“Unser Haus ist ein Wagen ohne Räder, aber nachts, wenn wir in Stimmung sind, rauchen wir getrocknete Mohnsamen und fliegen zu der Straße, wo Milch und Honig fließen.
Es ist nicht mehr weit. Wir sind auf dem richtigen Weg.”
Es ist eine bewegende, aufregende Geschichte über Abhängigkeit, Freundschaft, Liebe, aber auch Schnelligkeit, Mut und Veränderung. Tom Müllers Debütroman Die jüngsten Tage ist eine sehr rasante und irgendwie auch abenteuerliche Geschichte. Mit dem Verlust seines Jugendfreundes Strippe scheint Jonathans ganze Welt aus den Fugen zu geraten und sein Alltag verschwimmt. Er sucht Halt und findet ihn in Elena, aber selbst das scheint eher kurzer Natur zu sein. Er flieht, ringt mit sich und dem Leben, will ankommen und dann? Dann erwartet ihn noch die Mutter seines ehemaligen Freundes in Berlin und hätte gerne Antworten. Antworten auf Fragen, vor denen er sich gerne drückt. Jonathan steht am Bahnsteig in Hamburg und wartet auf den Zug. Viel lieber wäre er nun bei Elena oder würde gerne mit Strippe über alles mögliche lamentieren, rauchen, Spaß haben, bis an die Grenzen gehen. Doch dafür ist es nun zu spät.
“Liebe Elena, wenn du wüsstest, was wir waren. Ich habe mich entlassen. Auf eigene Gefahr. Dein J.”
Zwar handelt es sich hier um ein recht kurzweiliges Lesevergnügen, doch mit ausufernder Intensität reißt Tom Müller den Leser mit. Es ist mehr cool und modern. Aufgrund seiner Sprache und der Dialoge nimmt die Geschichte innerhalb kürzester Zeit Fahrt auf und hält den Leser fest. Müller springt zeitlich mit den Kapiteln, umreißt Gedanken, Wege, Begegnungen und lässt den Leser teilweise ahnungslos und voller Fragen zwischen Kindheitserinnerungen und Gegenwart zurück. Ein Buch, wie ein nebenbei geschossenes Polaroid, das sich entgegen der Fahrtrichtung eher langsam entwickelt. Jonathan ist kein Held, scheint insgesamt eher überfordert mit der Gesamtsituation. Er will vieles selbst in die Hand nehmen und doch gerät er irgendwie in einen Strudel. Das Leben geht weiter, heißt es, aber für ihn ist es eine enorme Herausforderung. Und gerade das macht dieses Buch, welches sich hauptsächlich um den Protagonisten und dessen Zusammenspiel mit anderen dreht, so menschlich und nahbar. Er versucht irgendwie die Zeit anzuhalten, zurückzudrehen, die Jugend, die Freiheit neu zu entdecken und steckt im Geschehen fest. Ein rasender Zug, der das Ziel nicht erreicht und doch geht es weiter.
“Bevor ich die Tür öffne, atme ich aus, ziehe dann den Qualm ein, bis in die untersten Lungenbläschen. Ich rauche nicht. Es ist Inspiration..”
Für mich hebt sich dieses Buch von der Masse ab, es ist anders, toll, eindringlich, bewegend. So leicht lässt einen die Geschichte nicht wieder los und gerade deshalb möchte ich es euch empfehlen.
Tom Müller – die jüngsten Tage
Rowohlt Hundert Augen.
288 Seiten. 22 Euro. Hardcover.
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