Starkes Buch, gewaltiger Inhalt – “Sprache und Sein” von Kübra Gümüşay

Sprache ist so etwas wunderbares und scheinbar doch auch oftmals etwas ganz kompliziertes. Wenn es um Sprache geht, denken wir wahrscheinlich zunächst an Englisch, Deutsch, Französisch… und verbinden mit ihr eventuell Erinnerungen an die Schulzeit, Urlaube oder gar einzelne Menschen. Sprache kann aber auch noch viel mehr. Sie ist die Verbindung zu anderen und damit das Element des Austauschs und der Gruppierung. Unsere Muttersprache ist so etwas wie das Zuhause, unsere Kind- und Vergangenheit in einem. In seinem Buch “Zuhause – Die Suche nach dem Ort an dem wir leben wollen” gibt Daniel Schreiber der Sprache auch einen gewissen Sicherheitsaspekt. Bei ihm ist es eher das Englische, dass ihn seine recht schwierige, deutsche Kindheit vergessen lässt, Ruhe und Freiraum bietet. “Sprache ist unser Zugang zu einer Welt, die uns nie vollkommen zugänglich ist, uns aber ohne Sprache überhaupt nicht zugänglich wäre. Und jede Sprache beschreibt die Welt ein bisschen anders […] Eine neue Sprache zu lernen, […] heißt darum auch, sich einen neuen Zugang zur Welt zu schaffen, und nicht zuletzt, sich selbst anders zu sehen.”
Sprache kann somit auch eine Perspektive sein, Freiheit bedeuten, Abgrenzung zur Vergangenheit, Vergessen und Akzeptanz. Alles ist stets im Wandel und wird von so vielen Seiten aus begutachtet oder zeugt und verknüpft (neue) Erinnerungen, dass es heutzutage beinahe schon schwierig ist, dass zwei Menschen über einen Begriff, Gegenstand oder Satz genau das gleiche denken, fühlen und verbinden. Hinzu kommt, dass durch die immer weiter fortschreitende Globalisierung, die einstigen räumlichen ‘Sicherheitszonen’ und Länderabgrenzungen immer mehr verschwimmen und auch die Sprache innerhalb ihrer eigenen ‘Rückzugsräume’ sich immer wieder neuen Herausforderungen und dem Einfluss der ‘Außenwelt’ stellen muss.

Ein sehr tolles Sachbuch, das sich mit diesem Element Sprache beschäftigt, noch viel mehr Rückschlüsse offenbart und Gedanken für eine bessere, rücksichtsvollere Zukunft bietet ist “Sprache und Sein” von Kübra Gümüşay. Seit seiner Erscheinung im Januar kommt man als hinterfragender, weltoffener und toleranter Mensch so gut wie nicht daran vorbei und wenn du dieses Buch tatsächlich noch nicht kennst, wäre jetzt ein Buchhandlungsbesuch angebracht, denn es ist einfach so ein kluges, vielschichtiges und vor allem auch wichtiges Buch, einer sehr starken und inspirierenden, jungen Frau. Kübra Gümüşay setzt sich mit der Sprache und ihrer Wirkung auseinander, beschreibt ihre persönlichen Erlebnisse und gibt ganz viele, neue Anstöße für einen besseren Umgang mit sich selbst, seiner Zugehörigkeit, seinen Gedanken, seiner Akzeptanz und Individualität in verschiedensten (sprachlichen) Ausprägungen. Es geht aber auch um die Interaktion zwischen den Menschen, größeren Gruppen bis hin zu ganzen Kulturen. Sprache ist etwas, das immer um uns herum vorhanden ist, unsere Gedanken prägt, uns und unser Handeln leitet, und uns einander näher bringt. Aber es gibt eben auch die großen Schwachstellen, die hasserfüllte Diskurse provozieren, in Diskriminierung und Rassismus enden. Einen großen Auslöser sieht Gümüşay hier bereits bei der Benennung bzw. dem Kategorisierungs- und Schubladendenken der Menschen. Das führt dazu, dass große Menschengruppen an Individualisten unter einem Begriff zusammengefasst werden, um sie dadurch vom ‘Standard’ abgrenzen und angreifbar machen. Diese Verallgemeinerungen machen den konstruktiven Diskurs, gerade in Zeiten vom Aufmerksamkeitswahn einzelner medialer Ausprägungen, wahnsinnig schwer, und pushen alles mehr und mehr in negative Richtungen. Doch, ist eine normale Kommunikation, ohne Hass, ohne Demütigung oder Herabsetzung überhaupt noch möglich? Liegt es vielleicht am Deutschen selbst? Wie wäre es, wenn die Sprache keine Vergangenheitsform mehr hätte? Und wie wäre es, wenn wir Menschen tatsächlich als die Individuen betrachten, die sie tatsächlich sind?

