Ich als kleiner Knausgård-Fan hab es nun endlich geschafft und irgendwie macht es mich total glücklich die Jahreszeitenbände von Knausgard gelesen zu haben. Vor einer Weile habe ich euch ja bereits “Im Winter” und “Im Frühling” vorgestellt. Als letztes habe ich nun den Anfang “Im Herbst” und dann gerade jahreszeitlich zwar nicht so passend, “Im Sommer” gelesen.
Und was soll ich sagen? In seiner Gesamtheit finde ich dieses Werk großartig. Viele philosophische Denkanstöße, teilweise so kurz vor dem übertrieben Durchdachten. So viel Nähe und Menschlichkeit, Ängste, Hoffnungen. Aber wie es sich bei einer Reihe nun einmal gehört, erzähle ich mal der Reihenfolge nach.
Im Herbst – Mit Bildern von Vanessa Baird – Ende August bis November.
“Im Herbst” beginnt die Reise durch das Jahr. Es ist für mich beinahe auch der stärkste der vier Bände. Er beginnt am 28.August mit den Worten:
“Jetzt, da ich dies schreibe, weißt du nichts von dem, was dich erwartet, in welcher Welt du entstehst. Und ich nichts von dir. Ich habe eine Ultraschallaufnahme gesehen und meine Hand auf den Bauch gelegt, in dem du liegst, das ist alles. Sechs Monate sind es noch …”
Und schon da ist es für mich ein sehr, sehr persönliches Buch. Karl Ove Knausgård widmet diese Bände seiner Tochter. Im Herbst ist es noch ein gutes Stück bis zur Geburt. Er stellt die Familie in groben Zügen vor. Sie sind bereits zu fünft – drei Geschwister, eine Mutter und er selbst erwarten nun voller Glück ihre Tochter. Er beschreibt was er sieht, er beschreibt recht sprunghaft einzelne Elemente und komplementiert die einzelnen Monate jeweils mit einem Brief an (s)eine ungeborene Tochter. Keinem gelingt es dabei so wie ihm, zwischen Dingen, die konträrer nicht sein können, zu wechseln und doch zusammen ein stimmiges Bild zu erzeugen. So dreht es sich hier um Äpfel, Wespen, Plastiktüten, Zähne, Pisse, Blut, Krieg, Laub … Wahrlich eine wundersame Sammlung an Gedanken. Und genau das finde ich total faszinierend.
So liebe ich dann z.B. auch seine Anmerkung, dass die Erde als solches eigentlich tot ist und doch bietet sie so viel Leben, so wie das Meer. Alles ist eine einzige Verbindung von Elementen und bietet uns einen Lebensraum, der sich ständig verändert, lebt. Und überall sind es nicht einfach nur diese Gedanken, es ist auch Knausgårds Leben, seine Erfahrungen, seine Wünsche und Hoffnungen. Manchmal hat es gar etwas Zerbrechliches.
Zusammenfassend kann man Knausgård selbst zitieren:
“In meinem Inneren führt der Vogelzug ein Eigenleben. Ich denke nicht an ihn, aber er ist da, in dem Strom aus Wahrnehmungen und Gefühlen, der gelegentlich bei Bildern verharrt.”
Im Winter – Mit Bildern von Lars Lerin – Dezember bis Februar.
Über den Winter möchte ich an dieser Stelle gar nicht mehr so viel sagen und verweise hier auf meine Rezension. hier>>
Allerdings merkt man schon insgesamt etwas mehr Aufregung und Vorfreude und dann kommt seine Tochter zu früh. So zerbrechlich, so ängstlich. Der Winter ist der Aufbruch von etwas Neuem, das worauf einfach alle gewartet haben. Von der Art entspricht es dem Aufbau des ersten Teils. Es gibt wieder einzelne Begrifflichkeiten die Knausgård in seinem Stil erklärt, aber auch um Ereignisse wie den ersten Schnee, Wintergeräusche, Geburtstag, menschliche Kontakte, Sexuelle Begierde, Schneewehen, Punkt des Verschwindens.
“All das Fantastische, dem du bald begegnen, das du bald sehen darfst, verliert man so leicht aus den Augen, und es gibt fast so viele Arten, dies zu tun, wie es Menschen gibt. Deshalb schreibe ich dieses Buch für dich.”
Im Frühling – Mit Bildern von Anna Bjrger – eins bis drei/ März bis Mai.
“Im Frühling” geschieht dann plötzlich der Umschwung. Aus den einstigen Einzelbegriffen und Faseleien wird nun eher eine Art Tagebuch. In diesem Band ist seine Tochter Anne bereits drei Monate alt, das Leben geht voran. An diese Umstellung müssen sich alle zunächst gewöhnen und es ist, obwohl sie eigentlich schon Übung haben sollten, nicht einfach. Knausgård beschreibt den Alltag innerhalb seiner Familie, seine Ängste, Sorgen und gibt seiner Tochter einige Ratschläge mit auf dem Weg. Laut Klappentext ist die Rede von “ein Tag im Leben einer Familie, zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.”
Beim Lesen kommt es einem hingegen dank zahlreicher Rückblenden, Erinnerungen und Geschichten wie eine Ewigkeit vor – als würde man die Knausgårds als gute Freunde über einen recht langen Zeitraum begleiten. So erzählt er vom Aufenthalt seiner Frau im Krankenhaus, Ausflügen mit den Kindern und Depressionsphasen … Dieser Roman ist so vielseitig voller Gedanken und teilweise durch das Geschehene auch überrumpelnd.
