Lange hat es gedauert, dass Autorinnen und vor allem Klassikerinnen endlich mehr in den Fokus der heutigen Literaturszene rücken und für ihre Werke die entsprechende Anerkennung bekommen. Eine der tollsten Aktionen, wie ich finde, hat der Manesse Verlag sich auf die Fahnen geschrieben und mit “Mehr Klassikerinnen” ein ganzes Programm Autorinnen gewidmet. Und dabei entstand dann auch eine ganz besondere Anthologie, die in keinem Regal fehlen sollte.
Manesse hat mit Sandra Kegel eine wunderbare Sammlung über “Prosaische Passionen” herausgegeben in denen 101 Kurzgeschichten von den unterschiedlichsten Klassikerinnen der Moderne, von Ilse Aichinger über Simone de Beauvoir, Annemarie Schwarzenbach, Irmgard Keun bis hin zu Dorothy Parker, Kathrine Mansfield und und und einen Platz gefunden haben.
“An der Frage, welch Rolle das Geschlecht für die Literatur spielt und ob es ein dezidiert weibliches Schreiben gibt, scheiden sich die Geister. Die These, dass männliches Schreiben eher politisch und weltbezogen sei, weibliches eher privat und emotional, wie dies noch bis in die 1990er-Jahre behauptet wurde, ist aus der Welt.”
Die Geschichten selbst sind in ihrer Art, ihrem Stil und den Hintergründen recht unterschiedlich und doch merkt man recht schnell, dass sie alle etwas gemein haben – sie erzählen von Beziehungen, Wünschen und Hoffnungen, von Armut und bescheidenen Verhältnissen. Wie z.B. Neel Doff in “Prostituiert” von einer Frau und Tochter berichtet, die sich und ihren Körper aufopfert, um der Familie Essen und einen gewissen Lebensstand zu sichern. Oder Selma Lagerlöf, die über eine Frau schreibt, die Mann und Kind verlor und nun als Fischersfrau versucht durchzukommen und den Lebensmut nicht zu verlieren. Virginia Woolf, die über einen Fleck an der Wand schreibt und dabei ganz andere Themen streift oder Kathrine Mansfield die über eine Ehe Gedanken macht, Olive Schreiner, die von einer Frau erzählt, die sich wünscht, dass dem Mann, den sie liebt, das große Glück widerfährt und der sie dann verlässt. Mal sind es eher harte Themen, mal mehr Sprachverliebtheit oder die genaue Beobachtungsgabe und die Zwischentöne, die herausstechen. Und so ist diese Anthologie ein buntes, intensives, gar kalaidoskopartiger Blick auf eine Welt fern ab von Geschlechterklischees oder den oftmals salopp gesagten und abwertenden “Frauenthemen”. Es ist ein vielschichtiges Abbild der Zeit und von Lebensrealitäten, die oft in der männlich geprägten Literatur nicht vorhanden sind… das ist irgendwie traurig und gleichzeitig macht es dieses Buch so wertvoll und lenkt den Blick auf eben jene verdrängte Stimmen, die schon viel früher mehr Beachtung hätten finden müssen.
“Die Kanons der Vergangenheit belegen eindrucksvoll, wie sehr literarische Bildung jahrhundertelang durch die männliche Sicht geprägt und zementiert wurde. Autorinnen in der literaturgeschichtlichen Darstellung sind, so der Heidelberger Literaturwissenschaftler Helmit Kiesel 2004, >auf bestürzende Weise unterrepräsentiert<.”
Es ist eine Mischung aus Erst- und Neuübersetzungen aus 25 verschiedenen Sprachen und hat mich durch diese großartige Vielzahl an Texten, wie Autorinnen begeistert. Auch das Nachwort zur Einordnung mit allerlei Hintergrundwissen, wie es dazu kam, dass Autorinnen der vergangenen Jahrhunderte so unterrepräsentiert sind, empfand ich an sich schon als Bereicherung. Abgerundet wird diese Anthologie dann noch mit den Autorinnenviten, in denen auf knapp 56 Seiten eine jene Autorin kurz vorgestellt und ihr Leben nachgezeichnet wird. “Prosaische Passionen” ist ein unglaublicher Schatz und tolle Möglichkeit Klassikerinnen zu entdecken, wieder schätzen zu lernen und den Blickwinkel auf das wirklich Vorhandene zu werfen und nicht nur auf das oftmals behauptete Frauen und Künstlerinnen wären “Mangelwesen” in der Literaturgeschichte… es gab sie, sie wurden nur verdeckt von dem männlichen Blick, deren Überrepäsentanz und der weiblichen Ausgrenzung. “Jedes Weibliche Individuum, das öffentlich auftritt, bezaubert die Männer, so lange sie es versteht, sie zu amüsieren. Tritt die Frau aber öffentlich auf, um ihnen Konkurrenz zu machen, oder sie gar zu belehren, so wird sie zur Unnatur, zum Mannweib.” ist da vielleicht das beste Zitat von Hedwig Dohm, einer der ersten feministischen Theoretikerinnen, die dies bereits 1873 beschrieb. Ich könnte nun zahlreiche, weitere Gedanken und Zitate aus Sandra Kegels Nachwort anführen, aber so wie sie könnte ich es niemals zusammenfassen bzw. ich würde es mich gar nicht erst trauen, dies nun noch weiter und auf wenige Zeilen runterzustampfen. Für mich ist dieses Buch in seiner Gesamtheit ein großartiges Werk, eine sehr wertvolle Anthologie und eine großartige Sammlung von tollsten Texten, wundervoller Autorinnen, die man zwar nicht an einem Stück einfach mal so weglesen kann, dafür aber immer wieder tolle Möglichkeiten zum Entdecken bietet. Ein großartiges Geschenk für alle Literaturbegeisterten.
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Sandra Kegel – Prosaische Passionen.
Die weibliche Moderne in 101 Short Storys.
Manesse.
928 Seiten. 40 Euro. Hardcover
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