Ich bin ja so ein großer Skandinavienfan. Norwegen liegt da in meiner Gunst sehr weit vorn und umso mehr freue ich mich dann auch, dass gerade in diesem Jahr Norwegen das Gastland der Frankfurter Buchmesse war und dadurch noch einmal vermehrt nordische Romane und Autoren den Weg zu uns finden. Ein großartiger Überblick, wenn nicht sogar das Buch zur Messe ist für mich Heimatland aus dem Luchterhand Literaturverlag. Es ist ein Gemeinschaftswerk von zwölf recht bekannten norwegischen Autoren, I.K.H. Kronprinzessin Mette-Marit und Geir Gulliksen.
“Wenn dir solche besonderen Stimmen in der Literatur begegnen, erlebst du etwas Eigenes und Persönliches in dir selbst. Und das hat nicht nur etwas mit dem Thema zu tun, über das sie schreiben, hin und wieder ist es nachgerade unwesentlich, was sie sagen, aber ganz entscheidend, wie es gesagt wird. In diesem Wie der Literatur liegt häufig eine ganze Lebenseinstellung.”
Und gerade dieses Eigene, dieses individuelle Gefühl, die Bedeutung, aber auch die ‘Laut’-Stärke wird in diesem Buch wunderbar eingefangen und Gedanken werden über verschiedenste, poetische, methaphorische, ausdrucksstarke Erzählungen transportiert. Im Grunde soll es in allen Essays um das typisch Norwegische gehen und doch dreht sich vieles um Flucht und Ankommen, Familie, Gemeinschaft und Austausch. Das Vorwort ist ein Gespräch zwischen der Kronprinzessin und Gulliksen in dem sie sich über ihre Heimat, das typisch Norwegische, die Literatur und ihre hier zusammengestellte Essayauswahl unterhalten. Das macht das danach Folgende sehr persönlich und dennoch recht spannend.
Eins vorweg, mir pesönlich haben nicht alle Texte gefallen bzw. einige haben mich gefühlskalt und fragend zurückgelassen, andere emotional aufgewühlt und begeistert. Und daher bin ich gerade auch sehr froh, diesen Überblick erhalten zu haben, denn so weiß ich, welchen Autoren ich in naher Zukunft noch mehr Beachtung schenken möchte und welche sich für mich vielleicht gar nicht so lohnen bzw. mich nicht erreichen. “Es gibt viele große Autoren, die ich aus diesem Grund nicht lese. Ich will mein Leben nutzen, um Literatur zu lesen, die versucht, das Essentielle der Existenz abzudecken. Das ist das Wichtigste für mich, wenn ich lese, und auch das Wichtigste für mich im Leben.” ist da so ein tolles, passendes Zitat von I.K.H. Kronprinzessin Mette-Marit und das trifft es dann tatsächlich so mehr oder weniger auf den Kopf.
Daher möchte ich nun auch in kurz auf meine Lieblingsessays eingehen bzw. diese auflisten, ohne gleichzeitig zu spoilern:
Tomas Espedal schreibt sehr philosophisch, poetisch über die Frucht, den Tod, den Lauf das Lebens. Ein, wie ich finde, sehr bewegender, wohlklingender Beitrag, über den man eigentlich gar nicht so viele Worte verlieren kann. Ich bin beeindruckt. Übersetzt von Heinrich Schmidt-Henkel.
Bei Vigdis Hjorth, übersetzt von Gabriele Haefs, geht es dann eher um die Körpersprache, das sich heimisch Fühlen, das Geborgensein und den Bezug zur Außenwelt und gerade der Perspektivwechsel bzw. der Erkenntnisgewinn innerhalb dieser paar Seiten fasziniert mich sehr. Es passiert nicht sonderlich viel und doch empfand ich ihre Ansicht erfrischend und gewinnbringend. Danke.
