“Mein loser Faden” – so verstörend, klaustrophobisch, gewalttätig, anders.

Kennt ihr das? Es gibt so Geschichten, die man eigentlich nur mal so kurz anlesen möchte und die einen dann allerdings sofort packen, in die Geschehnisse hineinziehen und erst ganz am Ende erschüttert wieder ausspucken. So erging es mir bei “Mein loser Faden” von Dennis Cooper. Ich wollte nur einmal kurz reingucken und zack war ich dann einige Stunden später und alles andere vergessend bereits am Ende – aufgewühlt und unangenehm berührt, aber auch total fasziniert.
Dennis Cooper redet nicht lange um den heißen Brei und so ist dann auch der Einstieg. Er spielt mit der Verwirrung und Zerrissenheit und so wird auch der Leser in eine Situation reingeworfen, die er zwar noch nicht ganz überblicken kann und deren Ursachen, beteiligte Personen und vorangegangene Geschehnisse zunächst fraglich bleiben. Nach den ersten Zeilen ist klar, es ist etwas Schlimmes geschehen und so baut sich ein Gefühl auf, das sagt, dass alles einfach nur noch schlimmer werden kann…

 

“Hätte ich gewusst, dass ich als Verrückter ende, hätte ich Rand fest genug geschlagen, um ihn gleich zu töten. Wenn ich realisiere, dass Jim mich geliebt hat, will ich mich und ihn umbringen. Ich kann es nicht ändern. Ich will Jim töten, dann mich.”

 

Larry plagen Schuldgefühle. Vor einem Jahr ist ist sein Freund Rand gestorben und er glaubt, dass die Auseinandersetzung mit ihm und ein zu fester Faustschlag ihm das Leben genommen haben. Aber nicht nur das, Larry steckt in etwas viel Größerem fest. Sein Umfeld? Eine Katastrophe. Seine Mutter? Alkoholikerin. Sein Vater? Schwerst krebskrank. Sein Bruder? Ähnlich gestört wie er selbst. Vielleicht ist auch Larry daran schuld, denn er fühlt sich zu seinem Bruder Jim hingezogen. Misshandlungen und Vergewaltigungen sind keine Seltenheit. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, gibt es noch weitere Charaktere, die den Abgrund immer größer werden lassen. Pete bekam von Gilman, dem Anführer einer rechtsextremen Gruppierung, den Auftrag Bill zu töten und diesem ein Notizbuch abzunehmen. Er bittet Larry um Hilfe, doch dieser ist in seiner Abstrusität aus Lügen, Fragen und Gedächtnislücken gefangen. Und gerade dieses Notizbuch wird alles noch einmal in ein anderes Licht rücken. Er versucht einen Ausweg zu finden, zu verstehen, zwischen Lüge und Wirklichkeit zu unterscheiden, doch wenn Gewalt im Spiel ist, kann alles einfach nur noch schlimmer werden.

 

“Ich glaube, als ich ihn und vielleicht den Jungen oder sogar Tran schlug versuchte ich im Schock, mich selbst zu töten. Ich weiß nicht, ob Rand gelogen hat. Ich weiß nicht, ob Jim nur ein unschuldiges Opfer ist, oder ob Rand das erfunden hat. ich weiß nicht, beziehungsweise will nicht wissen, ob ich Jim diese Male vergewaltigt habe oder ob Rand es so sah, weil er schwul war und ich nicht. Ich weiß nicht …”

 

Puh, was für ein furchtbar aufwühlendes, beklemmendes und zugleich verstörendes Buch. Hier zu sagen, dass es mir sehr gefallen hat, wäre irgendwie fragwürdig, da es schließlich von Gewalt, Missbrauch, Mord, Depression und Liebe handelt, aber genau das hat es letztendlich getan. Diese thematische Wucht in Form eines sehr direkten, kurzen Romans zu verpacken, gleichzeitig die Verwirrung und Zerrissenheit so spürbar zu machen, ist einfach dermaßen erschütternd eindrucksvoll, dass ich Cooper hier hohen Respekt zollen muss. Ich könnte nicht mal genau sagen warum, denn zu sehr fehlen mir hier auch noch Tage nach dem Lesen die Worte. Und ich würde nun lügen, dass mir dieser ‘Ausflug’ leicht gefallen wäre, denn zu sehr behindern die zahlreichen Charaktere und Dialoge das Verständnis, sodass mir vieles erst im Nachhinein so wirklich klar geworden ist. Es ist schlicht und ergreifend die deprimierende Gewalt in Buchform. Im Buch selbst heißt es: “Mein loser Faden ist eine Reportage über jugendliche Depression, moralische Leere und die Verwirrungen der Liebe, es ist klaustrophobisch und das Erschütterndste daran ist die Erkenntnis, wie nahe Gewalt an Liebe oder besser dem Wunsch danach liegt.” Und genau das ist es. Ich kann es nicht besser beschreiben. Und daher spreche hier eine vorsichtige und doch ganz klare Empfehlung aus, allerdings ist diese dann natürlich nur mit Vorsicht zu genießen.

 

Dennis Cooper – Mein loser Faden
Aus dem amerikanischen Englisch von Raimund Varga.
luftschacht.
152 Seiten. 18 Euro. Hardcover.

3. März 2019

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