“Wer Jahre damit verbracht hat, sich spezifisches Wissen anzueignen, sollte auch wissen, dass es ein unmögliches Unterfangen ist, jemals zu Ende zu lernen. Ein offener Blick auf die Architektur unseres Seins ist vielmehr ein Geschenk: eine Gelegenheit, die Mauern zu sehen, die zwischen uns und dem Rest der Welt stehen.”

Man kann es jetzt vielleicht schon erahnen, in diesen 183 Seiten gibt es wahnsinnig vieles zu entdecken, zu durchdenken und zu verinnerlichen. “Sprache und Sein” ist so auch mein Buch mit den meisten Markierungen geworden, denn beinahe auf jeder Seite gibt es irgendeinen faszinierenden, neuen Impuls. Ich habe zahlreiche gedankliche Anstöße, manchmal auch Aufreger und noch viel mehr Verständnis für Individualität gefunden. Sprache ist einfach so viel mehr, als nur ein neutrales Kommunikationsmittel und Multilingualität nicht immer nur ein Ausdruck der Wertschätzung oder Anpassungsfähigkeit. Sprache ist der Ausdruck der persönlichen Empfindungen, eine Art Gemeinschaft und Aufmerksamkeit. Sprache kann aber auch kränken, komplett aus dem Rahmen fallen, angreifen und darum ist es immer wichtig, offen für einen Diskurs zu sein und doch stets seine Wortwahl zu bedenken. Nicht an jedem prallen negative Worte einfach so ab oder andere fühlen sich bereits vorher gekränkt, ausgeschlossen, diskriminiert… und ich glaube die Gesellschaft wird es einfach nie erreichen eine für alle angenehme Sprache zu finden, ohne jemanden in irgendeiner Weise zu beleidigen oder auszuschließen. Viel hat mit Erinnerung, Erziehung, Tradition, Ansichten, Kämpfen, Unterdrückung und und und zu tun. Auch unser Drang Menschen (Tiere, Gegenstände, eigentlich alles ums herum) zu beschreiben, sie einzuordnen, ihre Andersartigkeiten als bedeutsames Merkmal herauszustellen, bildet ungewollt Gruppierungen, teilweise negativ und mit zahlreichen Vorurteilen behaftet. Mal ehrlich… Woran denkt ihr bei dem Wort Kopftuch? Bleibt es da tatsächlich bei der Bedeutung eines Tuchs oder gehen eure Gedanken schon weiter? Denkt ihr dabei automatisch schon an Menschen, Gruppen, Vorurteile? Genau. Und gerade deshalb müssen wir gucken, das immer wieder gängige Schubladendenken zu durchbrechen, neue Impulse zu liefern und empathisch, aber auch verständnisvoll mit uns und unseren Gegenübern auseinanderzusetzen. Sprache kann sich wandeln. Sprache kann man lernen. Sprache kann, aber auch einfach so sein wie sie ist und eine Identität und noch mehr Raum für unsere Empfindungen liefern. Es ist eine Frage des Respekts wie wir miteinander in einer offenen Gesellschaft umgehen wollen und ja… da liegt noch sehr viel Arbeit vor uns. Kübra Gümüşays Buch ist da auf jeden Fall schon einmal ein brillanter Anstoß in die richtige Richtung und ich hoffe nun, dass ihre, aber auch jede andere Stimme Gehör finden wird, damit die Menschheit zum Positiven bewegt werden kann, in Kategorien einsortierte Minderheiten aufgelöst und Diskriminierung sowie Rassismus nach und nach aus unsern alltäglichen Sprachgebrauch vertrieben werden.

