“My Work is my personal Theatre”, so der Leitsatz der Künstlerin Katerina Belkina. Ihre Kunst besteht hauptsächlich aus Fotografien, Selbstbildnissen und Auseinandersetzungen mit dem Leben, teils geprägt durch ihre eigene Kindheit, Jugend- und Studienzeit in Russland, aber auch von den generellen Erwartungen und Herausforderungen der heutigen Zeit. Dieses vor kurzem im Kocmoc Verlag erschiene Buch ist nun ein kleiner Überblick ihrer Arbeiten und bietet Raum für insgesamt zehn Fotoreihen, einigen Selbstportraits und eine dreisprachige Erläuterng zu ihrer Arbeit, ihre Betrachtungsweise, ihr Leben und ihr sehr individuelles Verständnis von Kunst. Belkina wurde 1974 in Samara, einer Industriestadt im südöstlichen Russland, geboren. Ihre Mutter, ebenfalls eine bildende Künstlerin, bereitete ihr dabei den Weg in Richtung Kunst und trieb die Ausprägung ihres künstlerischen Talents voran. Sie studierte an mehren Kunst-/Fotografiehochschulen, arbeitete in einem Verlag, später als Grafikerin bei einem TV-Sender. Internationalen Ruhm erlange Belkina erstmals, als ihre Arbeiten Mitte der 2000er in einer italienischen Zeitschrift abgebildet wurden. Es folgten diverse Ausstellungen u.a. in Moskau und Paris, eine Nominierung für den Kandinskypreis und die Auszeichnung mit dem internationalen Lucas-Cranach-Preis, sowie 2016 der Hasselblad Masters Award für ihre Arbeit “Die Sünderin”. Heute lebt sie in der Nähe von Berlin (Werder an der Havel), wo sie auch weiterhin ihrem kreativen Treiben nachgeht. Auf ihrem Instagram-Feed @thebelki lässt sie ihre Follower:innen nicht nur an ihrer Kunst, sondern auch ihrem alltäglichen Leben teilhaben. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Reise in eine ganz andere, entfernte Welt, die von verschiedenen Einflüssen und Zeiten geprägt ist. Ihre Bilder bedienen dabei stets eine weite Bandbreite an Themen und dennoch steht immer das Menschliche bzw. die Frau im Fokus.
“Es sind grundlegende Fragen, denen Katerina Belkina in ihren auf das Notwendigste reduzierten Arbeiten nachgeht: Wer ist sie als Frau, Künstlerin, Mutter oder Mitglied einer Gesellschaft? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen und nach einer tiefen Verwurzelung des Seins im persönlichen und sozialen Netz ist auf jeden zu übertragen und auch der Grund, warum Belkinas Kunst einen universellen Anspruch über jede Grenze hinaus hat, sei diese politisch, gender- oder genremäßig definiert.” – Anne Avramut über Belkinas Arbeit
Katrina Belkina schafft es dabei sich für jede Reihe, beinahe jedes Bild und jede Inszenierung neu zu erfinden und trotzdem ihrem eigenen Stil treu zu bleiben. Ihre Fotografien wirken eher wie fotorealistische Malerei in denen der Mensch in alltäglichen Szenarien im Fokus steht und doch nur als ein Element einer ganz eigenen Welt und Zeit zu betrachten ist – zwischen Zukunft und Renaissance. Für mich ist Katerina Belkina eine Künstlerin, die die heutige Stimmung der Bevölkerung in ihren Bildern einfängt und kritisch widerspiegelt. Ihre Werke sind eher ein Konglomerat aus Alltäglichem, Vergangenheit, Gegenüberstellung, Glaube, Wahrnehmung, Zukunft, Kritik und Menschlichkeit innerhalb des vorherrschenden Systems/der Umgebung/der Welt. Und obwohl bei ihren Fotografien hauptsächlich die Frau als eine Form der Materie und des Seins im Vordergrund steht, so durchbricht sie immer wieder Gendergrenzen, bricht vor allem die vorherrschende stereotypische Wahrnehmung auf und konzentriert ihren Blick auf die sich gegenseitig beeinflussenden Energien und die innere Welt des Menschen in all seinen Ausprägungen. Der Glaube an Gott, die verstärkende Farbe Rot als Energie und Blau als Farbe von Raum, Licht und Luft haben dabei stets eine große Bedeutung.
