In der Schusslinie von Trollen – “Fake” von Frank Rudkoffsky

Wer sagt, dass Onlinekommentare, Beiträge, Scheinleben wirklich der Wahrheit entsprechen? Wer sagt, dass alles echt ist? Wer sagt, polarisierende Beiträge immer wahrheitsgetreu kommentiert und debattiert werden? Ich selbst habe es bereits vor geraumer Zeit aufgegeben online Diskussionen zu politischen, kulturellen oder sozialen Themen zu führen, einfach weil es unheimlich viel Kraft kostet, gegen komische Kommentare, negative Angriffe und Co vorzugehen. Trolle sind keine Seltenheit mehr und wer sagt mir, dass hinter den ganzen Hassparolen und Co nicht zufällig auch die sonst so netten Nachbarn stecken? Und gerade weil es so ein aktuelles, brisantes und unterhaltendes Buch ist, das eine Menge Stoff zum Nachdenken liefert, muss ich Fake von Frank Rudkoffsky einfach großartig finden. Und das meine ich wirklich so, wie es ist. Ich schwöre!

Zunächst geht es in dem Roman um Sophia, die vor ihrer Babypause eine Karriere bei Daimler hingelegt hat und nun von ihrem Kind total vereinnahmt wird, und um den Journalisten Jan. Eigentlich wollten sie noch so viel entdecken, erleben, planten eine Weltreise, doch mit dem Baby ändert sich einfach alles und sie sitzen nun mehr oder weniger in Stuttgart fest. Max schreit und quengelt unentwegt, raubt Sophia beinahe die komplette Energie, doch ein Mütterforum soll Abhilfe schaffen. Dies allerdings nicht mit schlauen Tipps und Ratschlägen, denn Sophia findet Spaß daran ihre Wut und Aggressionen an den anderen Fragestellern und Kommentatorinnen auszulassen.

“Ich hatte Lust, Troll zu spielen und den Laden ein bisschen aufzumischen. Der Gedanke gefiel mir. Er gefiel mit sogar richtig gut.””Die Mütterforen waren nur der Anfang gewesen, Brutstätte für einen Virus, der sich rasant ausgebreitet und binnen Tagen auch themenverwandte Foren kontaminiert hatte. Bald waren die Seuchenherde überall.”

Beinahe zeitgleich beginnt auch Jan mit dem Trollen. Allerdings nur zufällig, denn er möchte sein Volontariat mit einem “Paukenschlag” von Artikel beenden. Er trollt um hinter die Kulissen zu schauen und mehr über die Stuttgart21 Gegner, die “Echokammern” im Netz, der damit verbundenen Dissonanz und dem Wachsen von gesellschaftlichen Gräben herauszufinden. Zunächst klappt dies auch noch recht zuversichtlich gut, allerdings als es dann etwas später um Neue Rechte, Dresden, Pegida und Co geht, soll sich das Blatt schnell wenden. Jan steuert immer weiter in die Szene hinein. Er und seine Familie gerät unter Beschuss, die Lügen drohen aufzufliegen und bringen sie in Gefahr.

“Das Trollen hatte sich längst wie ein Tumor in meine Seele gefressen und streute nun immer mehr Metastasen im Alltag. Ich wurde schnippisch und streitlustig, suchte ständig nach einem Anlass, um meinem Ärger Luft zu machen.”

Und dann geschieht es, sie trollen sich gegenseitig, ohne es voneinander zu wissen, leben aneinander vorbei, greifen sich an und machen sich total verwundbar bis… ach, das müsst ihr schon selbst lesen.

Jedenfalls Fake ist ein wirklich witziges, bitterböses und doch so ernstes Buch, das den Nerv der heutigen Zeit einfängt. Durch Kleinigkeiten, Überforderung und Wut wird das Internet zu einer Art Ventil, das in seiner Anonymität mehr anrichten und angreifbarer machen kann, als zunächst gedacht. Und alleine das Lesen dieses Buches wirft noch einmal ein anderes Licht auf das ganze Sozialisierungsthema. Was ist noch echt? Und was Fake? Wem kann man eigentlich noch glauben, wenn er um Spenden bittet? Was ist Authentizität und was der größte Spaß eines Unbekannten? Diskussionsrunden, Foren, Facebook… überall tummeln sich Trolle und werden dort aus den verschiedensten Gründen aktiv. Es ist ein Spiel fernab jeglicher Moral. Frank Rudkoffsky zeigt sehr eindrucksvoll einen Ausgangspunkt dessen und das so plausibel, wachsend, um sich greifend, dass es fast schon beängstigend ist. Medien, täglicher Wahnsinn… wie weit kann das einen Menschen führen? Und in wie weit beeinflussen einen die Meinungen anderer? Nicht ohne Grund werden die Medien in den rechten Kreisen auch häufig als Lügenpresse betitelt und das, obwohl sie oft die harte Realität widerspiegeln.
Hier findet Soziales, Politisches und dieser Drang der Zwischenmenschlichkeit und des Gruppierens bzw. der Aufgehobenheit zu einem sehr spannenden Abbild. Und so liest es sich dann auch. Sehr locker, direkt und faszinierend von der ersten bis zur letzten Seite. Der Leser erhält hier abwechselnd einige Einblicke in das Leben von Sophia (und Max) und Jan zwischen November 2013 und August 2015 – knapp 2 Jahre, die die Familie an einen Abgrund steuern und doch noch so viel mehr zu bieten haben. Ich finde es wirklich gut und auch gedanklich sehr nachhallend… darum lest “Fake” von Frank Rudkoffsky!

Frank Rudkoffsky – Fake.
Voland & Quist.
236 Seiten. 20 Euro. Hardcover.

21. September 2019

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