Wie wollen wir leben? Wie miteinander umgehen? Aufeinander zugehen? Aufpassen? Diese und noch ganz viele essentielle Fragen beschäftigen Hadija Haruna-Oelker in ihrem Buch “Die Schönheit der Differenz – Miteinander anders denken”. In einer Welt in der vieles eh schon geopolitisch schwierig ist, Menschen zur Flucht gezwungen werden, alles immer komplexer, gar anstrengender wird, ein jede*r mehr Individualität und Räume für sich (ein)fordert, gar verdient und kleinere, wie größere Probleme und fragwürdige Entwicklungen mehr persönliche, wie auch politische Aufmerksamkeit erfordern, ist ein verschobener Diskurs, Ausgrenzung, Rassismus, Egoismus das letzte, was wir gebrauchen können. Und doch ist es gerade das, was mir und sicherlich auch vielen anderen massiv Sorgen bereitet. Es hat sich etwas verschoben. Der Diskurs ist nun plötzlich viel rauer, härterer, ausgrenzender und egoistischer.
Es ist für mich unbegreiflich wie man gegen Menschen, gegen Inklusion, Gleichstellung oder gar Hilfestellung sein kann. Es ist für mich unbegreiflich in was für einer beschränkten Welt man leben muss und will, wenn man sich dem (gesellschaftlichen) Fortschritt und Ideen für ein besseres Zusammen verweigert. Es ist für mich unbegreiflich in was für einer aufgewühlten und anstrengenden Zeit wir gerade leben. Häufig scheitere ich dabei das aktuelle Weltgeschehen und die politischen Forderungen mit meinem eher offenen Weltbild in Einklang zu bringen, um nicht zu sagen, es überfordert mich. Umso dankbarer bin ich dann für Bücher und Menschen, die einen Schritt nach vorn wagen, auf Menschen zugehen, ihnen die Hand reichen und für Verständnis und positive Veränderung werben. Und das ganz ruhig, sachlich, freundschaftlich, offen.
“Dieses Buch ist eine Einladung. An alle, die über die Zustände unserer Gesellschaft nachdenken wollen. An Menschen die andere Antworten suchen als die gängigen Bestandsaufnahmen über Spaltung, Grabenkämpfe oder Generationenkonflikte. In diesem Buch schreibe ich für etwas und nicht gegen etwas an. Ich schreibe für eine diversere Gesellschaft und ihre schreibe für alle, die einen Weg dorthin suchen…”
… sind die ersten Sätze und gleich fühle ich mich wohl und aufgenommen. In diesem Buch spricht Haruna-Oelker sehr informativ, verständlich, teils auch sehr persönlich über Rassismus, Klassismus, Gender, Sexualität, Gefühle, dem “Weißsein und den Anderen”, der “Ohnmacht”, von Hanau. Sie möchte dabei nicht weiter polarisieren oder Dinge bewerten, es geht vor allem um Verständnis. Verständnis für den Anderen, für andere Geschichten und Lebenslagen. Verständnis für Sorgen und Ängste. Es ist eine sehr umfangreiche Annäherung an verschiedenste Themenkomplexe, nie abwertend, immer offen, fair, erklärend und den Raum öffnend für Fragen, an sich selbst und an die Leser*innen. Gestützt werden ihre Erfahrungen und Beobachtungen von verschiedenen Wissenschaftler*innen und Soziolog*innen, Untersuchungen, wie Studien. Ich finde es wahnsinnig faszinierend, wie die Autorin so ruhig und sachlich differenziert auf unterschiedlichste Themen blickt, die normalerweise für sehr aufgeheizte Gemüter sorgen oder schnell Schubladen öffnen. Und diese Gelassenheit steckt an, macht neugierig auf die Welt und andere Geschichten und animiert dazu nach Verbündeten und Lösungen zu schauen.
“Die Tatsache ist: Wir sind nicht alle gleich und werden nie gleich von etwas betroffen sein. Deshalb versuche ich zu vermeiden, von meinen Erfahrungen einfach auf andere zu schließen. Ich vergleiche nicht, sondern versuche, Brücken von meinem Gefühl und meiner Erfahrungswelt zu deren meines Gegenübers zu bauen. Ich versuche zuzuhören, ohne gleich eine Antwort auf Gesagtes zu haben.”
Für mich ist dieses Buch eine große Bereicherung und ein wichtiger Beitrag für eine offenere und tolerantere Gesellschaft. Und es ist ein Buch, das ich einfach jede*m in die Hand drücken mag. Wir müssen uns mehr mit diesen dringenden Fragen beschäftigen, mehr MIT den anderen, statt gegen sie handeln und argumentieren. Wir könnten so viel voneinander lernen, wenn wir zuhören und bereit dazu wären auch Minderheiten Raum zu geben. Wir könnten schon so viel weiter sein… Durch dieses Buch habe ich viel gelernt, neue Perspektiven gewonnen und bewundere Hadija Haruna-Oelker einfach wahnsinnig für so viel Nähe, Empathie und Verständnis, so viel Offenheit und Ehrlichkeit. Wieso kann es nicht mehr von ‘diesen Menschen’ in hohen Ämtern geben? Ich wäre dafür!
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Hadija Haruna-Oelker – Die Schönheit der Differenz.
btb Verlag.
558 Seiten. 24 Euro. Hardcover.
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