Dieser Bildband greift nun u.a. ihre Fotoreihen Zweiraumwohnung, in der die Künstlerin der Dissonanz zwischen dem realen Bewegungssprektrum und dem Geist nachgeht, Revival, in der sie Bilder der Renaissance aufgreift und im heutigen Kontext nachstellt, Seasons, die menschlichen Grundbedürfnisse in vier Jahreszeiten, Light and Heavy, in der sie sich kritisch mit der von Männern dominierten Welt auseinandersetzt, empty spaces (eine meiner Leiblingsreihen), die sich mit der Leere, Faszination, Unbehaglichkeit und Fremde in Verbindung mit der Stadt und dem Menschen beschäftigt, sowie Repast, Paint, Homework, Not a Man’s World (auch großartig) und Hieroglyph.
“Zielgerichtetes Voranschreiten und die Selbstdarstellung als Ware sind die Spielregeln der modernen Frau in Osteuropa – Regeln, die der Zeit angepasst werden, doch im Grunde gleich bleiben. Die Frau gehört nicht sich selbst. Sich öffentlich zu entblößen, ist nur eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen. Unterwäsche und High Heels sind die Attribute der eilenden Frau. Sie sind notwendige Uniformen und eine “Schild und Schwert”-Metapher für Schutz und Angriff” – Belkina über ihre Serie “Light and Heavy”
Was ich an diesem Buch so mag ist einerseits dieses dargestellte, breite Spektrum an Einflüssen und Elementen, mit denen sich Katerina Belkina mit ihren Arbeiten sehr intensiv und persönlich auseinandersetzt. Ihre Bildwelten sind so klar, reduziert und liefern gleichzeitig eine unglaubliche Tiefe, manchmal kombiniert mit einer Erinnerung an die Vergangenheit und alte Maler oder Ikonen, manchmal auch eher mit einem futuristisch, kühlen Umgebung, in dem zentral der Mensch mit seiner Emotion thront. Es ist wie eine Auseinandersetzung mit einer Welt, in der der Mensch stets nach seinem Platz sucht und sich in allen Richtungen ausprobiert. Verstärkt wird dieser Eindruck, durch die Tatsache, dass Belkina in ihren Bildern oft selbst eine Rolle einnimmt. Tatsächlich, war mir dieser Punkt lange nicht bewusst, ich dachte zunächst an eine zufällige Wiederkehr ähnlicher Gesichtszüge bei ihren Modellen bzw. ein Teil ihres sehr besonderen Bildstils. Das hat bei mir zunächst unbewusst für Vertrautheit, eine gewisse Stringenz und irgendwie auch Neugier und Faszination gesorgt, später (also nach dem es mir bewusst wurde) für eine weitere, intensivere Auseinandersetzung mit der abgebildeten Szenerie und den Versuch der zeitlichen Einordnung in das Leben der Künstlerin, Mutter und Schöpferin.
Andererseits besitzt dieses Buch ein toll aufgeteiltes Verhältnis zwischen Weißraum, Fotografie und Text. Einige Bilder bekommen Raum, andere ein weiteres Motiv nebenangestellt, dadurch werden die Serien lebendiger, abwechslungsreicher und manchmal gewinnen sie dadurch noch einmal an Energie. Durchbrochen wird dies mehrfach von den fachlichen, textlichen Auseinandersetzungen. Auch haptisch wird hier zwischen coated und uncoated Papier, sowie minimal eingefärbten Hintergrundseiten gewechselt, was mich irgendwie immer zusätzlich in Euphoriestimmung versetzt. Einziges, kleines Mäkelkriterium wäre der etwas unausgewogene und klemmige Satzspiegel bei den recht vollen Interview- und Erklärungsseiten, sowie das dreifache Impressum am Anfang. Generell sind alle Texte in den Sprachen Deutsch, Englisch und Russisch – wenn man das nun überspitzt betrachten möchte, könnte man hier von einem weiteren verwendeten Symbol, der Dreifaltigkeit, sprechen, aber es sind eben auch die Sprachen, die Belkina bisher in ihrem Leben hauptsächlich begleiten. Das macht es nun insgesamt zu einem sehr tollen, persönlichen Werk über die wahnsinnig talentierte Künstlerin Katerina Belkina, in dem eben nicht nur ihre Arbeit, sondern auch sie selbst und ihre Auseinandersetzung mit der Welt präsentiert wird.
“My face and body are the main instruments I use to incarnate the images I wand. Standing in front of the camera as a model, I follow the age-old theatrical practise of playing roles. It gibes impetus to the development of my own manner of narration. A part of my work, shooting is akin to a theatrical performance, wher an urge to tell the viewer about emotions and feeling manifests itself through the characters in dialoues with the audience.”
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Katerina Belkina – My Work Is My Personal Theatre.
Autorinnen: Katerina Belkina, Ani Menua, Anne Avramut.
Deutsch. Englisch. Russisch.
Kocmoc – Publishing Space.
252 Seiten. 40 Euro. großformatiges Hardcover.
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