Benedict Wells über Wünsche, Träume, Wahrheiten

Wer sich mit mir schon einmal über Verlage und Lieblingsbücher unterhalten hat, weiß vielleicht, dass ich kein großer Diogenes-Fan bin. Das liegt nicht sonderlich daran, dass der Verlag mir unsympathisch oder es zu anspruchsvolle Literatur für mich wäre… ich habe bisher (so leid es mir tut) einfach noch kein einziges wirklich tolles Buch aus dem Hause Diogenes gelesen. Aber und darüber freue ich mich jetzt sehr, der Bann ist gebrochen oder besser gesagt Benedict Wells hat es mit seinen Geschichten “Die Wahrheit über das Lügen” geschafft, dass nun ein Diogenes-Lieblingsbuch bei mir einziehen darf.

 

“Sein Lieblingsmoment sind die Sekunden, wenn ich die Hähnchenbrust in seine Schüssel lege. Aber mein Lieblingsmoment sind die Sekunden, wenn ich die Haustür aufsperre. […] Er ist ja genauso einsam wie ich und wartet die ganze Zeit auf mich. Und wenn er dann endlich hört, dass ich das Haus betrete, fängt er bereits an zu miauen …”

 

Jeder Mensch hat seine Erinnerungen, seine Wünsche, Träume, Hoffnungen. Manchmal werden diese erfüllt, manchmal bekommt man die Chance etwas besser oder anders zu machen. Manchmal macht man sich etwas vor und lässt Erinnerungen an schönere Tage hochleben. Genauso vielseitig wie das Leben selbst. Im Fokus ein erfolgloser Drehbuchautor, der dank einer zufälligen Zeitreise in das Jahr 1973 zurückkatapultiert wird und nun vier Jahre Zeit hat die großartige Idee zu Star Wars zu stehlen und selbst zu produzieren. Umringt von anderen Schicksalsfällen, die sich aufs Tischtennisspielen, eine Schreibblockade, glücklichere Erinnerungen beziehen und im Tal der Wahrheit aufprallen.

 

“Es […] überkommt mich eine innere Unruhe, als wäre ich nicht glücklich, frei zu sein. In diesen Nächten laufe ich ziellos durch die Stadt, den Kopf gesenkt. Überhaupt versuche ich, andere Menschen zu meiden. Ich mag es nicht, wenn sie mich ansehen, ich weiß nichts über sie, kenne ihre Schwächen nicht.”

 

Ich muss zugeben, irgendwie habe ich inhaltlich etwas anderes erwartet. Zehn Geschichten, die aufeinander abgestimmt, die ein oder andere Lügengeschichte enthalten und die Wahrheit hinter dem Lügenkonstrukt preisgeben würden. Aber nein, es war dann doch ganz anders und dafür bin ich sehr dankbar. Es sind zehn recht verschiedene Kurzgeschichten, mit verschiedenen Schwerpunkten. Mal geht es mehr um Verlust und Einsamkeit, mal eher um die Verbindung zweier Menschen und Konkurrenzkämpfe oder gar eine Zeitreise und damit verbundene neue Erlebnisse der eigentlichen Vergangenheit. Und gerade dieses Konglomerat aus verschiedenen Themen, die jedes für sich einzeln stehen und doch die Verbindung des ‘sich etwas Vormachens’ beinhaltet, fand ich großartig. Zwei Geschichten haben mich sogar emotional überrumpelt und gerade wenn Kurzgeschichten, den Leser auch emotional packen und mitfühlen lassen, empfinde ich dies als große Kunst. Auch vom Duktus her, mochte ich es sehr und fand Wells’ Art von Erinnerungen und Träumen zu erzählen und dennoch eine gewisse Traurigkeit auszustrahlen, sehr bewegend und besonders.

Einzig die beiden Geschichten “Die Nacht der Bücher” und “Die Entstehung der Angst” haben mich fraglich gestimmt, was vielleicht daran liegen könnte, dass es sich bei der einen um eine unveröffentlichte Geschichte aus “Vom Ende der Einsamkeit” handelt und ich dieses Buch (noch) nicht kenne oder dass sie für mich nicht hunderprozentig zu den restlichen Geschichten gepasst haben. Wer weiß. Kurzum “Die Wahrheit über das Lügen” ist ein wirklich gelungenes Buch, ich hatte Spaß und zahlreiche Gedankengänge, manchmal fühlte es sich fast so an, als ob ein guter Freund einem eine Geschichte erzählt und ich würde meinen, dass dieses Buch bei nahezu jedem gut ins Bücherregal passen könnte.

 

Benedict Wells – Die Wahrheit über das Lügen
Diogenes.
256 Seiten. 22 Euro. Hardcover. Leinen.

 

Und vielen lieben Dank an Diogenes für das Leseexemplar.

30. September 2018

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