Wir müssen reden! Über Heimat, Offenheit, Respekt, Toleranz … oder ganz einfach: übers Leben

Heimat ist ein großer Begriff, der gerade auch in den letzten Jahren vermehrt politisch inszeniert wird, sofern inszeniert hier das richtige Wort ist. Es gibt das ‘neue’ Heimatministerium, dessen Aufgabe mir bislang eigentlich noch gar nicht so klar ist. Eher negativ fielen mir hier einige Äußerungen auf, die eher Abgrenzung statt Offenheit darstellten. Genauso wäre es dann mit dem rechten Flügel, der gerne ‘seine’ Heimat verteidigen möchte und vor Überfremdung schützen will. Doch bedarf Heimat überhaupt diese Gedanken? Und was ist Heimat eigentlich?

Für mich ist es die Kultur, die Lieblingsspeisen, Familie, Zusammenhalt, Freunde, die Landschaft, das Angekommenfühlen. Und dann bin ich auch genau da: Heimat ist eher meine Art Gefühl, meine Erinnerung, mein Ursprung. Wobei ich sagen muss, dass Lübeck für mich nach 10 Jahren genauso zu einem Ort, den ich als Heimat sehe, geworden ist, wie mein ursprüngliches zuhause selbst. Alles andere ist beinahe unwichtig. Es ist egal wie viele Menschen hier und dort leben, ob man sich mit allen versteht, alle die gleichen Ansichten teilen und doch… an irgendeiner Stelle hakt es. Warum sonst sollen sich viele so bedroht fühlen, obwohl sie hier gar nichts zu befürchten haben? Wieso gönnt man es anderen Menschen nicht, die aufgrund von Notständen, Kriegen und Angst ihr Land und ihre Heimat und ihren Ursprung zurücklassen und sich nun hier eine neue Heimat aufbauen wollen? Wieso grenzen wir Menschen aus, die doch genau das gleiche Recht bekommen sollten wie jeder andere auch? Wieso… Wieso… Wieso. Viele Fragen und so wenige wirkliche Antworten. Die von mir sehr geschätzte Moderatorin und Journalistin Dunja Hayali hat sich mit ihrem Buch “Haymatland – Wie wollen wir zusammenleben?” an dieses Thema gewagt.

 

“Derzeit bietet unsere Heimatbühne kein gemütliches Volkstheater, sondern wurde von Leuten gekapert, die offenbar nur ein Programm kennen. Es nennt sich >Frust, Hass und Misstrauen<. Und auch darüber müssen wir reden. Leider.”

 

Und genau das tut sie dann auch. In diesem eigentlich recht dünnen Büchlein, beschreibt sie ihre Situation, ihre Gedanken und Wünsche/Hoffnungen/Ängste. Sie beschreibt ihre Bedeutung von Heimat und die Wichtigkeit des Ankommens und Aufgenommenwerdens. Was damals noch möglich war, scheint heute zahlreichen Menschen fremd, die Geste der Freundschaft, der Hilfe, der Offenheit. Heutzutage erwartet man von Flüchtlingen und Co häufig, dass sie sich integrieren, anpassen, in das starre System der Erwartungen einfädeln, doch ohne Unterstützung mangelt es auch an der Umsetzung. Vielen ist es nicht klar und großteils schlägt dieses Unverständnis und die Ablehnung in Frust, Hass und Gewalt um. Dunja Hayali, aber auch andere bekanntere und unbekannte Menschen, die sich hier eine Existenz aufgebaut haben oder gar hier aufgewachsen sind, sind aktuell gezwungen Position zu beziehen und sich vor Angriffen anderer Menschen zu verteidigen. So schildert sie auch hierzu ihre Position und geht (was ich sehr bewundernswert finde) recht offen damit um. Trotz Angst, Furcht, Einschüchterung, geht sie einen Schritt auf die Angreifer zu und versucht den Dialog zu nutzen, während andere hier bereits komplett dicht machen würden. Einzig die Kommunikation untereinander und das Verstehen des anderen kann sehr viel Schadensbegrenzung betreiben und ich finde gerade dies und noch so viel mehr wird in diesem recht schmalen Buch sehr deutlich. Hayali erörtert so z.B. auch das Sündenbockphänomen, geht auf den starken raueren Ton dank Internet und Anonymität ein, den generellen Rechtsdruck, der dann teilweise sogar die Abschaffung der eigenen Rechte nach sich zieht (siehe Türkei, Polen…).

