Familienplanung auf Abwegen – die Dystopie einer Beziehung

Das weiße Schloss von Christian Dittloff ist für mich ein sehr besonderes Buch geworden. Vielleicht ist es sogar eins meiner Highlights aus diesem Herbst (obwohl dieser ja gerade erst einmal buchtechnisch angefangen hat). Kurze Erklärung: Ich hatte es bereits vor einer Weile in der Vorschau des berlin Verlags entdeckt und erwartete hier eine tolle, tiefgründige Geschichte, die die Themen Elternschaft und selbstbestimmtes Leben miteinander verknüpft und neue zukunftsweisende Inhalte liefert, vielleicht etwas kitschig, vielleicht auch eine rundum-Wohlfühlwelt einer glücklichen Familie und ihren Kampf gegen Zukunftsprobleme, die sie natürlich fabelhaft meistern werden.
Doch als ich es dann angefangen habe zu lesen, war es einfach komplett anders bzw. nicht anders, denn das was dann kam, war irgendwie mehr als das. Es ist nicht dieser klassische Roman, kein Sachbuch, es ist eine Verflechtung verschiedener Inhalte, die sich in Form einer Liebesbeziehung zwischen Ada und Yves zeigen – Ihre Gedanken, Emotionen, intime Momente, gar Ängste und die Möglichkeit die Institution oder besser gesagt das Experiment “Das weiße Schloss” zu nutzen um recht unkompliziert Eltern auf ‘Wunsch’ zu werden, ohne auf irgendetwas verzichten zu müssen. Und das in dieser Form und ja… Woho

 

“Auf dem Weißen Schloss sind wir uns darüber im Klaren […] dass wir mit jeder Empfängnis vor einer wichtigen und komplexen Aufgabe stehen. Die assistierte Empfängnis und die Tatsache, dass das Kind der intendierten Eltern durch eine Tragemutter zur Welt gebracht wird, die sogar im Alltag erzieht, löst traditionelle Familiengrenzen auf.”

 

Auch wenn ich eigentlich schon alles gesagt habe… Worum geht’s?
Ada und Yves sind ein Paar. Eigentlich sehr glücklich zusammen, jeder arbeit an seiner Karriere und seinem Leben und sie könnten glücklicher kaum sein. Doch auch sie möchten wie viele andere, Eltern werden, aber nicht auf dem klassischen Weg, denn sie möchten gerne ihr unabhängiges, spontanes und selbstbestimmtes Leben ohne Einschränkung behalten.
Das neumodische Programm des weißen Schlosses, einem Prestigeobjekt und Internat soll nun die Lösung sein. Hier wird eine vorher ausgewählte Tragemutter, unter idealen Bedingungen und fachlicher Aufsicht, die Schwangerschaft, Geburt und Aufzucht des Nachwuchses übernehmen.

Wir begleiten nun Ada und Yves auf ihrem Weg zum Elternwerden, lernen Maria, ihre ausgewählte Tragemutter kennen, ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle, die nicht nur ihre Beziehung neu auf die Probe stellen. Es werden allerhand Fragen aufgeworfen, Fragen an die Gesellschaft, Fragen über Bindungen und Freiheit, Fragen über den Sinn und bestehende Rollenbilder einer Familie, Fragen an den ethischen Aspekt der Zeugung…

 

 

“Für welche Zeit lebte man eigentlich? War es gut und richtig, die Kindheit zwanglos zu verbringen? Und in welchem Verhältnis stand sie zu einer sinnvollen Ausbildung? Oder lebte man doch für das Alter, in dem man sich von den Strapazen des Arbeitslebens erholte, sich ausschlief für den Tod?”

 

 

Christian Dittloff ist es einfach gelungen ein großartiges Bild einer zukünftigen Beziehung und heranreifenden Familie in einer fortschreitenden Gesellschaft darzustellen. Ich selbst liebe die tiefgründigen Aspekte und entstehenden Gedanken, die hier beim Lesen über eine so nahezu schon heute mögliche Welt, aufkommen. Die verschiedenen Inputs ergeben ein kluges, faszinierendes Bildnis der Entwicklung des Selbstbestimmungsdrangs und all seiner bedenklichen Möglichkeiten, sowie weitere tiefgründige Fragen über die Aufbrechung zwischenmenschlicher, familiärer Beziehungen und Rollenbilder. Die Durchführung einer künstlichen Befruchtung, sowie die genauen Beschreibungen des Entwicklungsstands des Kindes innerhalb der 9 Monate, erweitert diese Geschichte noch einmal um die natürliche Ebene, den von der Natur bestimmten Reifungsprozess, innerhalb dieses vom Menschen erstellten Trugbildes einer neuen Entwicklungs- und Familienform.

Faszinierend finde ich auch die indirekte Gegenüberstellung der Möglichkeiten, vom normalen, ‘klassischen’ Elternwerden, über die künstliche Befruchtung bei der wirklichen Mutter bis hin zur hauptsächlich thematisierten Leih- bzw. hier erweiterten Form der Tragemutterschaft. Es ist jetzt nicht wirklich neu, denn gerade dies wäre ja auch heute schon möglich, scheitert jedoch (zum Glück noch) am ethischen Aspekt. Dieser Roman liefert somit zahlreiche philosophisch ethische Fragen im Rahmen einer beinahe ganz normalen Liebesbeziehung.

Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich bin ich von diesem Buch sehr angetan. Selbst die intimeren Szenen zwischen den beiden Protagonisten, sowie Gefühle, Ängste finde ich sehr detailliert, fein, anspruchsvoll und ästhetisch dargestellt, sodass es für mich als jemanden der Kitsch und großartiges Liebesgesülze oder plumpe Sexszenen nicht sonderlich mag, wirklich eine Bereicherung darstellt.
Im Stile von “Alles, was wir geben mussten” stellen sich in diesem Buch wichtige Fragen unserer Zeit und zukünftigen Lebensweise, sodass ich es dann auch beinahe jedem nahelegen möchte. Also bitte lesen, fragen, durchdenken!

 

“Im Übrigen: Was Sie mir vom Weißen Schloss erzählt haben, klingt hervorragend. Es fühlt sich an, als könnten wir mithilfe solcher Institutionen als Gesellschaft eine neue Stufe erreichen.”

 

 

Christian Dittloff – Das weiße Schloss
berlin Verlag.
304 Seiten. 22 Euro. Hardcover

20. August 2018

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