Allerdings, und damit hadere ich so ein bisschen mit mir, meinen Gedanken und diesem Buch, ist Sprache auch immer etwas, was mit der Bedeutung, die wir ihr schenken, zu tun hat. Früher sagte man häufig “Du musst dir diese Jacke ja nicht anziehen” und irgendwie habe ich selbst dieses Prinzip sehr verinnerlicht. Also ich kann Kübra Gümüşays Ausführungen meistens komplett nachvollziehen und doch trifft es mich im Alltag einfach nicht. Wahrscheinlich bin ich da wie die Frau aus der erwähnten Gesprächsrunde, in der es um die Ungerechtigkeiten der Sprache geht. Um es kurz zu beschreiben: Kübra Gümüşay erzählte in einer Runde wie Sprache Menschen ausgrenzen kann. Viele stimmten ihr zu und haben es bereits am eigenen Leib erfahren und dann gab es da eine eher überraschte Frau, die sich scheinbar noch nie ausgeschlossen oder begrenzt gefühlt hat. Ihr wurde beigebracht positiv auf die Welt zu schauen und Gümüşay denkt dann: “Vielleicht kann sich ein Mensch, der noch nie gegen eine Mauer gelaufen, der noch nie hart auf den Boden der Machtlosigkeit, des Kontrollverlusts, der Demütigung, der Einsamkeit oder der Sprachlosigkeit geschlagen ist – vielleicht kann so ein Mensch sich die Mauern, die sich tatsächlich durch unsere Gesellschaft ziehen, gar nicht vorstellen. Vielleicht läuft dieser Mensch neben einer solchen Mauer entlang, ohne sie auch nur zu spüren. Ohne zu ahnen, dass sie für viele andere, deren Szenario des >schlimmsten Falls< ein ganz anderes wäre, real ist.” Und da muss ich dann sagen, dass ich als Schüler selbst (ohne genauer ins Detail gehen zu wollen) häufiger angegriffen oder ungerecht behandelt wurde. Ich bin nie Standard gewesen und habe mir eher zurückhaltend meinen Weg gesucht. Natürlich wurde ich nicht tagtäglich mit Bedrängnissen konfrontiert und vielleicht ist es mir daher auch möglich viele Begrifflichkeiten einfach nicht mehr so menschenbezogen zu interpretieren . Ich sehe Mauern, Probleme in Form von Begrifflichkeiten, Angriffen, aber für mich entsteht vieles häufig erst im Kopf. Für mich ist Sprache eher etwas beschreibendes, nie etwas definierendes. Ein Begriff kann eine Person einfach nicht beschreiben, er ist eine kleine Einzelheit, die bei anderen als Schublade und das beschreibende Merkmal gilt, sie aber in seinem ganzen Wesen niemals definieren kann. So ist es mir dann z.B. auch komplett egal ob jemand ein Kopftuch trägt, eine andere Hautfarbe hat oder andersgläubig ist. Eine gute Freundin und ehemalige Kommilitonin habe ich so auch nie auf ihr Kopftuch angesprochen oder direkt nach ihrer Herkunft gefragt. Sie ist für mich als Mensch mit ihrem kompletten Wesen wichtig, alles andere ist eher eine Art Beiwerk. Und natürlich wird sie ab und zu als “die mit dem Kopftuch” beschrieben und natürlich fielen dann irgendwann auch mal ein paar Worte über ihre Herkunft, den Glauben, dies und das. Man ordnet Menschen ein, man beschreibt alles um einen herum, aber vieles, sprachlich Gebräuchliche hat noch einmal zunehmend mit Vorurteilen zutun. Das greift nun teilweise in die Kategorisierung mit rein und doch hat für mich jede Frage auch einfach mit der Wertschätzung und dem Interesse am anderen Menschen zutun. Vor einer Weile gab es da z.B. einmal ein große, hochkochende Diskussion, ob die Herkunftsfrage diskriminierend sei oder eben nicht… und das macht mich persönlich irgendwie traurig. Immer mehr wird als abwertend, anders, diskriminierend interpretiert und gefühlt wird das mit jedem Jahr und jedem weiteren Diskurs schlimmer bis eben nur noch dieser haarscharfe Grad zwischen Interesse, Diskriminierung und dem diskriminiert Fühlen entscheidet. Und gerade diese ‘Erscheinung’ nimmt in so vielen Bereichen zu, macht vieles zwar bewusster, aber