Im Gesamtbild stellt dieser Teil für mich ein direkt persönliches Bild dar. So ganz ohne Abschweifungen über andere Themen, die man in den Zusammenhang mit Knausgård selbst stellen könnte. Der Frühling ist anders. Dies ist zwar im Grunde nicht schlecht, aber aus der anfänglichen Leichtigkeit und Vorfreude, die sich durch die Gedanken treibt, ist die Angst etwas falsch zu machen, die eigene emotionale Überforderung und der Egoismus des Einzelnen geworden. Frühling, der sinnbildlich eher für das Erwachen und die Liebe bekannt ist, steht in diesem Falle jedoch eher für eine Art Herausforderung und irgendwie auch für die Fehler und deren Lehren. Es ist mehr ein Blick auf die Familie, den Trubel und doch auch das Schöne, Neue, Gemeinsame.
“Manchmal tut es weh zu leben, aber es gibt immer etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Meinst du, du kannst dir das merken?”
Im Sommer – Mit Aquarellen von Anselm Kiefer – Juni bis August.
“Im Sommer” ist dann das dickste Buch. Hier vermischt bzw. verschwimmt der Aufbau dann wieder etwas. Die Zeit der Briefe ist vorbei und auch hier sind es eher die Erzählungen und Tagebuchausschnitte, die diesen Teil so anders persönlich gestalten. Seine einstigen Faseleien finden wieder Platz, sodass es eigentlich eher wie ein Übergang zum ersten Teil zu sehen ist, ein Kreislauf quasi, nur dass am Ende des Sommers Anne bereits die Welt mit ihren eigenen Augen sieht und wahrnimmt. Geschichten und Gedanken über Elemente des Sommers wie kurze Hosen, Rasensprenger, Johannisbeeren, Wespen, Regenwürmer und Schmetterlinge reihen sich an Tränen, Ohnmacht, Wiederholung.
Und auch hier gibt es wieder ein für mich sehr prägendes und passend beschreibendes Zitat:
“Jetzt kommt es mir so vor, als wären all diese Taue gelöst worden, und die früher lebensbestimmenden Teile sind nunmehr nur das, Teile in meinem Inneren, ungefähr so, wie eine Zwergbirke neben einem Pfad steht oder ein Findling wiederum neben ihr liegt, umgeben von Heidekraut, und weder das Heidekraut noch der Stein oder die Zwergkbirke sagen etwas über den Pfad, oder der Pfad, der Stein oder die Zwergbirke über das Heidekraut, sie existieren dort nur, Seite an Seite […] ebenso distinkt und einmalig wie zufällig.”
Man kann es kaum beschreiben. Es ist dieses Gefühl zwischen den einzelnen Gedanken. Knausgård wirkt gelöst, aber auch ängstlich, vorausschauend. Es ist was passiert, er trägt nun mit Verantwortung für seine Tochter und die Jahreszeit hält so viel Schönes parat.
Ich muss allerdings sagen, dass mir der Sommer, eventuell durch seine Wuchtigkeit, etwas Mühe bereitet hat und ich es nicht ganz durchgestanden habe. Es ist teilweise ein Buch für Zwischendurch, aber die Tagebuchfragmente sind dann wieder recht intensiv und lang. Vielleicht ist dies gerade die besondere Zeit eines Kindes, die er erneut und ausführlich mit seiner Tochter teilen mag. So genau weiß er’s sicherlich nur selbst, aber mir war es hier einfach etwas zu viel. Nicht desto trotz liebe ich auch diesen Band und ohne den Sommer, wäre alles nicht komplett.
Alles in allem ist es für mich (ich glaube ich erwähnte es bereits, bevor ich mich erneut in den einzelnen Jahreszeiten und im Durchblättern und erneutem Reinlesen verloren habe) ein sehr gewaltiges, besonderes und imponierendes Gesamtwerk. Ich bin fasziniert. Bis auf “Im Sommer” endet Knausgård immer genau auf der Schwelle zwischen dem genau richtig und dem zu viel. Und man braucht oftmals einfach Zeit dazwischen. Es ist ein Buch zum Weglegen und wieder aufnehmen. Es ist eine Reihe die man untereinander vertauschen und auch ohne jahreszeitlichen Bezug lesen kann. Vom Grundaufbau macht es zwar Sinn, die Reihenfolge beizubehalten, einfach um seine Veränderungen, sein Wachsen mit der neuen Aufgabe des erneuten Vaterseins wahrzunehmen. Und dennoch gibt ein jedes Buch so wunderbare Denkanstöße.
Toll! Für jeden, der Schwafeleien, Gedankenspiele, Philosophisches mag und liebt, ein großartiges Werk. Und ja, es findet auch in meinem Regal einen Ehrenplatz. Ob ich mich allerdings an weitere Werke Knausgårds (wie sein autobiografisches Projekt) wage … wird sich zeigen, für den Moment sind meine Gedanken gut gefüllt.
Die Jahreszeitenbände von Karl Ove Knausgard
Aus dem Norwegischen von Anselm Kiefer.
Luchterhand.
250 – 492 Seiten. 22 bzw. 24 Euro. Hardcover.
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