Der Mensch – Arschloch und Irrläufer der Evolution

“Es geht um ein tiefes Verständnis des Umstandes, dass wir als Menschen, jede und jeder Einzelne von uns, ohne uns dessen bewusst zu sein, dabei sind, genau das zu verlieren, was uns ausmacht: unsere Würde.”

 

Aber woran liegt das? Warum können wir uns nicht einfach alle würdevoll im Umgang mit uns selbst und anderen benehmen? Laut Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar, doch warum ist das eigentlich nur auf den Menschen bezogen? Und warum treten einige die Würde anderer mit den Füßen? Können wir nicht auch würdevoll mit der Natur und allen anderen Lebewesen umgehen? Aber gut, es fällt uns ja oftmals schon untereinander schwer und nur der, der am lautesten schreit, kommt bekanntlich auch weiter, selbst wenn seine Ansichten mehr als beschränkt sind. Und anderen etwas zu gönnen fällt uns ja manchmal auch schon schwer. Oder wie ist das noch mit diesen ganzen Flüchtlingen, die Hab und Gut zurückgelassen haben und nun auch den ihnen vorgelebten und großartig inszenierten westlichen Lebensstil ihr eigen nennen wollen.

 

“Verdrängung, Ablenkung, künstliche Aufregung und neuerdings auch das Abtauchen in virtuelle Welten – all das sind uns Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeiten, um das Leben wieder einfacher und überschaubare zu machen, wenn es zu kompliziert zu werden droht.”

 

Und auch dann benehmen wir uns nicht so, als würden wir spätestens nach unserer kleinen Auszeit uns weitreichendere Gedanken machen, die weiter als bis zur nächsten Ecke und weiteren Auszeit halten. “Am Anfang unseres Lebens haben wir noch keinerlei Ahnung davon, wie bedrohlich andere Menschen für uns sein können.” Doch gerade Erwartungen, Ziele, Absichten und Bewertungen machn uns selbst zu Objekten in einer Welt, in der jeder doch nur an sein eigenes Wohl denkt und dafür getreu dem alten Sprichwort ‘über Leichen’ geht. Wir wollen immer besser und besser werden, mehr kontrollieren können, mehr Technologie einsetzen, um Fortschritt zu zeigen, doch eigentlich sind wir recht hinterwäldlerisch. “… eine Welt ohne Sex ist möglich. Und bald wird es Kinder auf Bestellung geben, mit drei Vätern oder zwei Müttern. Biologen wollen mithilfe der Gentechnik die Moral der Menschen steuern. Und Erfahrungen aus dem Hirn extrahieren …”
Hüther beleuchtet dies und viele weitere Unterthemen, die auf die Würde Einfluss nehmen von verschiedenen Seiten. So erklärt er kurz und einfach, was das Gehirn des Menschen von Tieren unterscheidet und welchen Einfluss die Spanne eines möglichen Lernverhaltens hat, warum die Bezeichnung “Irrläufer der Evolution” so treffend für die Gattung Mensch ist und welche Hürden wir eigentlich noch zu nehmen haben bzw. uns endlich bewusst werden sollten.

 

“Wir alle wollen in Würde sterben, aber sollten wir nicht erst einmal in Würde leben?”

 

Eine sehr weise und tiefgründige Frage, finde ich. Und gerade mit dieser Tiefgründigkeit, hat mich Gerald Hüther mit seinem Buch “Würde: Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft” sehr überrascht und auch begeistert. Ich könnte jetzt noch zahlreiche weitere Zitate anführen, die mich einzig und allein aufgrund einzelner Schlagwörter zum Nachdenken gebracht hat. Und ich glaube, es gab schon lange kein Sachbuch, welches ich ähnlich fix (gut, 189 Seiten sind nun auch nicht jahresfüllend) und gedankenreich beendet habe. Hüther schafft es mit einfachen, klaren Worten sehr viel anzurichten. Man beginnt selbst die Würde zu untersuchen, Menschen in seinem Umfeld irgendwie einzuordnen und sich selbst einzuschätzen. Ich empfehle dieses Buch einfach jedem Denker und Kritiker, Weltenverbesserer und auch dem einen oder anderen Egoisten, um ihm vielleicht auch bewusst zu machen, dass er eher suboptimal handelt.

 

“Das Dumme ist nur: Wir registrieren mehr, als wir verarbeiten können. Und beschäftigen uns zu viel mit Dingen, die nicht die unseren sind. Für alles ist ein Wort. Und für nichts mehr Zeit. Wir sind Gefangene geworden von Annahme und Vorurteil, Bewertung und Absicht.”

 

Gerald Hüther – Würde
Knaus.
192 Seiten. 20 Euro. Hardcover.

9. Juni 2018

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