Dass es manchmal sinnvoll sein kann seinen Gedanken nachzugehen und Dinge von oben zu betrachten zeigt Marica Bodrozic sehr eindrucksvoll mit “Die Arbeit der Vögel”. Allerdings ist dies kein einfacher Roman, es ist eine Aneinanderreihung von Stenogrammen – Beobachtungen, flüchtigen Ideen und tiefgründigen Gedanken. Bodrozics folgt dabei dem letzten Weg des deutschen Philosophen und Schriftstellers Walter Benjamin, begleitet ihn gut achtzig Jahre nach seinem Tod vom französischen Ort Banyuls-sur-Meer über die Pyrenäen ins nordspanische Portbou. Der Klappentext spricht von einem “luziden Denkweg” auf dem Bergwelt mit der inneren Lebenswelt der Autorin verschmilzt. Und das beschreibt diesen steten, poetischen Gedankenstrom wohl am ehesten.
“Wir können keinen Weg dauerhaft gehen und im Gehen zeitgleich von oben, aus der dahinschwebenden weiteren Luft der Vögel, auf uns selbst sehen. Wir müssen manchmal aufbrechen, ohne zu denken, der Aufbruch muss die Regie über das Ziel und den Blick auf unsere Füße übernehmen. Und uns die Gefahren vergessen lassen. So jeden falls erscheint es mir am Anfang der achtzehn Kilometer langen Strecke durch die Pyrenäen…”
Ich wünschte ich könnte dieses Buch nun genauer beschreiben, tiefgründiger werden, Teile ihrer beider Wege nachziehen, doch so einfach ist es leider nicht. Dieses Buch bietet so unendlich viele Möglichkeiten sich in Gedanken zu verlieren, den neu aufkommenden Gedanken nachzuspüren, in den Arm genommen und dennoch schwer auf den Boden gepresst zu werden. Marica Bodrozic hat mit “Die Arbeit der Vögel” Seelenstenogramme geschrieben, die nicht nur Einblicke auf sie und die Welt geben, teilweise mit dem letzten Weg Walter Benjamins verwebt sind, sondern auch über die Menschlichkeit sprechen, was gerade in diesen sehr aufgewühlten und beinahe schon feindseligen Zeiten sehr nahe geht. Und dennoch muss ich sagen, dass man diese Stenogramme nicht einfach mal so weglesen kann. Teilweise fiel es mir unglaublich schwer die Konzentration zu behalten und zeitgleich zu verstehen, was ich gerade gelesen habe. Ich bezweifle sogar, dass ich dieses Buch überhaupt greifen konnte. Es ist eine Gedankenherausforderung voller Poesie. Dieses Buch hat mich Wochen auf meinem Weg begleitet und auch wenn ich es äußerst spannend fand Walter Benjamins Spuren zu folgen, seinen letzten Weg als Anlass für eine Reise zu nehmen, so war ich zwischenzeitlich doch auch sehr verloren… wie passend für diese Zeit. Marica Bodrozics Gedanken ufern sehr aus und verwischen den roten Faden des Buchs, sofern es ihn überhaupt gibt/gab. Vielleicht hätte eine Straffung dem ganzen Text etwas Schwere genommen und eindeutigere Richtung gegeben, so bleibt einzig nach dem Lesen ein Gefühl und dieser viel zitierte Abschnitt mit “Ich wünsche mir Menschen…” in meinen Gedanken haften und das ist irgendwie wahnsinnig schade. Ich empfehle daher vorab einmal reinzulesen und nach einer Verbindung zu suchen, es wird nicht einfacher.
“Ich wünsche mir offene Menschen in offenen Landschaften, einem Leben ohne betonierte Grenzen, ich wünsche mir lesehungrige Menschen, die sich dem Buch der Grashalme genauso anvertrauen, wie sie das Gesicht eines von ihnen geliebten Menschen betrachten: ausdauernd. Ich wüsche mir in inneren Seestücken ungestüm schwimmende und singende Menschen, die so tief in ihr Ich zu reisen bereit sind, dass sie sehen: Niemand da draußen, an keiner Grenze der Berge und der Welt, ist fremder im Hiesigen als sie selbst. Ich wünsche mir einsamkeitsbereite Menschen, Seefahrer durch die eigenen Abgründe, damit sie erkennen, dass das Fremde nur eine ausgelagerte Dunkelheit ist, Angst, sich selbst durchleuchten zu lassen, Angst vor dem Licht. Ich wünsche mir…”
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Marica Bodrozic – Die Arbeit der Vögel.
Luchterhand.
352 Seiten. 24 Euro. Hardcover
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