Nachlass

Ich werde ja immer so ein bisschen wehmütig, wenn es um die letzten Überlieferungen, Nachlässe, Andenken und Co geht. Es hat irgendwie etwas endliches, unwiderrufliches und beendetes. So bin ich nun dann auch etwas ehrfürchtig und erwartungsvoll an William Trevors Letzte Erzählungen herangetreten. Wahrscheinlich hat jeder, außer mir, auch schon einmal von ihm gehört, etwas gesehen oder sogar schon etwas, das aus seiner Feder stammt, gelesen. William Trevor Cox, wie er mit vollem Namen hieß, hat in seinem Leben nämlich ganze 23 Romane, 11 Bände mit Erzählungen und 8 Theaterstücke in den Umlauf gebracht. Dafür wurde er dann auch zahlreich ausgezeichnet, für den Booker Prize nominiert und sogar von Queen Elizabeth II. zum Ehrenritter ernannt. In seinen Werken beschäftigte sich Trevor häufig mit den Außenseitern der Gesellschaft, Einzelgängern, unglücklich verliebt oder verheirateten, älteren und jüngeren Menschen. Es sind immer die Schicksalsschläge, immer die menschliche Abgründe oder Dilemmata, die seine Protagonisten bewegen und den Leser auf eine Gedankenreise mitnehmen. In diesem Erzählband sind nun 10 Kurzgeschichten aus dem Nachlass des irischen Schriftstellers vereint, die zwar unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem in die gleiche Kerbe schlagen.

So geht es zum Beispiel. um ein außerordentlich talentiertes Kind. Seine Klavierlehrerin ist jedes Mal aufs Neue von seinem Fingerspitzengefühl begeistert, doch mit jedem seiner Besuche verschwindet auch etwas aus ihrer Wohnung, so, als müsse sie für jedes einzelne Stück bezahlen. Zwei Gelegenheitsarbeiter kümmern sich um einen Hausanstrich und nehmen es hin, dass der “verkrüppelte” Ehemann plötzlich spurlos verschwunden ist. Der Tod, die Erinnerung, Lügen spielen sogar in mehreren Erzählungen eine große Rolle. Wir gehen ins Café, machen uns Gedanken und ein unbekanntes Mädchen, nehmen Verluste hin, trauern und irgendwie leben wir einfach weiter.
Es sind diese offenen Geschichten, die einen als Leser sehr beschäftigen. Ich glaube die Geschichte über die Haushaltshilfe, die einen Unfall hatte, daran verstarb und von der niemand mehr wusste, als dass sie ein sehr fleißiges, einsames Mädchen war, hat mich mit unter am meisten mitgenommen. Ich habe ewig über dieses Szenario nachdenken müssen und es hat mich sehr ergriffen. Schon allein die Vorstellung des einsamen, plötzlichen Todes ruft in mir zahlreiche Frage hervor: wofür lebst du eigentlich? Was willst du hinterlassen? Was machst du, wenn du niemanden für den Rest des Lebens um dich hast? Ist ein einsames Leben überhaupt lebenswert?
William Trevor greift mit seinen Geschichten sehr bewegende Begegnungen, Beobachtungen, Abschiede und eben Gedanken auf, die man als Leser beinahe automatisch weiterspinnt. Alles könnte dabei so oder so ausgehen, je nachdem wie sich die Protagonisten entscheiden oder den Ereignissen Beachtung schenken. Und gerade das bleibt offen und macht wahrscheinlich auch die Faszination dieser sehr bewegenden Lebensausschnitte aus.

“Was geschieht, fragt sich Anita, mit Menschen, wenn sie weggehen? Was wird aus ihnen? Ihre Abwesenheit ist eine Art Tod; ist es ein Tod auch für sie? Oder kann man an einem anderen Ort mit der Erinnerung abschließen und Schuldgefühle lindern?”

Irgendwie finde ich es schade, erst jetzt auf ihn gestoßen zu sein. Jede seiner Erzählungen kommt ohne große Gefühlsduselei aus und doch bewegen sie und regen zum Nachdenken an. Sie kosten Zeit und umso länger man sich darüber Gedanken macht, umso schlimmer sind die Schicksalsschläge und Gedanken seiner Antihelden. Fragen ploppen beinahe immer auf. Wieso genau? Was ist wirklich passiert? Hätte es nicht alles anders ausgehen können? Diese Erzählungen sind nicht unterhaltend, sie sind tiefer greifend und genau das schätze ich sehr an diesem literarischen Nachlass. Ich könnte nun auch einfach die New York Times zitieren: “Niemand konnte Wendepunkte im Leben so einfangen wie der große irische Autor. Dieser Band ist sein letztes Geschenk an uns, seine pralle Handlung entspringt einzig menschlichem Gefühl.” Und genau das macht dieses Buch. Ich könnte nun noch einmal bewegend sagen oder einzigartig, William Trevor hat mich einfach nachhaltig beeindruckt und ich finde, man sollte ihm auch noch heute sehr viel mehr Aufmerksamkeit schenken. Es gibt viele Schätze von ihm zu entdecken und dies ist auf jeden Fall einer davon.

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William Trevor – Letzte Erzählungen.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe.
208 Seiten. 24 Euro. Hardcover.

28. Juli 2020

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