Es gibt so viele Problemstellen, das kann man sich als weltoffener Mensch manchmal gar nicht vorstellen. Und doch, sind wir teilweise auch selbst schuld, denn wir wollen uns gefühlt über vieles aufregen. Wir hacken selbst auf unserer eigenen Sprache rum, sprechen gerne Englisch mit Urlaubern oder einfach weil es internationaler wäre. Eigentlich sind wir gar nicht so stolz auf unsere Sprache und doch regen wir uns über so kleine Worte wie Mohrenkopf, Neger, Schwarzer, Zigeuner… auf und doch bezweckt nicht jeder durch die Nutzung dieser Worte eine Diffamierung einzelner. Generell müsste man viel mehr im Zusammenhang betrachten, die Bedeutung ist entscheidend und gerade daran hapert es oftmals. Wir regen uns über kleine Sachen in einem großen komplexen System auf und erkennen das Wesentliche kaum… Wir erwarten von der Politik, dem Staat eine eindeutige Regelung und sind selbst überfordert anderen die Möglichkeit zu geben, genau das gleiche erreichen zu können, wie wir selbst. Wir hatten das Glück in einem privilegierten Land geboren zu sein, also sollten wir auch anderen keine Chance verwehren.

 

“Es kann doch nicht sein, dass ein Mensch, der sich für andere engagiert, die in Not sind, als >Gutmensch< verhöhnt und als Volltrottel hingestellt wird. Und dass der >Schlechtmensch< (den es dann ja auch geben müsste), der nichts tut, außer zu meckern und Angst zu erzeugen, immer größeren Zuspruch erfährt.”

 

Im Großen und Ganzen kann ich nur sagen, dass dieses Buch sehr viele Gedanken, Denkanstöße und Möglichkeiten offenbart und mich doch am Ende etwas enttäuscht hat. Es stellt eine großartige journalistische Arbeit mit sehr viel persönlichem Einfluss dar. Hayali greift die großen ‘Elemente’ Heimat, Hass, Tatsachen, Hoffnung auf, doch es ist irgendwie nicht so rund wie ich gehofft hatte. Vielleicht war der Druck des Wollens etwas zu hoch oder die Zeit zu knapp, wer weiß? Gerade der Hoffnungs-Teil verliert bei mir beinahe komplett. Die Zurückweisung, dass Medien durch ihre Berichterstattung Menschen beeinflussen, gibt sie zwar zu, aber gerade die gängigen Medien tragen auch zur großen, negativen Meinungsbildung bei. Wieso wird z.B. ständig erwähnt, dass es ein syrischer Flüchtling war oder ein Mann irakischer Herkunft und nie, ein Deutscher? Wieso teilen Medien gerade Menschen, die ja eigentlich alle gleich behandelt werden sollten, in Gruppen auf und berichten dann doch am Ende oftmals sehr einseitig und aufmerksamkeitsstark. Wir machen selbst viele Fehler, das ganze System muss sich beinahe ständig neuen Herausforderungen stellen und sich hinterherhumpelnd anpassen. Vielleicht sollten die Medien gerade in dem Punkt anfangen und statt Sensationsgeilheit den Drang einer besseren Welt als Ziel nehmen. Natürlich braucht Deutschland dank demografischen Wandel auch Zuwanderer, die das ganze System stabilisieren, aber das dann u.a. wieder auf Pflegeberufe und Co zu reduzieren? Selbst da gibt es in Deutschland gewaltige Fehler, die einzig weiter ausgebaut werden und statt damals den Familienzusammenhalt zu stärken und möglich zu machen, eher Familien zu trennen und auseinanderzureißen. Es gibt so viele Schwachstellen, die hier Erwähnung finden sollten und die irgendwie am Ende aufgedröselt eine Chance ergeben könnten. Genauso wie hier hätte ich gerne mehr über die Frage “Wie wollen wir leben?” gewünscht, vielleicht verschiedene Stimmen, Ansichten, Gegenüberstellungen, persönliche Gedanken… Also für mich ist es so einfach nicht vollständig, es fehlt was, mehr Haymat und das ist wirklich schade.

Eigentlich sollte man dieses Buch jedem nahelegen, der etwas gegen den Staat, Andersgläubige oder allgemein Menschen hat, allerdings werden diese wahrscheinlich diese Art von Büchern eher sehr selten bis gar nicht lesen. Daher kann ich es nur als Anreiz zur offenen Diskussion empfehlen, denn gerade den Dialog braucht das Land, die Welt, die Menschheit. Und obwohl alles offener, vernetzter und verbundener ist, so fehlt es doch am Wesentlichen – der Kommunikation, dem Verständnis und der Akzeptanz. Es wäre also Zeit, dass wir gerade in den schwierigen Zeiten vermehrt daran arbeiten um wieder eine große Gemeinschaft bilden zu können, denn nur gemeinsam können wir die wirklich wichtigen Dinge und Probleme der Welt angehen und meistern.

 

“Ich wünsche mir Offenheit. Auch Offenheit dafür, sich mal zusammenzureißen. Mal nicht sofort zu sagen, was einem durch den Kopf schießt. Sein Gegenüber nicht zu unterbrechen, weil es einen sowieso nicht interessiert, was er denkt, sondern es nur darum geht, jemand anderem die eigene Meinung aufzuzwingen.”

 

Dunja Hayali – Haymatland – Wie wollen wir zusammenleben?
Ullstein.
154 Seiten. 16 Euro. Hardcover.

29. Januar 2019

No Comments

Leave a Reply

You Might Also Like