Zusammengehörigkeit und Glaubensverirrungen – Wood und Butler, zwei Meister der leisen Worte.

Ich liebe die Abwechslung und schwanke gerne zwischen hochbrisanten, spannenden, gar gewalttätigen Romanen, anspruchsvolleren Geschichten voller menschlicher Abgründe und Gedankenanstößen und eben ruhigeren, unaufgeregten Erzählungen. An dieser Stelle möchte ich euch gerne zwei meiner Lieblinge aus diesem, eben eher ‘ruhigeren Segment’ vorstellen… denn das eine passt irgendwie gerade zur jetzigen Zeit und verspricht nach einem Auseinanderdriften und familiären Abstand Zuversicht und das andere ist dann eher ein unerwarteter Einschnitt im Leben und der Kampf um bzw. die Hoffnung auf Nähe und Zusammenhalt.

Hast du dich schon einmal gefragt, ob man Glücklichsein erlernen kann? Oder warum empfinden andere noch Glück, obwohl ihre ganze Lebenssituation dies eigentlich kaum noch zulassen sollte? Oder fällt einigen Menschen vieles einfach mehr zu, als anderen? Das sind Fragen über Fragen, die man sich in puncto Glück und Menschen stellen könnte. Und ja, selbst ich habe da schon vielfach drüber nachgedacht, sei es nun durch Neid oder Unverständnis verursacht oder durch Vergleiche mit mir selbst bedingt. James Wood bzw. seine Protagonisten haben sich in seinem Roman “Upstate” u.a. mit diesem Thema beschäftigt. Dieses Buch schildert 6 Tage im Leben einer Familie, die sich etwas auseinandergelebt hat. Alan Querry lebt in Newcastle, Nordengland und ist da als Bauentwickler tätig. Seine Töchter Vanessa und Helen hat es in ganz andere Richtungen verschlagen. Die eine arbeitet für ein sehr bekanntes, internationales Musiklabel in London und die andere lebt in den USA. Sie alle haben ihre Sorgen und Probleme, versuchen anzukommen und doch scheint ihnen etwas Wesentliches zu fehlen. Eines Tages ereilt Helen nun eine E-Mail von Vanessas Freund, der sie um Hilfe bittet. Vanessa ist Philosophin und lehrt an einer Universität in Saratoga Springs, New York. Sie ist vor kurzem die Treppe hinuntergestürzt und hat sich den Arm gebrochen. Doch ganz so zufällig scheint dies nicht geschehen zu sein und ihre Depression könnte sich wieder ihren Weg bahnen. Sie brauchen Hilfe. Und so machen sich dann Helen und Alan auf den Weg nach Saratoga Springs um nach ihrer Tochter bzw. Schwester zu sehen.
Im Verlauf der folgenden Tage nähern sie sich die drei wieder vorsichtig an, beobachten sich, überwinden sich, reißen alte Wunden auf und machen sich wie so häufig Gedanken zu ihrem und dem Leben der anderen. Warum ist es manchen Menschen vergönnt glücklich zu sein? Und was können wir tun um es besser zu machen?

“Upstate” ist so ein kluger, tiefgründiger Roman voller Verlangen nach Zusammenhalt und Verständnis. James Wood schildert hier eine familiäre Geschichte basierend auf sehr vielen Ängsten, Unausgesprochenem und Verlusten. Mit dem Tod der Mutter hat sich für sie alle so einiges verändert. Die Kinder geben Alan teilweise die Schuld an der Situation und irgendwie haben sie sich mit der Zeit so ein bisschen aus den Augen verloren. Sie alle haben ein turbulentes, aufregendes, gar anspruchsvolles Leben und sie alle scheinen ihre unausgesprochenen Päckchen mit sich zu tragen. Für mich ist dies ein Buch, das zeigt wie essentiell und wesentlich familiärer Zusammenhalt ist. Es ist wichtig, negative Gedanken und Erlebnisse nicht unausgesprochen zu lassen und sich bewusst zu machen, dass Geschehnisse in der Kindheit alles beeinflussen können. Es ist ein Roman, in dem nicht beinahe nichts Aufregendes passiert und doch ist diese Geschichte gerade auf diese Weise so rund, so vielsagend und gedankenreich. Glück hat viele Ausprägungen, manchmal muss man sie erst finden und manchmal einen Schritt zurück gehen, um anzukommen.
Sehr bewegend, sehr toll!