auch oberflächlicher und schiebt dieser einfachen Kommunikation einen Riegel vor. Ich frage mich dann immer: ist das noch so richtig? Natürlich gehen nun Diskriminierung oder rassistische Äußerungen noch einen Schritt weiter, aber zunehmend sucht man nun den Ursprung in diesen kleinen, einfachen Sachen, die den Menschen abheben bzw. ausschließen könnten und das macht es kompliziert. Im letzten Jahr musste ich mich z.B. innerhalb einer Diskussion auch als “privilegierter, weißer Mann, dem beinahe alles einfach so in den Schoß fällt” betiteln lassen und aus diesem Grund hätte ich bei den grundlegenden Sachen die Frauen, andere Herkünfte und Co betreffen, kein Mitspracherecht. Ähm. Diese Einstellung finde ich schwierig. Das untermauert zwar erneut Gümüşays Argument der benannten Kategorisierung von Menschen und ja, diese Schublade hat mich tatsächlich auch angegriffen, tut es auch heute noch, allerdings mehr aus diesem Rückschluss heraus, diese alle über einen Kamm scherende Haltung ist fatal und nicht die Sprache oder ihr Gebrauch selbst. Ja, ich bin weiß und habe es deshalb in Vielerlei Hinsicht einfacher gehabt und dennoch heißt das noch lange nicht, dass ich keine Argumente beisteuern darf oder komisch denke. Es heißt auch nicht, dass mir alles einfach fällt oder ich keiner anderen Minderheit angehöre. Diese Betitelung ohne genaue Kenntnisse über mich und die damit einhergehende Beurteilung fand ich gravierender, als die Benennung selbst. Und ich glaube davon können viele Menschen ein Lied singen… aber was ich eigentlich damit sagen möchte, für mich gibt es die Sprache und dann einmal die Auslegung der einzelnen Worte. Vieles ist vom Kontext abhängig bzw. dem was man draus macht und gerade der Kontextbezug geht immer wieder unter. Einzelnen Worten wird immer mehr Bedeutung zugeschoben und ob man nun will oder nicht, genau das behindert. Und so habe ich dann auch viele Aufreger in Punkten über Handlung, Haltungen und Co gefunden, die ich in dieser Form nicht unterschreiben möchte, sondern eher als Thesen bzw. Diskussionsgrundlagen einordne. Ich glaube Sprache und gerade die Auffassung/Wahrnehmung sind hochkomplexe Themen, die sich im Laufe der Jahrtausende herausgebildet haben. Diese Entwicklung wurde von den Menschen getrieben und nun versucht man einzelnen Wirrungen entgegenzuwirken. Das ist teilweise für eine Sprache schon schwierig, für die Vermischungen der Weltsprachen in meinen Augen beinahe schon unmöglich. Daher sollten wir eher gucken, dass wir möglichst respektvoll mit dem anderen umgehen, weniger unseren Vorurteilen und Verallgemeinerungen glauben und einfach auch mehr untereinander erklären und besprechen, warum irgendetwas in der Unterhaltung gerade komisch läuft. Sprache kann viel. Sprache kann trennen, differenzieren, aber eben auch verbinden und beim Lernen helfen. Darum macht euch Gedanken, damit die Zukunft besser wird, und nehmt dieses Buch vielleicht einfach als Grundlage. Das würde mich freuen.

“Wir sind Menschen. Wir werden Fehler machen. Wir werden verletzen und verletzt werden. Doch nur, wenn wir einander nicht für immer auf eine Position festnageln, wenn wir uns selbst und andere nicht auf starre Perspektiven festlegen, werden wir gemeinsam weiterkommen.”

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Kübra Gümüşay – Spache und Sein
Hanser Berlin.
208 Seiten. 18 Euro. Hardcover.
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weitere aufgeführte Literatur:
Daniel Schreiber – Zuhause – Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen.
Hanser Berlin.
140 Seiten. 18 Euro. Hardcover.
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1. März 2020

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