Ähnlich erging es mir dann auch bei Ole Robert Sunde mit seinem Text/Erfahrungen über die Stolpersteine in Oslo. Für mich ein sehr bewegender Text gegen das Vergessen, der noch einmal verdeutlicht welch Glück wir haben, dass wir in der heutigen, eher friedvollen Zeit leben und dass es nach wie vor wichtig ist, sich mit der Vergangenheit und Zeitzeugen(berichten) zu beschäftigen, um Vorurteile, aber auch Hass, abzubauen. Sunde hat mich mit seinen Beobachtungen sehr aufgewühlt und das, obwohl er noch nicht einmal direkt über die Gewalttaten schreibt. Übersetzt wurde dieser Beitrag von Ulrich Sonneberg.
Marit Eikemo widmet sich mit Liebe gibt es auch auf diesen Straßen gleich mehreren Themen. Eigentlich ist es nur eine Autofahrt von Mutter und Tochter und doch schwingt so viel mehr mit. Die Erinnerung spielt eine große Rolle, aber auch die Verbindung zwischen den Generationen. Alt und Jung, die Zukunft und die Vergangenheit, Sicherheit und Furcht. Und gerade die Wendung… fand ich toll. Übersetzt von Ina Kronenberger.
In Helga Flatlands Bruchharsch, übersetzt von Elke Ranzinger, geht es dann auch in gewisser Hinsicht um die Generationen, aber eher um die übernommene Pflicht in Form eines Schneeräum-Jobs, dem Heranwachsen/Hereinwachsen, die Furcht, aber auch den Weckruf, eigene Wege zu gehen, etwas anders zu machen.
Insgesamt sind diese Essays sehr durch die heutige Zeit und die vorherrschenden Themen geprägt. So findet man in ihnen Spuren von aktuellen Diskussionen, sei es das Klima oder die Konflikte zwischen den Generationen und Menschengruppen. Auch die Literatur, die Überlieferungen, die Angst vor der Zukunft haben großen Einfluss auf die Autoren. Es macht aber auch deutlich, dass Norwegen ein vielfältiges, sorgenvolles, tolles, bereicherndes Land ist. Es ist nicht unbedingt anders als ‘Hier’ und dennoch macht diese Gelassenheit und Ruhe so ihren ganz besonderen Reiz aus. Mich hat dieses Buch jedenfalls noch mehr für Norwegen und die norwegische Literatur begeistern können und ich freue mich nun auf weitere Geschichten und Erzählungen.
“… was wir kennen und was uns vertraut ist, füllt den ganzen Raum in uns, so klein es auch sein mag, während alles, was wir nicht kennen und was uns nicht vertraut ist, gar keinen Raum einnimmt. Begriffe wie Norwegen, Europa oder auch Die Welt gleichen den Druck zwischen dem Wenigen aus […]”
… darum lasst uns die Welt entdecken, fremde Länder erkunden, die Literatur erobern und unsere Heimat zu einem ganz besonderen Ort der Geborgenheit, Gastfreundschaft und Neugier werden.
Desweiteren, denn ich möchte hier niemanden unter den Tisch fallen lassen, sind Siri Hustvedt und ihr Essay über Die zwei Norwegen (übersetzt von Uli Aumüller), Wencke Mühlisen mit #Shetoo und Demian Vitanza mit Das Wartezimmer (Übersetzung von Ulrich Sonnenberg), Karl Ove Knausgard mit Das Heimatland (übersetzt von Paul Berf), Agnes Ravatn mit Olsok (aus dem Norwegischen von Elke Ranzinger), Maria Navarro Skaranger mit Die Zeit nach dem Vater (auch von Ulrich Sonnenberg übersetzt) und Dag Solstad mit Kann man einer Nationalsprache den Garaus machen? Ist das nötig? (In der Übersetzung von Ina Knronenberger) vertreten.
I.K.H. Kronprinzessin Mette-Marit & Geir Gulliksen (Hrsg.) – Heimatland und andere Geschichten aus Norwegen
Luchterhand.
328 Seiten. 20 Euro. Hardcover.
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