Ähnliches könnte ich nun über “Ein wenig Glaube” von Nickolas Butler erzählen. Im Großen und Ganzen geht es um die familiäre Liebe, die Abhängigkeit, den Glauben und irgendwie auch um die Angst und den Verlust. Lyle und Peg Hovde leben im ländlicheren Wisconsin. Ihr erstes Glück blieb ihnen verwehrt, denn ihr Sohn Peter starb bereits nach einigen Monaten. Durch einen Zufall erfuhren sie von einem Mädchen, dass ein Kind gebar und dieses einfach nicht behalten konnte. Sie setzten alles daran, das Kind zu adoptieren und ihm ein behütetes Leben zu schenken. Jahre sind seit dem vergangen, Lyle und Peg sind bereits Großeltern und ihre Tochter Shiloh kehrt mit ihrem Enkelsohn Isaac wieder nach Hause zurück. Während Shiloh arbeiten fährt, kümmert sich Peg um den 5 Jährigen und zwischen ihnen scheint eine ganz besondere Bindung zu bestehen. Doch dann tritt ihre Tochter einer neuen Glaubensgemeinschaft bei. Sie verliebt sich in den Pfarrer und dem Kind werden plötzlich heilende, göttliche Kräfte nachgesagt. Während Shiloh sich nun komplett im neuen Glauben verliert, erahnen die Großeltern bereits Schlimmstes. Ereignisse und Beschuldigungen folgen und die ganze Familienbeziehung wird auf eine harte Probe gestellt. Die Tochter verliert den Glauben an ihre Eltern, sie behauptet Lyle sei ein schlechter Einfluss für Isaac, sei mit dem Teufel verbandelt. Er darf Isaac nicht mehr sehen, soll Abstand halten. Und doch will er am Ende nur eins: seinen Enkel vor dem Einfluss dieser ominösen Sekte retten und das bevor alles zu spät ist.

Nickolas Butler hat mich mit diesem Roman sehr an Kent Harufs Geschichten aus Holt, Colorado erinnert. Es ist ein eher ruhigeres, unaufgeregtes Buch, in dem der äußere Einfluss eine Familie entzwei bringt. Aber es geht wie der Titel schon verrät um den Glauben. Einmal durch diese neue Glaubensgemeinschaft, die alles durcheinander bringt, und Isaac heilende Kräfte nachsagt und auch trotz der staatlichen Verbote Heilungsgebete/-prozessionen abhält, aber es handelt eben auch vom Glauben an bessere Zeiten und an die stärkere emotionale Bindung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und Freunden. Der Glaube wirkt hier wie ein rettender Anker, der letzte Strohhalm, der alle möglichen Kräfte noch einmal mobilisiert. Und so ist es dann auch eine ganz besondere Freundschaftsgeschichte. Ich kann da nun gar nicht so genau ins Detail gehen, denn ruhigere Romane haben ja immer den ‘Nachteil’, dass da nicht ganz so viel passiert, aber genau das ist die Stärke dieses Buchs. Butler fokussiert sich auf seine Protagonisten, mit jeder weiteren Seite entwickelt sich so eine traute Verbundenheit mit den Großeltern. Man spürt Lyles Verzweiflung, aber auch seine immer wiederkehrende Freude, den Glauben, seinen Optimismus und seine Einsatzbereitschaft. Dieser besondere, feinfühlige Roman basiert auf einer realen Begebenheit, bei der 2008 ein 11 jähriges Mädchen aufgrund so einer fanatischen Glaubensgeschichte ums Leben kam. Es bleibt zu hoffen, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Glaube kann Berge versetzen/mobilisieren; Fanatismus zum frühzeitigen Ende führen. Eine sehr berührende Geschichte.

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James Wood – Upstate
Aus dem Englischen von Tanja Handels.
Rowohlt.
302 Seiten. 22 Euro. Hardcover.

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Nickolas Butler – Ein wenig Glaube
Aus dem Amerikanischen von Dorothee Merkel.
Klett-Cotta.
384 Seiten. 17 Euro. Klappbroschur.

27. Februar 2020

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